Veröffentlicht auf "Der Zyniker" am 24. April 2022, heute jedoch nicht minder aktuell

Selbst als Zyniker mag ich die Teigware, so man mir nicht trockene Krümelware als genießbares Lebensmittel aufschwatzen will.

Was ich nicht mag und mir nicht gut bekommt, das ist Ideologie. Je radikaler, desto saurer stößt sie mir auf. Und so ungenießbar sie ist, so vielfältig ist sie vertreten.

Von rechten Nationalisten, Verschwörungsgläubigen und Reichsbürgern die Bill Gates für den Teufel persönlich halten und hinter allem die amerikanische Regierung und den Mossad vermuten hin zu Linken, für die Palästinenser immer ausschließlich Opfer sind und Israelis immer ausschließlich Täter über feministische Radikale, die hinter allem die Übermacht der kärglichen Überreste (zumindest in westlichen Gefilden) eines längst vergangenen Patriarchats vermuten, das Wirken böser alter weißer Männer. Und die mit vermeintlich edlem Feuereifer durch Gendern und neuen Sexismus und Rassimus zu bekämpfen vorgeben, was sie an neuem Sexismus und Rassismus durch die einseitige Sicht auf Geschlechtsteile selber schaffen. Weit radikaler noch als es den Frauen nötig schien, die notwendigerweise den Weg in die Universitäten und an die Wahlurnen erkämpfen mussten. Und auch die gepriesene „Mitte“, als die jeder sich selber sehen möchte, der sich weder links noch rechts verorten mag, und die sich mal über das Einkommen, mal über die politische Haltung definiert ist fern davon, nicht dem Zeitgeist anheim zu fallen.

Der Zeitgeist, das ist breite Emotionalisierung, das sind Pappschilder und Meinungen, wo Diskurs und Informationsvermittlung konstruktiver wirken würden.

Ein viel zu großer Teil der journalistischen Beiträge und anderweitig öffentlicher Äußerungen, die einem breiten Publikum dieser Tage präsentiert werden besteht aus Meinungsjournalismus, aus Bauchgefühlen und dem Anspruch moralischer Wertigkeit. Nichts gegen Moral. Sie kann den Unterschied machen zwischen Barbarei und Wertegemeinschaft wie auch Rechtsstaatlichkeit. Vor allem dann, wenn sie Hand in Hand mit Vernunft geht, in der Lage ist, neben dem eigenen Anspruch auch den der anderen einzubeziehen, wenn sie abwägt und logische Stringenz bewahrt, auf Machbarkeiten hin überprüft wird und nicht vor allem dem Gegenüber gilt, sondern vorrangig auf das eigene sittliche Handeln gerichtet ist. Aber die, wie eine Monstranz vor sich hergetragene „Moral“ dieser Tage hat wenig mit der Vernunft des besseren Handelns zu tun. Sie soll belehren. Und meist die anderen. Moral kann liberal wirken, wenn sie im Verständnis für das Gegenüber Pluralismus ermöglicht. Oder eben den Pluralismus im Keim ersticken, wenn sie totalitäre Allgemeingültigkeitsansprüche mit religiösem Feuereifer an den Tag legt und aus „ich könnte“ ein „du solltest“ und im schlimmsten Fall das „du musst“ entwickelt. Schlimmer noch, wenn auch selten zur Kenntnis genommen: „wir sollten“. Kollektivismus ist selten ein Verbündeter pluralistischer und liberaler Werte. Im angeblichen „Wir“ ist kein Platz für andere Ideen, Haltungen und Lebensentwürfe.

Wie sehr sich hier auch die Mitte verrennt, zeigen beispielhaft die „Torten der Wahrheit“ der Zeit und der phantastische Beitrag über das „Kuchen-Shaming“ (kein Scherz) in der FAZ.

Katja Dittrich versucht sich als „Katja Berlin“ an einer Mischung aus Satire, Journalismus, Gesellschaftskritik und „Wahrheit“, während sie über Jungen als „virile Zerstörer“ und Vernichter fabuliert, deren Männlichkeit alleinig schuld sei an nicht weniger als der Zerstörung des Planeten (warum sich mit weniger begnügen) und die überall da, wo Kritik an Frauen laut wird, deren Geschlechtsteile als einzig wahren Grund für die Kritik ausgemacht hat, ohne dabei jemals die eigene Haltung moralisch anzuzweifeln. Das Vernichten und Zerstören an Geschlechtsteilen festzumachen ist zweifellos akzeptabel, denn inakzeptables Verhalten ist ausschließlich Sache der weniger guten Menschen der Gesellschaft: Männern.

Anna-Lena Ripperger geht noch einen Schritt weiter und nimmt sich der Dinge an, über die sonst keiner zu reden wagt: dem Kuchen-Shaming. Einer sexistischen Unart, die einzig das Ziel hat, Frauen in Massen zurück in die Küchen zu treiben, auf dass diese endlich wieder nach alter Hausfrauenmanier backen mögen.

Um eine kurze Zusammenfassung der These von Frau Ripperger anzubieten: Vor allem Frau müsse sich heute entschuldigen, sollte sie gekauften Kuchen auftischen, da dieser nicht selbstgebacken sei. (Die Einleitung der Autorin vergleicht hier, typisch feministisch/quasi-religiös, dieses „Geständnis“ mit Beichte und Sünde). Dass Frauen sich an dieser Stelle (angeblich) für das nicht-selber-backen entschuldigen müssten sei ein Beweis für Sexismus, der mit der simplen Feststellung, dass Selbstgebackenes besser schmecke als Gekauftes quasi einfordere, Frauen zurück an den Herd zu schicken. Absurder und radikaler kann man die Abkehr von Vernunft, Mitte und „Moral“ kaum zur Schau stellen.

Ich oute mich als Cake-shamer, der gerne mal Kuchen kauft, gelegentlich mal Kuchen backt, der den Herd für eine nützliche Erfindung hält, an die niemand gekettet gehört, der aber fast immer Dinge hervorbringt, die besser schmecken als Tiefkühlware, so man nicht Salz und Zucker verwechselt, sei man nun Mann oder Frau. Und ich oute mich als Mensch, der jedem misstraut der vorgibt, die „Wahrheit“ zu kennen oder gar zu veröffentlichen. An dem hehren Unterfangen sind schon größere Geister gescheitert, als „Katja Berlin“.

So versuche ich es also gar nicht erst. „Die Wahrheit“ ist nicht fassbar, vielfältig und zu groß für noch den größten menschlichen Geist, sollte es „die Wahrheit“ oder den „großen menschlichen Geist“ überhaupt geben.

Wenigstens gibt es Kuchen in Hülle und Fülle. Es ist nicht alles schlecht.

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