Jahrhunderte lang hat Europa jedes nur mögliche Verbrechen an der Menschheit begangen. Jetzt begehen wir ein Neues! Wir schotten uns ab gegen das Elend. Die Bilder und Berichte von den Vorgängen in Calais – wo Tausende Verzweifelte versuchen, durch den Eurotunnel nach Großbritannien zu gelangen – sind unerträglich. Das Elend der Welt präsentiert sich uns – und wir antworten mit Reizgas und Schlagstöcken. Wir schreien, dass wir nicht alle aufnehmen können, dass das ja in Wirklichkeit „nur“ Wirtschaftsflüchtlinge sind. Wirtschaftsflüchtlinge = Menschen, die vor dem Verhungern davonlaufen. Menschen, die versuchen, irgendwo ein menschenwürdiges Leben zu finden.
Ich weiß, was es heißt, wenn man vor Mord und Todschlag, Hunger und Demütigung, Elend und Hoffnungslosigkeit zu flüchten versucht.
Die Tante meiner Mutter ist in der Nazi-Zeit in Wien verhungert. Als Jüdin bekam sie keine Lebensmittelrationen. Wäre sie ein Wirtschaftsflüchtling gewesen?
Meine Großeltern wurden in Belgien ständig mit Abschiebung nach Deutschland bedroht – wo man sie als Juden sofort ermordet hätte. Der Onkel meiner Mutter wurde in der Sowjetunion gemeinsam mit Nazis interniert, die Cousine meiner Mutter in Großbritannien ebenfalls. Weil auch damals keiner einen Unterschied zwischen Verfolgten und Verfolgern machen wollte.
Wir müssen das Sterben der Verzweifelten an den Grenzen stoppen.
Wir sind verpflichtet, zu helfen.
Wir müssen einen globalen Marschallplan ins Leben rufen, um dem Morden außerhalb Europas Grenzen ein Ende zu setzen.
Und inzwischen müssen wir dort helfen, wo Hilfe nötig ist: Hier bei uns!