Ich kenne sie nur von den wenigen Fotos, die von ihr geblieben sind.
Sie war keine besonders schöne Frau. Sie war klug und voller Humor.
Den Humor hat sie ihrem Sohn, meinem Vater, vererbt. Das kann ich sagen, weil ich Briefe von ihr gelesen habe.
Als die Nazis sie schon eingeholt hatten schrieb sie noch beruhigend und eben auch mit Humor an ihre Kinder – meinen Vater in England, meinen Onkel in Afrika, meine Tante untergetaucht in Wien.
Sie hungerte dort, in Belgien, wohin sie noch geflüchtet war als schon Krieg war. In der Hoffnung doch noch zu meinem Onkel nach Afrika gelangen zu können.
Und dann hat man sie geholt. Zusammen mit 600 anderen wie sie.
Im Viehwaggon nach Auschwitz
Wo man sie vergast hat.
Ich kann mir diese ihre letzte Reise, ihre letzten Stunden nicht vorstellen. So sehr ich es auch versuche.
Ich will glauben, dass sie ruhig war und keine Angst hatte.
Aber ich denke, dass sie gezittert hat.
Vielleicht hat sie der Gedanke getröstet, dass zumindest ihre Söhne in Sicherheit waren und ihre Tochter gut versteckt?
Vielleicht war sie froh, dass ihren Mann Nazi-Bomben ermordet hatten und er nicht mit ihr ins Gas gehen musste?
Vielleicht hat sie nicht gewusst, was da auf sie zukommt?
Ich hab sie nicht gekannt. Ich weiß nicht, was sie gedacht und gefühlt hat, als man sie hineinstieß in die Gaskammer.
Manchmal kann ich nicht schlafen, wenn ich an sie denke.
An sie und meine andere Großmutter, die sie nach Minks verschleppt haben, um sie in Maly Trostinec zu ermorden. So wie meinen anderen Großvater.
Sie alle sind gestorben, weil sie waren, was sie waren. Juden.
Und das nie wieder klingt mir heute, da wieder gemordet, geraubt und vergewaltigt wird, irgendwie hohl.
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