Mehr professionelle Distanz bitte! Oder: Wohin ihr euch eure "Enttäuschung" stecken könnt...

Eines der spannendsten Phänomene, die ich im Beruf erlebe (neben der Idee, dass einer Funktion, die man bekleidet, automatisch Respekt und Vertrauen zukommt) ist das Fehlen von professioneller Distanz.

Das ist der hilfreiche Abstand zwischen der eigenen Befindlichkeit und dem Verhalten seiner Kolleg_innen, Mitarbeiter_innen und Klient_innen. Man hat prinzipiell zwei Möglichkeiten: Entweder man arbeitet aufgabenorientiert, dann gehts um das gemeinsame Ziel, oder beziehungsorientiert, dann gehts um die eigenen Befindlichkeiten. In umsatzgetriebenen Unternehmen ist Aufgabenorientierung ziemlich selbstverständlich - ich kann den Kollegen vielleicht nicht leiden, aber fachlich ist er top, also funktionierts.

In Sozialberufen ist es schon weit schwieriger. Die Kolleg_innen wollen nicht geachtet werden wegen ihrer Kompetenz und ihrer Haltung, nein, geliebt wollen sie sein. Ein unerfüllbarer Anspruch.

"Manchmal glaub ich, die Schüler sind gar nicht wegen dem (sic!) Wissen da!", der Kollege sagts ganz traurig...Haha - nein wirklich? Zeigt mir einen 15-19jährigen, der wegen des Wissens in der Schule sitzt! Das ist mein Job, ihnen das so interessant zu machen, dass sie gern lernen!

Aber das sind die selben Kolleg_innen, die alles für böse Absicht ihnen gegenüber halten, was die großen Kinder so alles anstellen...oder was sie nicht tun. (Hey, Billa hat immer Jobs für Regalbetreuer frei - aber vermutlich hielten sie dort Produkte, die umfallen und die sie neu schlichten müssen, auch für bösartig und gemein)

Oder die Kollegin, die mir erklärt, sie hätten einen Geburtstagskalender, in den ich mich eintragen könne - als ich höflich ablehne, weil mich das nicht interessiert, ist sie ganz betroffen. Richtig leise und traurig wird sie.

Ist schon spannend, dass manche der Kolleginnen und Kollegen alles auf ihre eigene Person beziehen - als ob alles, was passiert, mit ihnen persönlich etwas zu tun habe!

Alles auf sich selbst zu beziehen, macht krank - vor allem in einem Beruf, in dem man dauernd mit Menschen zu tun hat. Drum ist die Kollegin auch "sehr enttäuscht", wie sie uns in einem Mail mitteilt, weil wir einen freiwillig auszufüllenden Fragebogen noch nicht retourniert haben. Sie argumentiert nicht mit einer Notwendigkeit für Verbesserungen oder einem anderen nachvollziehbaren Grund - nein,sie ist persönlich enttäuscht. Was erwartet sie, dass sie bei uns auslöst? Schlechtes Gewissen? Schuldgefühle?

Es fehlt ihnen an professioneller Distanz - und mit ihrer Enttäuschung dürfen sie gern zu einem Therapeuten gehen....weder die Schüler_innen noch die Kolleg_innen sind für deren Wohlbefinden verantwortlich.

Ach, es genügte völlig, intellektuell redlich zu unterrichten und nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln - dann erwirbt man sich auch Respekt und Vertrauen. Zuneigung ist dann ein Geschenk, das man meist noch dazu bekommt ;) - Aber Anspruch hat man darauf keinen.

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