Mindestens ein Viertel der österreichischen Jugend ist nicht normal – oder nicht gesund, um es etwas fachlicher auszudrücken. Die Studie von Andreas Karwautz und Gudrun Wagner von der Medizinuni Wien an 3.500 Jugendlichenzwischen zehn und 18 Jahren fand heraus, das 24 Prozent der Befragten Hinweise auf eine aktuell bestehende psychische Störung zeigten. Knapp 36 Prozent berichteten von zumindest einer solchen Episode in der Vergangenheit. Am häufigsten waren Angststörungen, dann folgten „neuropsychiatrische“ Entwicklungsstörungen wie z.B. ADHS und Depressionen.

Weiteres trauriges Ergebnis: Nicht einmal die Hälfte der erkrankten Jugendlichen war bei einem Kinder- und Jugendpsychiater. Grund sei die Angst vor Stigmatisierung, außerdem gäbe es zu wenig Behandlungsstellen, so die AutorInnen. Da haben die KollegInnen bestimmt recht, und ja, es wäre wünschenswert, dass mehr z.B. als die genannten 16,7, % bei latenter Suizidalität und 10% bei selbstverletzendem Verhalten Hilfe aufsuchten. Ob es dann in erster Linie eine medikamentöse Unterstützung sein sollte (die Studie wurde von der Interessensvertretung der Pharmazeutischen Industrie gefördert), oder nicht vor allem ein passendes psychotherapeutisches Therapieangebot, sei dahingestellt. Mehr niederschwellige Hilfsangebote, etwa in den Schulen, braucht es definitiv.

Betroffen macht jedoch die Selbstverständlichkeit des Reparaturkonzepts - mehr Psychiatrie, früher behandeln. Warum nicht schon den zappeligen Dreijährigen ein wenig Ritalin verabreichen, damit sich die ADHS Störung gar nicht erst auswächst? Über die Auswirkungen der medialen Verführung von Kindern nachzudenken, könnte der Wirtschaft schaden. Kostenfreie Therapieplätze für die überlasteten, selbst ins Burnout, Angststörungen und Depression schlitternden Eltern und Coaching für die überforderten Lehrkräfte anzubieten, bringt wenig zusätzliche Wählerstimmen. Ein Bildungsangebot zu entwickeln, dass den heutigen Erkenntnissen über Lernen und Persönlichkeitsentwicklung entspricht, oder Grünflächen, künstlerische Angebote und zusätzliche Bewegungsräume in den Schulen zu schaffen muss am Widerstand gegen Budgetkürzungen in anderen Ressorts scheitern. Privatschulen mit alternativen Unterrichtskonzepten endlich Förderungen zukommen zu lassen, könnte den öffentlichen Schulen das Wasser abgraben. Wenn „Freies Lernen“ (analog der häuslichen Pflege von Angehörigen) unterstützt wird, würden vielleicht mehr autonome, intelligente, gestaltungsfreudige und kritische BürgerInnen in die gesellschaftlichen und beruflichen Räume drängen. Wer braucht denn sowas?

Die gute Nachricht: die stille, friedliche Revolution ist nicht aufzuhalten. Zwei LehrerInnen änderten mit Unterstützung ihrer Direktorin in einer Volksschule den Stundenplan. Nach anderthalb Stunden Unterricht wird eine Stunde Pause gemacht, in der die SchülerInnen auf dem Gang spielen und sich bewegen. Ohne pädagogische Impulse, Handyverbot, wenig einfaches Materialangebot. Sie ermöglichen damit eine Konsolidierungsphase, in der das Gehirn das gerade Gelernte nachspeichern kann, ermöglichen soziale Interaktionen und stärken den Körperbezug. Danach folgt wieder eine Phase der Informationsaufnahme oder der Einübung von gelernten Inhalten. Es ist keine Versuchsschule, es gibt keinen Forschungsauftrag und es wurde kein Antrag gestellt Sie machen es einfach.

Die Klasse wäre sicher eine spannende Kontrollgruppe. Aber es ist wohl besser, sie in Ruhe gemeinsam Kartonhäuser bauen zu lassen.

Quelle https://www.meduniwien.ac.at/web/ueber-uns/news/detailseite/2017/news-im-juni-2017/fast-ein-viertel-aller-jugendlichen-in-oesterreich-leidet-aktuell-an-einer-psychischen-erkrankung/

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