Die Aufforderung zur Entspannung verfolgt mich. Schon vor dem dringend zur Stabilisierung benötigten morgendlichen Kaffeeritual muntert mich mein Alltagsheld auf, dieses Elysium der Psychohygiene zu betreten. Endlich in Schwung gekommen, lädt mich das Töchterlein beim morgendlichen Aufbruch zum Chillen ein. Wieder mal knapp geschafft fünf Minuten nach meiner Klientin, aber vor Stundenbeginn  die Praxistür zu erreichen, ermutigt mich die mir Wohlgesonnene, keinen Stress zu haben. Und nach vollbrachtem Tagwerk begrüßt mich die personifizierte Geruhsamkeit am Sofa mit einem überschwenglichen Räkeln.

Sie haben alle recht. Mein Grundaktivierungsniveau ist hoch. Der Widerstand gegen spontane De-Aktivierung steigt leider mit jeder bewussten Intervention. Ich kann mich entspannen – aber nicht wenn ich soll. Umso erfreuter nehme ich die Ergebnisse der Neurobiologie zur Kenntnis, die uns wieder mal endlich naturwissenschaftlich beweist, was wir schon immer wussten: Wir brauchen Eutonie, eine gute Spannung, ausreichend An- und Erregung, einen ausgewogenen Dopamin-Adrenalin-Cocktail zum Lernen und zum Glücklichsein.

Die Erkenntnis verdanke ich unter anderem einer Gesangslehrerin. Viel zu schlaff, vermittelte sie mir mit Blick auf meinen Brustkorb und meinte zu meiner Erleichterung die Körperhaltung. Also alles gestrafft, Zehen bis zum Kinn, und siehe da, nicht nur das Spiegelbild erfrischte sich wundersam, sondern auch die Töne kommen hell und klar aus der ungeübten Kehle. „Anspannen – und loslassen“ flötete meiner Generation noch Österreichs Vorturnerin  Ilse Buck mit ihren isometrischen Übungen ins Ohr und Deja-Vus bescheren uns Inputs von SexualtherapeutInnen.

Also zäum ich jetzt das Pferd von hinten auf und geb‘ Gas. Bildlich gesprochen. Strassen- und Beziehungsverkehr eignen sich weniger für psychodynamische Experimente. Eher schon das Buchprojekt und, mit staatlicher Unterstützung, neue Herausforderungen in der Praxis – Registrierkassa und Co. Dann sitz ich sowas von relaxed mitten im Halloweenhype, dass der vorübergehend in den Couchpotatoestatus geswitchte Vater unserer Kinder sich freiwillig als Chauffeur zur Verfügung stellt, um einen Kontrapunkt zu setzen. Und loslassen.

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:16

1 Kommentare

Mehr von Susannepoint