Das lila Stiefmütterchen - Gruß eines Verstorbenen

Weil heute Allerseelen ist und man der Verstorbenen gedenkt - so will es jedenfalls die christliche Tradition - will ich eine Geschichte erzählen, die sich vor fünfzehn Jahren zugetragen hat und nur eine von diversen seltsamen Geschichten in meinem Leben ist.

Ein mir nahestehender Mensch war an den Folgen seines exzessiven Lebens gestorben. Ich habe oft versucht, ihm zu helfen, aber ich war nicht erfolgreich damit. Sein Drang, das Leben voll auszukosten und dabei jedes gesundheitliche Risiko einzugehen, war stärker. Als er starb, war er kaum 50 Jahre alt.

Ich fühlte mich natürlich verpflichtet, auch nach seinem Tod noch in Gedanken für ihn da zu sein und wenigstens sein Grab zu pflegen. Da ein frisches Grab ziemlich trostlos aussieht, ohne jegliches Grün, beschloss ich, aus dem Garten etwas auf den Friedhof zu bringen.

Meine Wahl fiel auf einen dunkelgrünen, quadratischen Topf mit einer Vielzahl von lila Stiefmütterchen. Dieser Topf mit den lila Stiefmütterchen war mir sehr ans Herz gewachsen, weil in seltener Üppigkeit eine ganze Horde von Violen ihre Pracht in den Himmel reckte. Das Lila machte sich auch gut zu dem Dunkelgrün des Topfes. Alles in allem war es eine zauberhafte Erscheinung. Ich fand sonst nichts anderes im Garten, das eingetopft und leicht zu tragen war. Der Topf hatte ungefähr 30 Zentimeter im Quadrat, war also nicht schwer.

Etwas verweint stellte ich den Topf am Grab ab und dachte an den Menschen, dem ich nicht mehr helfen konnte. Wie meistens drehte ich dann noch in unmittelbarer Nähe des Grabes ein paar Runden und hing in der üblichen Traurigkeit den Gedanken nach. In der Trauer war ich dem Verstorbenen sehr nahe.

Am nächsten Morgen, als ich die Haustür öffnete, traute ich meinen Augen nicht: Keine zwei Meter von der Eingangstüre entfernt, wuchs aus einer Betonritze ein lila Stiefmütterchen, ein solches, wie ich sie tags zuvor auf den Friedhof getragen hatte. Einsam und allein wuchs es aus der winzigen Betonspalte. Ich konnte es nicht übersehen, wenn ich die Türe öffnete.

Da ich neben aller Emotionalität auch analytisch veranlagt bin, versuchte ich das Gesehene zu erklären. Hatte ich ein Stiefmütterchen beim Abtransport verloren? War es in diese Betonspalte gefallen? Nein, das Blümchen saß fest in der Erde, die sich unter den Betonplatten befand. Es wuchs dort. Es war auch genauso groß wie die anderen, die ich auf den Friedhof gebracht hatte. Es war eines von ihnen. Es kam zurück, zurück zu mir, wohlbehalten und blühend. Aber wie kam es zurück? Wer hat es vor meine Türe gebracht, wer in die Betonspalte gesetzt? Der Verstorbene? Schwer möglich. Ein Geist? Nein, das glaube ich auch nicht. Wenn es jemand war, dann der Geist. Der Geist ist nicht irgendein Geist. Dieser Geist ist die Gesamtheit aller Dinge.

Der Geist hat sich - im Namen des Verstorbenen - für das Geschenk bedankt und hat mich zugleich getröstet. Da wusste ich, dass der Verstorbene nicht tot ist, sondern im Geist weiterlebt.

Zehn Tage nach seinem Tod - ich hatte darauf schon gewartet - klopfte der Verstorbene dann an meine Türe und verabschiedete sich. Er sagte: Ich gehe jetzt. Ich wusste, er geht weit fort, aber er stirbt nie. Wenn der Geist es so wollte, wenn es für ihn Sinn machen würde, könnte der Verstorbene jederzeit zurückkommen, in eben dieser Form, in der er gegangen ist.

Ausschließlich materialistische Menschen tun sich schwer mit solchen Geschichten und Ausführungen. Es hat diese Erlebnisse und Erfahrungen aber immer schon gegeben. Speziell in ländlichen Gebieten, wo die Menschen beschaulicher lebten und ehrfürchtiger waren, war es keine Seltenheit, dass Bilder von der Wand fielen, wenn Menschen soeben verstorben waren - oder dass es hinterher eben an Türen klopfte und erfahrungsgemäß keiner draußen stand. In meinem Fall konnte auch kein lebendiger Mensch draußen stehen, weil zusätzlich die Gartentür versperrt war.

Die christliche Kirche und ihre klerikalen Würdenträger haben die Verbindungen zum jenseitigen Leben gekapert. Man kann sich vorstellen, warum sie es taten. Einerseits waren ihnen diese Menschen unheimlich, die auf beschauliche Art mit dem Unsichtbaren kommunizieren konnten, ohne einen Geistlichen dafür zu brauchen; deswegen haben sie diese Kommunikation den 'Dämonen' zugeschrieben. Andererseits waren Menschen, die im Geist leben konnten, eine Gefahr für die Kirchen und ihre Götter. Die Kirchen, die Dogmen predigten, haben die spirituelle Entwicklung des Menschen schwer behindert. Wenn die Kirche 'geistig' sagte, meinte sie 'geistlich', was nicht dasselbe ist. Geistig und geistlich sind fast schon ein Gegensatzpaar.

Auf diesem Boden der geistigen Behinderung durch die Kirchen konnte der Materialismus und in dessen Windschatten der Kapitalismus prächtig gedeihen. Geld gegen Geist, weltliches Kapital gegen Spiritualität. Aber die Unsterblichkeit einer Seele kann man nicht kaufen.

pixabay

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