Der Wald erhob sich groß und mächtig. Majestätisch blickte er über die Ebene, die vor ihm lag. Dort, wo das Haus stand. Dort, wo ihr Zuhause war.
Wie viele Geschichten hätte er ihr erzählen können? Wie viel Hässliches hatte er schon gesehen? Würde er zu ihr halten, sie beschützen vor dem Grauen, das sie quälte? Würde er sie wohlwollend empfangen, wenn sie seinen Schutz suchte? Wenn sie ihr Leben zurückließe? Würde er ihr Sicherheit geben? Alles das, wonach sie sich sehnte? Der Schnee ließ den Wald noch ehrfurchtsvoller erscheinen. Niemand konnte ihm etwas anhaben. Nein, er war so groß und mächtig.
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Doch der Schein trog. Der Wald ächzte unter seiner schweren, eisigen Last. Fast schien es, als versuchten die Bäume etwas von dem Gewicht abzuschütteln. Doch der Winter hielt ihn unerbittlich mit seinen Krallen fest. Niemand konnte dieser Urgewalt entkommen. Auch dieser Winter wird Opfer fordern. Sie ließ ihren Blick über die jungen Bäume schweifen. Tapfer trotzten sie dieser eisigen Zeit. Würden sie als Sieger hervorgehen? Würden die Narben, die Schnee und Eis hinterließen, sie noch stärker machen? Viele alte Bäume hatten beschlossen zu sterben, um ihren Nachkommen Platz zu machen. Sie legten sich über ihre Kinder, wie eine warme Decke, die sie behütete.
Noch eine Weile blickte sie durch das Fenster. Fast genoss sie das Schauspiel, den Kampf zwischen Leben und Tod. Würde der Wald ihr geheimes Vorhaben verraten? Sie schüttelte den Kopf. Nein, er war ihr Verbündeter. Es war der Schnee, der ihre Fußabdrücke preisgeben würde. Sie musste noch warten. Bald würde es stärker schneien und ihre Fußspuren unter den tanzenden Schneeflocken verschwinden. Noch immer starrte sie durch das Fenster. Sie hoffte auf ein Zeichen, auf etwas, das ihr die Last der Entscheidung von den Schultern nehmen würde.
Sie lächelte. Es würde nicht mehr lange dauern. Der Schneefall ließ kaum noch etwas von der Landschaft erkennen. Wie lange konnten die Bäume noch so schwer tragen, bis sie unter dem Gewicht der Schneemassen zusammenbrachen? Aber der Wald würde überleben. Es war nicht sein erster Kampf um sein Überleben. Es würde Opfer geben, doch im Frühjahr würde er mit Stolz über die Ebene blicken; seine Ebene.
Vielleicht würde er ihr eine Geschichte davon erzählen. Sie würde von einem Mädchen handeln, das in den Wald flüchtete, barfuß, verfolgt von mittelalterlichen Schergen.
Doch nun war sie es, die laufen würde. Verfolgt von Geistern, die nach ihr riefen.
Sie zog sich ihre Stiefel an. Langsam, um niemanden zu wecken, öffnete sie die Tür. Der Fluss war zugefroren. Das erleichterte ihr Vorhaben. Still und leise verschwand sie im Wald. Eine fast unheimliche Stille umgab sie. Sie erschrak. Sie lauschte. Doch es war nur ein Ast, der unter der großen Schneelast nachgab. Sie lief weiter, weg von dem Haus, weg von dem Leben; diesem Leben. Ihre Tränen verwandelten sich zu eisigen Kristallen. Sie war müde. Nur etwas ausruhen. Sie lehnte sich an einen Baum. Er war überraschend weich und warm. Nicht kalt und hart, wie sie gedacht hatte. Sie glitt zu Boden. Sie lächelte. Der Wald schützte sie, er umgab sie mit Geborgenheit und spendete ihr Wärme. Nur ein wenig die Augen schließen. Der Baum legte schützend seine Arme um sie. „Schlaf, mein Kind, schlaf …“
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