Der Nabel einer kleinen Welt

Warum regieren Männer die Welt? Weil Frauen lieber dumme Wettkämpfe mit anderen Frauen austragen, statt ihre Zeit sinnvoll zu nutzen.

Keine Sorge, so schlicht ist mein Denken natürlich nicht. Aber mitunter reißt mir der Geduldsfaden. Weiber, schimpfe ich dann vor mich hin, warum setze ich mich bloß für sie ein? Damit sie blunzenblöde Selfie-Aktionen ausrufen wie diesen hier? „Wickle deinen Arm von hinten um deine Körpermitte und berühre mit den Fingern deinen Bauchnabel. Stelle ein Foto auf Facebook und fordere deine Freundinnen auf, es dir gleichzutun.“ Klingt so verdreht, wie es auf den veröffentlichten Fotos aussieht. Und geht nur, wenn man den Taillenumfang einer Colaflasche hat. Manche können das. Alles klar. Und was sagt es aus? Nichts sagt es aus. Dieser Test ist so sinnlos wie die „Bleistiftprobe“ (Stecke einen Bleistift in deine Busenfalte. Hält er? Ätsch!) oder der Hype um den „Thigh Gap“ (Deine Oberschenkel stoßen aneinander? Ätsch!). Genauso gut könnte man fragen: „Hast du Schuhgröße 39? Ätsch! Hat dein Wohnort mehr als eine Million Einwohner? Ätsch! Zahlst du manchmal bar? Ätschbätsch!

Nun kennen wir derartige Dummheiten bereits aus der Geschichte. Frauen fanden schon im Prä-Selfie-Zeitalter Wege sich in ihrer Haut möglichst unwohl, genau dadurch jedoch erhaben zu fühlen. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein etwa übten sich hochwohlgeborene Damen gern in der gänzlich sinnbefreiten Kunst des Geradesitzens ohne sich dabei anzulehnen. Abends im Salon, wenn man sich entspannte, Karten spielte oder einfach plauderte, ein Glas vom guten Roten in der Hand, dann durfte man sicher sein, dass eine der anwesenden Frauen stets kerzengerade dasaß, ein Buch, ihre Stickerei oder einfach die Hände vor der Brust, oft stundenlang. Es gab diesen armen, ihrer Selbstbestimmung von Geburt an beraubten Gestalten wohl ein Gefühl der Macht, und sei es nur über den eigenen Körper. Männer betraf dieser Nonsens nicht. Das Geradesitzen ohne sich anzulehnen wurde einzig von anderen Frauen eingefordert, in Form von missbilligenden, stummen Blicken. Diese Frauen bewiesen vielleicht Selbstbeherrschung, aber es war eine völlig sinnlose Übung, die niemandem etwas brachte, ihnen selbst am allerwenigsten. In meinen Augen ist es eine Form der Autoaggression, hinter der sich mitunter eine nie bewusst erfasste Geschichte von Unsicherheit oder Verzweiflung verbirgt, und der unter Frauen weiter verbreitet scheint als unter Männern. Vielleicht liegt die Begründung in der Frauen lange zugeordneten Rolle in der Gesellschaft. Aber irgendwann müssen wir aufhören, uns auf die Vergangenheit rauszureden. Männer dürfen es ja auch nicht.

Jedenfalls würde kein Mann auf die Idee eines derart blödsinnigen Konkurrenzkampfs kommen. Die Vorstellung, dass dünne Männer Fotos ihrer hervorstehenden Beckenknochen ins Netz stellen und anderen als erstrebenswertes Ideal vorführen, klingt absurd. Aber es ist nicht absurder als das, was sich bereits im Netz zwischen Frauen abspielt. Und wenn selbst eine gestandene, erfolgreiche und nebenbei wunderschöne Frau wie die amerikanische Sängerin Beyoncé einen Thigh Gap in ihr Foto retuschieren lässt und sich zugleich als Feministin bezeichnet, dann frage ich mich, ob unser Geschlecht überhaupt zu retten ist.

Wir Frauen haben noch einen weiten, weiten Weg vor uns. Das erkenne ich, wenn ich diesen Mosaikstein im Gesamtbild unseres Geschlechterkrampfes betrachte. Den Finger von hinten herum auf den Bauchnabel legen zu können ist wahrlich nichts Großes. Die Grundhaltung jedoch, aus der solche Aktionen erwachsen, die ist groß, und zwar in ihrer verstörenden Problematik.

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Veronika Fischer

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Silvia Jelincic

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Erkrath

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fischundfleisch

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