Ich besitze, was Essen und Trinken betrifft, nur wenig Willenskraft. Gesunde Ernährung ist ein Konzept, das mir einleuchtet, zu dem ich mich im Alltag jedoch nur phasenweise (also ein, zwei Tage oder unter Aufsicht) durchringen kann. Einzige Ausnahme: Mich streckt, wie neulich, die Grippe nieder, dann verwandle ich mich ohne jede Mühe in ein Musterbeispiel für gesunde Lebensweise. Der Verzicht auf Kaffee und Süßkram fällt mir plötzlich überhaupt nicht mehr schwer. Stattdessen trinke ich alle zwei Stunden ein Glas von der Größe eines Tränkeimers voll abgekochten Leitungswassers, in der Küche türmt sich ein hübsches Stillleben aus Zitronen, Trauben, Orangen und Äpfeln (dessen Anmut nur dadurch gemindert wird, dass das Obst noch in den Abwiegesäckchen steckt). Im Kühlschrank: Joghurt, Hüttenkäse, Orangensaft. Im Kaffeehäferl: Kräutertee aus dem Teesieb, ein Geduldspiel, für das ich im Alltag keine Nerven zu haben glaube.

Bin ich krank, weiß mein Körper automatisch, was er braucht. Der innere Schweinehund ist zu schlapp um sich aufzulehnen. Und siehe: Mein Hirn zieht nach. Das Handy wird lustlos betrachtet, automatisch öffne ich Twitter, starre eine Minute auf die vorbeiziehenden Texthäppchen, irgend etwas Wichtiges dabei? Seltsam: Wo ich sonst ohne viel nachzudenken fave, retweete, launige Antworten tippe, bleibt kaum etwas übrig, das mein Grippekopf ernsthaft aufzunehmen oder zu verarbeiten wünscht. Weg mit dem Handy, augenblicklich fühle ich mich besser. Habe ich sonst auch immer diesen Druck zwischen den Augen, wenn ich twittere?

Oder dieser Flugzeugabsturz. Wie viele Informationen brauche ich wirklich und  in welchen Intervallen? An wie vielen Spekulationen muss ich mich beteiligen, wie viele Trümmerteile muss ich zuordnen können, wie viele weinende Gesichter sehen, wie viele Ordnungsrufe an andere erteilen, die irgendeine eherne (und wahrscheinlich von mir selbst aufgestellte) Social-Media-Regel verletzt haben?

Mein grippevernebeltes Gehirn entscheidet für mich: Gar nix muss ich. Entgiften ist angesagt: von der Sucht nach News, Infos, Entertainment. Von der Sorge, irgend etwas Superwichtiges zu übersehen. Von der Vorstellung, jede Information sei notwendig, jedes Thema mitredenswert. Aber auch vom Glauben, meine Meinung sei stets relevant und vor allem immer gefragt. Entgiften fürs Hirn, Detox fürs Ego.

Ich weiß, es wird nicht so einfach sein, wenn ich wieder gesund bin. Ein Teesäckchen in die Tasse zu hängen, wird zur Monsteraufgabe werden, wenn daneben die Kaffeekanne duftet. Statt zum Apfel werde ich womöglich wieder zu den Gummibärchen auf dem Tisch im Sekretariat greifen und in der anderen Hand das Handy halten, wieviele RTs, wieviele Favs, welche Infos, was gibt’s Neues? Ich werde mir vielleicht wieder irgendwelche auf Twitter verlinkten Artikel per E-Mail an mich selbst schicken, von denen ich nur einen Bruchteil tatsächlich lese.

Vielleicht bekomme ich es aber auch endlich mal hin, diese automatische Entscheidung für das Richtige, vielleicht schaffe ich es endlich einmal nicht nur dann, wenn Verstand und Pflichtgefühl und Eitelkeit ausgeschaltet sind und nur das Wesentliche übrig bleibt. Wir werden sehen.

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fischundfleisch

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saxo

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Herbert Erregger

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