Ich war achtzehn und durfte mit einer Freundin auf einen familiären Segeltörn durch die Adria. Es waren die letzten Tage des alten Jugoslawien, wir kreuzten ahnungslos ob der brodelnden historischen Veränderungen vor der Küste und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mir weder die Route noch die Stationen gemerkt habe. Es waren nicht gerade idyllische zwei Wochen – ich passte nicht so recht zu dieser eingeschworenen Truppe, immer wieder gab’s Knatsch, und zwischendurch bereute ich, mitgefahren zu sein. Aber es gab auch nette Tage, natürlich, und ab und zu legten wir in einem Hafen an, schwankten an Land und hin zum nächsten Hafencafé. Wie wir da eines Tages saßen, die Strohhalme in unsere Colagläser stippend und aufs Meer blinzelten, sahen wir in der Ferne ein großes Schiff, das weit draußen Anker geworfen hatte. Genau gesagt sahen wir einen grauen Fleck am Horizont, aber für uns war das natürlich aufregend, so ein großes Schiff sah man damals nicht aller Tage. „Das ist die Yacht von Adnan Kashoggi“, erklärte der mehrsprachige Kellner, der unsere Blicke bemerkt hatte. „Der kommt hier ab und zu vorbei.“
Das Partyschiff des berühmten Waffenhändlers! Adnan Kashoggi war in den Siebzigern und Achtzigern der Richard Lugner der internationalen Society – er hatte immens viel Geld, das er bereitwillig für jeden ausgab, der ihm das Gefühl schenkte, dazuzugehören zu den Großen der Welt. Unser Kellner wirkte sehr weltgewandt, wie er aufs Meer zeigte und die eine oder andere Anekdote erzählte über das Kashoggi-Schiff und die Route vorbei an seinem Hafencafé.
ADNAN WHO?
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Wir segelten eilig hinaus und hielten auf den grauen Fleck zu. Doch je näher wir kamen, desto mehr zweifelte ich daran, dass es sich dabei tatsächlich um Kashoggis Yacht handelte. Eher wirkte es wie ein Kreuzfahrtschiff, das Anker geworfen hatte, weil das Meer gerade spiegelglatt war und zum Jetski-Fahren einlud. Genau das taten gerade einige Leute, beschrieben mit den brummenden Wasservespas elegante Kurven, weiter hinten preschte einer auf Wasserskiern übers Meer. Von Bord winkten Trauben von Menschen in Shorts und Ruderleibchen. Das Schiff hieß M.S. Sowieso, genau weiß ich es nicht mehr. Vorne am Bug hing schlapp eine norwegische Flagge. Es wirkte solide und bequem, wie es da träge in der See hing, gar nicht abenteuerlich und ungewöhnlich, und trotzdem wünschte ich in diesem Moment, ich könnte umsteigen auf diesen Touristenfrachter.
„Das ist ja gar nicht die Yacht vom Kashoggi“, bemerkte ich zu den anderen. Der Schwiegersohn des Kapitäns drehte sich zu mir um. „Natürlich ist es die Yacht vom Kashoggi“, bemerkte er indigniert. „Ja, aber schau doch“, wandte ich ein, „Das ist eindeutig ein Passagierschiff. Die Leute – das sind lauter verschiedene Familien. Der Kellner hat sich geirrt.“ Meine Einwände interessierten den Schwiegersohn nicht. „Das ist das Schiff vom Kashoggi“, beharrte er. „Der ist so reich, der kann einladen, wen er will, auch lauter verschiedene Familien.“ – „Da schau, die Flagge“, rief ich. „Norwegen!“ – „Na und?“ Der Schwiegersohn zuckte die Achseln. „Der Kashoggi kann ja auch ein Schiff in Norwegen liegen haben.“
Es war absurd: Er vertraute dem Wort eines Fremden, der nichts als einen grauen Fleck am Horizont gesehen hatte, mehr als dem, was sich vor seinen eigenen Augen abspielte. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder vor Wut über soviel Blödheit explodieren sollte. Nachdem mich der Schwiegersohn ohnehin anzipfte, beschloss ich, herauszufinden, wie die bewusste Kashoggi-Yacht denn nun wirklich aussah. Beim obligaten Dia-Abend ein paar Wochen später präsentierte ich ihm das Ergebnis meiner Recherche: Die Yacht hieß „Nabila“, nicht „M.S. Sowieso“ und war um einiges kleiner als das Ungetüm, das wir erlebt hatten. Dafür hatte es einen Hubschrauberlandeplatz. Der Schwiegersohn zischte mir ein empörtes „Und es war doch der Kashoggi!“ entgegen. Die anderen schnauzten mich an, ich solle die Stimmung nicht verderben, das gehöre sich nicht, schon gar nicht bei einem Dia-Abend. Ich gab auf, stellte jedoch fest, dass ich von dem Mann in dieser Sache kein vernünftiges Verhalten erwarten konnte.
WIDER JEDE VERNUNFT
Warum ich wieder an diese Geschichte denke? Weil in diesen Tagen die Impfgegner wieder mal in aller Munde sind: leidlich gebildete, meist besser situierte Menschen, die sich in den Kopf gesetzt haben, dass Impfungen ihren Kindern mehr schaden als ansteckende Krankheiten mit mitunter tödlichem Ausgang. Ihre Argumente sind an den Haaren herbeigezogener, längst widerlegter Unfug, der religiöse Eifer, mit dem sie an nicht überprüften Behauptungen festhalten, ist absurd, dazu noch tödlich. Solche Menschen sind an Zahlen und Studien nicht interessiert, lieber glauben sie, was ihnen irgendjemand erzählt, der nur selbstbewusst genug auftritt. Sie brauchen ihre Kashoggi-Yacht: ein faszinierendes Bild, das aufregender ist als alles, was sie sonst kennen, und an dem sie festhalten, selbst wenn jedes Argument dagegen spricht, weil es ihnen einfach spannender erscheint als die schnöde Wirklichkeit.
Im Jahr 2010 führten Masern-Ausbrüche in Europa zu 30.000 Kranken und 21 Toten. Das ist ein Toter auf (aufgerundet) 1.430 Kranke. Weniger geimpfte Menschen bedeuten mehr Krankheitsfälle und damit auch mehr Tote. Ich persönlich bin ja für Impfzwang unter Androhung harter Strafen. Dummheit darf nicht mit Nachsicht begegnet werden, wenn dabei Menschen sterben können.
2011 erkrankten in Norwegen ganze zehn Menschen an Masern. Man stellte sofort genaue Untersuchungen an, verfolgte die Spur der Ansteckung bis zu somalischen Touristen, die ihre Verwandten besucht hatten und startete ein Impfprogramm für (die hauptsächlich betroffenen) Familien mit Migrationshintergrund. Unter norwegischer Flagge unterwegs zu sein dürfte also nicht das Schlechteste sein. Dachte ich ja auch schon damals in der Adria.