Dschungelcamp – ach ja, die Metaebene.

Über die Fernsehsendung „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ wurden schon so viele Kommentare geschrieben. Es wurde jede erdenkliche Metaebene herbeigeschrieben, die dieser Show angeblich innewohne, man beschwor den soziohygienischen Effekt kollektiver, kanalisierter Schadenfreude, den Grad des Sexismus, und zwischendurch erklärt imme wieder jemand ernsthaft, er oder sie schaue die Sendung wegen der lustigen Dialoge der Moderatoren – das „Ich lese den Playboy wegen der Interviews“ des neuen Jahrtausends.

Was mir bisher fehlte – vielleicht habe ich es auch übersehen, weil ich beim Anblick rotgesichtiger, ratlos dreinblickender Menschen in grau-roten Outfits sofort weiter klicke, und nein, ich schaue mir das aus vielen Gründen nicht an – was mir also fehlt, ist eine Auseinandersetzung mit dem „Verbrauch“ an sogenannten niederen Lebensformen, die bei den Dschungelprüfungen zum Einsatz kommen: Spinnen im Dutzend, Kakerlaken kübel-, Würmer und Maden gleich zentnerweise, eigens gezüchtet für ihren großen und einmaligen Auftritt vor dem Ende ihres kurzen Daseins, wenn sie auf Menschen geklatscht werden wie Mehlbrei.

Mir tut das weh. Es ist nicht so, dass ich glaube, diese Tiere würden immense Schmerzen leiden. Es ist die Ungerührtheit, mit der Lebewesen wie Sand oder Schotter verwendet und verschwendet werden und es niemanden zu stören scheint. Ich habe Protestnoten diverser Tierschutzorganisationen gelesen, niemals aber in meinem Umfeld eine Diskussion darüber erlebt. Alle reden nur über die Kandidaten, ob man nicht mal eine eigene Maßeinheit für den Grad von Ekel entwickeln solle, das Prinzip der Sendung, das sich selbst entwürdigen und erniedrigen für Geld und das, was es mit den Zuschauern macht. Meta! Ebene!

Nun, wenn etwas an dieser grauenhaften Sendung eine Metaebene hat, dann dieser Verschleiß von Leben. Es zeigt, wie sehr die Lauterkeit einer Handlung daran gemessen wird, ob das Objekt dieser Handlung ein Bewusstsein dafür besitzt, was mit ihm geschieht. Ist ja nicht schlimm, heißt es immer, wenn ich das Thema anspreche. „Die haben kein Schmerzempfinden“, „Das sind ja keine richtigen Tiere“, „Die kriegen ja nicht mit, dass sie für unser Gaudium missbraucht werden“.

Vor einigen Jahren musste jemand während einer TV-Show –  ich habe verdrängt, welche es war, nur diese Szene sehe ich noch immer vor mir – in einem durchsichtigen Wasserbecken, in das vorher ein Dutzend Schlangen gekippt wurde, nach irgendetwas tauchen. Die Übung gelang, das Publikum applaudierte, auf der Wasseroberfläche trieb bald die erste Schlange mit dem Bauch nach oben. Krepiert für einen Gag. Kein Protest im Saal, keine Kritik in den Medien, nichts. Es war schlicht egal.

Ich gebe zu, ich war da schon immer sensibel. Ich erinnere mich daran, dass ich im Alter von vier Jahren mit Empörung beobachtete, wie ein Kleinkind jauchzend in eine Schar am Boden pickender Tauben rannte und sich darüber begeisterte, wie die Vögel erschrocken aufflatterten. Und als die Tauben sich wieder um ihre Brotkrümel geschart hatten, rannte das Kind gleich wieder hinein, und wieder, und ich wurde immer wütender. Was für ein blödes Kind! Und dieser Fratz, der Tiere als Spielzeug betrachtete, wurde noch nicht einmal bestraft. Fassungslos wartete ich darauf, dass einer der Erwachsenen einschritt, was natürlich nicht geschah, und ich selbst hatte natürlich Schiss. Als später der Klausi, ein Bub aus der Siedlung am Fuß des Hügels, „Fliegen operieren“ spielte und ihnen die Beine ausriss, weinte ich bitterlich. Menschen, konstatierte mein fünfjähriges Ich, sind niederträchtige, gedankenlose Monster.

Ich habe mich daran gewöhnt, dass ich in dieser Beziehung als seltsam gelte. Wenn mich Menschen, die ich sonst als differenziert und warmherzig kenne, angesichts meiner Kritik am Umgang mit der Schöpfung verständnislos anstarren. „Schöpfung!“, kreischte eine eigentlich sehr liebe Bekannte begeistert auf, als neulich das Thema aufkam, „Du klingst wie ein Pfaffe!“ Darauf erzählte ich, wie Heinrich Harrer tibetische Baustellen beschrieb, auf denen jeder Regenwurm gerettet wurde. Sie lachte verschämt (Merke: Buddhistische Prinzipien werden quer durch alle gesellschaftlichen Blöcke akzeptiert). Irgendwann wurde sie trotzig. „Du isst ja auch Fleisch und trägst Leder!“ – „Ja, aber ich und du und wir alle sind uns bewusst, dass es ethisch nicht in Ordnung ist, wie wir an dieses Fleisch und das Leder kommen. Die Kakerlaken im Dschungelcamp sind allen vollkommen wurscht, und das verstehe ich nicht.“ – „Du mit deiner i-Tüpferlreiterei“, schloss sie das Thema ab, „Und überhaupt bist du echt komisch, aber das ist ja nichts Neues.“

Ich ließ es, denn was sie sagte, stimmt natürlich. Ich bin mitunter echt komisch. Darüber hinaus bin ich, die „Ab nächster Woche dann!“-Veganerin, mir meines eigenen Versagens bewusst, und auch der Prioritätsstufe, die ein paar Kilo toter Maden in unserer verrückten Welt höchstens erreichten können.

Ich erlebte einmal, wie eine Rotte Halbstarker einen kognitiv behinderten Buben verhöhnte. Er verstand ihre Absicht nicht, aber sie lachten so vergnügt, da lachte er eben mit. Er kriegte nicht mit, dass es für anderer Leute Gaudium missbraucht wurde. Frage: Macht es einen Unterschied in unserem Urteil über ihr Verhalten? Oder in unserem Mitgefühl für das Opfer ihres Spotts? Wie definieren wir lauteres Verhalten? Wo müssen wir ansetzen, wo die Grenze ziehen, um unsere Seele – die eigene wie die des Kollektivs, der Gesellschaft, in der wir uns bewegen – nicht nachhaltig zu beschädigen? Geht es dabei nicht auch um Grundsätze, die sich im Kleinen zeigen müssen, um im Großen wirken zu können?

In meinem Inneren bin ich davon überzeugt, dass in der Art, wie in dieser von so vielen Millionen begeistert verfolgten Sendung mit Lebewesen umgegangen wird, im Kleinen ein – vielleicht nur winziges – Detail dessen sichtbar wird, was im Großen zu eben dieser verrückten Welt geführt hat. Und dass ich mich lieber verhöhnen lasse, und zwar ganz bewusst, als das prinzipielle Unrecht, das die Macher und Mitmacher dieser Sendung an unseren Mitkreaturen begehen, zu verleugnen – nur um nicht als „komisch“ zu gelten.

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Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:59

fischundfleisch

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