Gender-Dings: Über Striche und Sternchen zu diskutieren genügt nicht

Früher schrieb man bei Fragebögen unter „Hobbys“ so Dinge wie „Wandern“, „Kino“ oder „Faulenzen“. Im Social-Media-Zeitalter sollten wir überlegen, unsere liebsten Diskussionsthemen ebenfalls aufzulisten, verbringen wir doch auf Facebook, Twitter und diversen Foren erstaunlich viel Zeit damit, unsere Herzensthemen zu debattieren oder zumindest entsprechende Diskussionen unter entschlossener Sternchen- und Daumensetzung zu verfolgen. Beliebte Hobbys sind demnach also auch „Vorratsdatenspeicherung“, „Pegida“ und „Tatort“.

Eines dieser Hobbys ist ein Themenkomplex, den wir der Einfachheit halber unter „Gender-Debatte“ zusammenfassen wollen und der fast das ganze Land quer über soziale und geschmackliche Grenzen hinweg eint: Schlagersänger, Mathematiker, Moderationslegenden und FPÖ-Politiker traut beisammen, das muss man erst einmal schaffen. Selten erlebt man österreichische Meinungsmachende so enthemmt, was an sich erstaunlich ist, erklären doch gefühlt achtzig Prozent der Diskutierenden, dieses Gender-Dings sei kein Thema und ob wir denn keine anderen Probleme hätten. Dabei tat sich in letzter Zeit ein Philosoph namens Konrad Paul Liessmann besonders hervor, dessen Meinung so oft Thema in diversen Diskussionen war, dass ich sie nun ebenfalls kenne, obwohl sie mich nicht interessiert. Gender-Dings ist eines der Hobbys, die auch für gänzlich unbeteiligte – also nicht einmal Sternchen oder Daumen verteilende – Zuschauer spannend ist, wünschen die Zankenden doch einander gern unter unterhaltsamem Zeter- und Mordiogeschrei die Pest an den Hals. Dummerweise bleibt die Debatte dank der regen Teilnahme der „Hamma keine anderen Probleme?“-Fraktion meist auf der Ebene „Binnen-i oder Sternderl oder gar nix?“ hängen. Dabei gäbe das Thema noch viel mehr her, und dieses „mehr“ müssten wir auch bereit sein in die Diskussion zu lassen, sonst bleibt’s weiterhin so kindisch wie bisher.

Bleiben wir doch gleich bei der sogenannten gendergerechten Sprache. Hier hat es keinen Sinn, an der Oberfläche, nämlich der Schreibweise, anzusetzen. Die sollte das Ergebnis eines tiefgreifenden Prozesses sein. Also müssen wir schon tiefer hinunter in das wild durcheinander wuchernde, teilweise verstopfte oder schlicht durchgerostete Rohrgewinde aus Kultur, Migration, Erlässen und Vereinheitlichungswellen, aus dem sich unsere Sprache über Jahrhunderte zu diesem bis heute nur mühsam gebändigten Monstrum, genannt Deutsch, zusammenfügte.

Stichwort Kultur also. Im Zuge der Berichterstattung über den kürzlich in einem Pariser Lebensmittelhandel verübten Terroranschlag fiel eine Formulierung auf: Der Täter, so wurde berichtet, habe zahlreiche Geiseln genommen, „darunter Frauen und Kinder“.

„Darunter Frauen und Kinder“. Diese Formulierung ist in der medialen Berichterstattung so etabliert wie „steht Rede und Antwort“ oder „einen Bärendienst erweisen“, und wird entsprechend wenig bis gar nicht hinterfragt. Der Hintergrund ist schnell umrissen: In der europäischen, vom Prinzip der Ritterlichkeit durchsetzten Kultur hatten Frauen und Kinder zwar nicht viel zu melden, zumindest jedoch ein Anrecht auf besonderen Schutz vor den Folgen dessen, was die fast durchwegs männlichen Entscheider vermurksten. Sie waren gewissermaßen Opfer dessen, worüber andere für sie bestimmten und somit nicht zur Verantwortung zu ziehen. Gut gemeint ist bekanntlich das Gegenteil von Gut, aber heben wir uns diesen Aspekt (und die dazugehörige Frage, ob ein zwangsrekrutierter Stallknecht nicht ebenso unschuldig war an den Einfällen seiner Obrigkeit wie die Magd) für ein anderes Mal auf.

Es geht also um das Recht auf Schutz vor den Folgen der Taten einer männlichen, laut eigenen Angaben jedoch ohnehin nur an ihrem, dem Wohl der Frauen, interessierten Bestimmerriege. Abarten davon kennen wir unter anderem als Ausruf „Frauen und Kinder zuerst!“

Ich möchte uns alle ermuntern, unser liebes Hobby „Gender-Dings“ um diesen Aspekt zu bereichern: Frauen haben – zumindest in Europa und zumindest auf dem Papier – die gleichen Rechte, wenn auch noch nicht die gleichen Pflichten. Es gibt alleinerziehende Väter und an unserem politischen Führungspersonal sind wir alle gleich schuld. Eines der beklemmendsten und zugleich berührendsten Bilder in den furchtbaren Tagen der Anschläge von Paris war das eines jungen Vaters, der nach der Befreiung aus dem Lebensmittelladen durch die Polizei mit seinen kleinen Sohn in Sicherheit rannte. Ich weiß nichts über den Mann, aber ich dachte darüber nach, was dieses „Darunter Frauen und Kinder“ für einen engagierten Vater bedeuten mag.

Das ist nur ein Aspekt, der in der Sprachdebatte zu kurz kommt: der kulturelle Hintergrund einer sprachautomatisierten Floskel.

Ich spare bewusst den eine eigene Kolumne verdienenden Aspekt der Gewalt gegen Männer und Frauen in kriegerischen Konflikten aus, um hier nicht vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen. Ich möchte einfach ein paar Gedanken anstoßen, um der unsäglichen „Gender-Dings“- Diskussion mehr Dimensionen zu verleihen. Denn eigentlich ist es ja so: Geschlechtergerechtigkeit ist kein Dings. Sie wird nicht mit dem nötigen Ernst diskutiert. Wir sollten lösungsorientiert streiten. Und mit rein kosmetischen Maßnahmen ist es nicht getan.

Die Fragen, die wir uns auch in sogenannten Mainstream-Diskussionen stellen sollten (in feministischen Kreisen tut man das schon lange, nur will das niemand hören, weil es statt schnell hingeworfener Killersätze tatsächliches Nachdenken erfordert) sind solche wie „Welche Rolle spielen Männer und Frauen in unserer Gesellschaft?“ – „Welche Rechte und Pflichten gehen damit einher?“ – „Wo müssen Frauen gewisse Privilegien, selbst wenn sie nur theoretisch oder in Worthülsen existieren, überdenken und vielleicht aufgeben?“

Ich habe noch keine Antwort auf diese Fragen, sie sind auch für mich weitgehend frisch. Ich bin aber überzeugt, dass derartige Diskussionen nötig sind, um zu einem neuen Verständnis für geschlechtergerechte Sprache zu führen – die entsprechend angepassten Schreibweisen würden als Folge dieses Gedankenprozesses bestimmt unter gänzlich anderen Voraussetzungen diskutiert und eingeführt werden. Und was diese neu aufgeworfenen Fragen betrifft – hier würde mich die Meinung des oben erwähnten Herrn Liessmann durchaus interessieren.

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