Iran, Nordkorea, Saudi Arabien: Darf man in diese Länder reisen?

Schon mit zehn Jahren hatte ich eine „Schurkenstaaten“-Liste von Ländern, in die ich niemals, aber wirklich niemals reisen wollte, solange ich lebte. Weil dort Menschen verfolgt oder Tiere gequält wurden. Diese Liste orientierte sich an meinem damaligen Kenntnisstand über die Welt, der nur unwesentlich von meinem heutigen abwich – scio nescio.

Auf meiner Schweinehundstaaten-Liste standen damals China (weil sie dort Hunde und Haifische aßen) und die USA (weil sie Winnetou getötet hatten). Bis zu meinem elften Lebensjahr erweiterte sich die Liste auf Südafrika (wegen der Apartheid) und Indien (weil dort Witwen verbrannt wurden). Dafür strich ich die USA wieder von der Liste, denn erstens hatte ich kapiert, dass ich selbst halbe Amerikanerin war, und zweitens wollte ich dort ins Sommerlager. Auch Indien wurde gestrichen, als ich feststellte, dass die Witwenverbrennungen schon eine Weile her waren. Ich kann ja, dachte ich, Indien wieder auf die Liste setzen, wenn man dort neue Spompernadeln macht.

Dann wiederum gab es Länder, in denen jeden Tag großes Unrecht geschah, deren Verbrechen mich aber nicht so störten, dass ich eine Reise dorthin kategorisch ausschloss. Die Sowjetunion etwa, wegen der bunten Zwiebeltürme und des Kirov-Balletts. Heute müsste ich wohl Nordkorea auf Platz eins meiner No-go-Liste setzen. Doch dieses seltsame Land übt eine seltsame Faszination auf mich aus - die irre Ästhetik, der Reiz des Vebrotenen ... Außerdem gibt es dort Musiker und Tänzer, die einem die Tränen in die Augen treiben, so perfekt ist ihr Auftritt. Kann man nach Nordkorea fahren und sagen: „No politics, please, ich bin nur wegen des Kulturangebots hier ...“? Bis jetzt lautet meine Antwort: „Nein, kann man nicht.“ Aber es fällt mir mit jedem Reisebericht, den ich über dieses Land lese, schwerer.

Saudi Arabien kam schon in meinen Teenagerjahren auf die Schurkenstaat-Liste, und da ist es bis heute geblieben. Bei Pakistan bin ich unschlüssig, bei Indien tendiere ich zu No-go: ein perfides Kastensystem, Kaltschnäuzigkeit gegenüber Benachteiligten, eine tief verwurzelte Frauenverachtung, die mich schaudern lässt. In die USA, denen man dieselben drei Punkte im Prinzip ebenso vorwerfen könnte, wenn man nur genauer hinschaut, reise ich allerdings jederzeit. Und wie steht es mit dem Iran? Deshalb habe ich dieses Gedankenspiel überhaupt erst begonnen. Dort werden Menschen aufgehängt, weil sie lieben, wen sie wollen. Aber es soll auch ein wunderschönes Land sein, und nach der Einigung im Atomstreit wird sicher auch der Fremdenverkehr angekurbelt …

Sie sehen, die Grenze der Empörung verläuft entlang der eigenen subjektiven Wahrnehmungen, schlängelt sich um selbst verfasste Ausreden, wird über weite Strecken durch die Machbarkeit definiert (Es schimpft sich leichter über ein Land, wenn man eh nicht hin darf) und ist deshalb vor allem eines: fließend. Eine Schurkenstaaten-Liste ist immer selbstgerecht, immer verlogen, immer mit eigenen Interessen verknüpft.

Soll man dann lieber gar keine Schurkenstaaten mehr benennen? Sollen wir Länder prinzipiell nicht zu No-Go-Zonen erklären, weil wir ohnehin niemals gerecht sein können in der Erstellung unserer No-Go-Liste? Und müssten wir dann nicht – denkt man den Gedanken zu Ende – in weiterer Folge auch sämtliche Sanktionen, die aus politischen Gründen verhängt wurden, kübeln, weil Sanktionen doch nichts als eine Sammel-No-Go-Liste sind, immer selbstgerecht, immer verlogen, immer mit eigenen Interessen verknüpft ?

Im Iran werden auch jetzt Menschen aufgehängt, weil sie lieben, wen sie wollen. Aber die Herren von der Regierung haben versprochen, keine Atombombe zu bauen und das mit Israel haben sie nicht so gemeint, wer wird denn gleich jedes Wort auf die Waagschale legen ... Na, dann wollen wir mal über den Rest hinwegsehen, sagt die westliche Welt, die ihre Zapfhähne an immer neuen Fässern ansetzen muss, damit ihr krankes Wirtschaftssystem nicht austrocknet. Man kann ja überlegen, haben sie bestimmt gesagt, als sie einander die Hände schüttelten, den Iran wieder auf die No-go-Liste zu setzen, wenn er neue Spompernadeln macht. Aber bis dahin schauen wir, was geht.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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