Die Leiden des jungen Fäuleins / 11

(K)eine Liebesgeschichte

Ich traf ihn an einem Freitagabend in der Stadt. Es war kalt, aber er trug silberne Sandalen. Unterwegs war er, auf einem Fahrrad. Ich war frustriert von der Arbeit und meine Laune war so kalt wie die Luft. Ich erinnere mich an seine weißen Zähne. Seine dunklen Haare und dunklen Augen. Dunkel wie die Nacht. Wir unterhielten uns nicht lange. „Schreib mir!“ – er gab mir seine Nummer. ICH soll ihm schreiben. So verblieben wir.

Es vergingen 2 Tage in denen er meine Gedanken nicht beeinflusste. Fast vergessen. Fast.

Montagmorgen. Ich melde mich. Kann ja nicht schaden, meine Güte. Spärlicher Textaustausch- es vergeht wieder ein Tag. Nichts. Mittwoch. „Hast du Lust mich von der Theaterprobe abzuholen?“ ICH ihn?! „Ja, okay.“ Meine Antwort kommt in Begleitung von skeptischen Vorahnungen. Wir nehmen uns eine Stunde Zeit füreinander. Das Café in welchem wir sitzen ist fast leer. Sein Blick nicht. Er scheint mich zu verschlingen. Fragen über meine Familie, Hobbies und was denn mein Sternzeichen sei. Vorlieben. Ängste. Dann fragt er mich ungeniert wann ich zum letzten Mal Sex hatte. Ich werde rot. Seine Augen glänzen. „Erm… vor ner Weile…“ – ich spüre meinen Herzschlag ungewollt schneller werden. Warum ist mir diese Frage aus seinem Mund so unangenehm? „War es denn so schlecht?“ er fixiert mich. „Nein.“, lüge ich. Er lächelt. Seine Erzählungen über seine Pläne und seine Vergangenheit machen mich neugierig. Dieser Blick. Ich habe das Gefühl als würde ich nackt vor ihm stehen. Warum? Ich bin doch sonst nicht so leicht einzuschüchtern. Er mustert meinen Körper. „Du bist so schön.“ – er beißt sich auf die Unterlippe. Es scheint als hätte er sich diesen Kommentar eigentlich verkneifen wollen. Er fängt an mit seiner Hand an seinen Haaren zu zupfen. Die Innenseite seines Oberarms kommt zum Vorschein. Ein Tattoo wird sichtbar. Ein Vogel. Vielleicht eine Taube? Ich versuche schnell wegzuschauen, aber er hat meinen Blick schon eingefangen. Jetzt bloß nicht zeigen, dass du durchschaubar bist! „Ganz ehrlich, ich glaube du bist ein Heartbreaker.“ – ich versuche ihn festzunageln. „Hmm, merkwürdig. Ich wollte gerade genau dasselbe zu dir sagen.“ – er grinst mich an. „Naja, ich bin Schauspieler weißt du.“ – er weicht meinem Blick aus. Ich versuche seine Worte zu interpretieren. Er ist mir ein Rätsel. Wir verabschieden uns. Er erwidert meine Berührungen nicht. Ich komme mir plötzlich dumm vor. War das gerade so ne Art Date? „Schreib mir. „ – er verschwindet unbeschwert.

In dieser Nacht träume ich von ihm. Nächster Tag. Der Drang sich bei ihm zu melden ist sehr präsent. Meine Freunde raten mir ab, aber mein Gehirn drängt mich dazu. Ich bekomme seine dunklen Augen nicht aus dem Kopf. „Hey.“ – tippe ich. „Hallo, schöne Frau.“ Oh Mann. Dieser Typ ist nichts für dich, Kleines. Mein Herz versucht mir Nachrichten zu vermitteln, aber mein Verstand nutzt die Gelegenheit und spielt mir einen Streich. Ich überlege gerade eine passende Antwort, auf einmal ruft er an. „Wo steckst du, Süße?“ Zuhause, und ich will mich nicht mehr von dir verwirren lassen! „Bin daheim, wieso?“ ich lache leise über mich. „Sehen wir uns heute?“, er klingt aufgeregt. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. „Klar, okay. Wo?“, meine Stimme wird höher. Mann, bist du peinlich. „Um 8 bei mir. Ich schicke dir die Adresse.“ – er legt auf. Ich traue ihm irgendwie nicht, dennoch freue ich mich wie ein Teenager. Was erwarte ich mir?

Es ist halb 8. Ich bin am Weg zu ihm. „Komm rein.“ – der Türöffner summt. Okay, nur die Ruhe. Er öffnet mir die Tür in einer Jogginghose und einem weiten Shirt. „Wow, du bist aber fein angezogen.“, er mustert mich ein wenig verlegen (bilde ich mir ein). „Hab davor meine Tante besucht.“ – ich werde rot. Das habe ich wirklich, aber fein gemacht habe ich mich wegen ihm. Ist ja immerhin unser zweites Date, oder nicht? Ich stehe immerhin in seiner Wohnung, oder nicht? Wir kochen. In seiner Küche ist es chaotisch. Ich finde seine persönlichen Angewohnheiten überraschend anziehend. Sein ganzes Verhalten ist komplett gegenteilig von meinem. Ich fühle mich wohl hier. Bei ihm. In seinem Zimmer ist es ebenfalls unordentlich. Seine Haare auch. Würde sie gerne anfassen. „Irgendwie bist du weniger angriffslustig als bei unserer letzten Begegnung. Du fängst doch nicht etwa an mich zu mögen?“, er schubst mich sanft. Ich setzte mich auf seine Couch. „Das höre ich oft. Ich brauche eben länger Zeit um mich zu öffnen. Bloß nicht übermütig werden. Liegt bestimmt nicht an dir.“ Es liegt sowas von an ihm. Es wäre alles viel einfacher wenn er wüsste wie kaputt mein Herz ist und wieviel Pech ich mit Männern hatte. Wenn er wüsste, dass ich nach allem einfach mit Enttäuschungen und Problemen rechne. Alles wäre einfacher wenn er mich einfach in den Arm nehmen würde. Ohne Spielchen. Ohne Drama. Wir rauchen. Er spielt Gitarre und fängt an zu singen. „Mehr zeige ich dir beim nächsten Mal.“ Ich halte inne. Nächstes Mal? Stunden vergehen. Zigarettenrauch. Rotwein. Musik. Nichts passiert. Seine Augen werden müde. Wie gerne würde ich mit meinen Händen durch seine Haare fahren. Vielleicht könnten wir gute Freunde werden. Das wäre doch nett. Ich erinnere mich an meinen Bus, den ich vor Mitternacht erwischen muss. Er begleitet mich zur Tür. Wir nähern uns einander für eine Umarmung. Seine Hand ruht auf meiner Schulter. Ein Moment? Unmöglich. Freunde haben solche Momente nicht. Auf dem Heimweg denke ich nach. Was sind seine Absichten? Warum kann ich ihn nicht deuten? Eindeutig zulange keine Dates mehr gehabt. Falls es sich überhaupt um ein Date gehandelt haben sollte.

Seitdem Abend ist er (im Gegensatz zu meinen Gedanken) verstummt. Sonntag. „Ich möchte dich heute Abend sehen. Komm zu mir.“ – ich muss die Nachricht zweimal lesen. Ich ignoriere quälende Gefühle aus meinem Inneren und folge meinem Instinkt. Zwei Stunden später stehe ich vor seiner Tür. Wir sitzen wieder auf der Couch und rauchen. Seine Augen sind fröhlich, sein Blick eindringlich. Mir wird heiß. „Ich habe übrigens ein neues Tattoo.“ – werfe ich ein. „Lass mich sehen." Er steht auf. „Nein!“ – ich drücke meine Hand auf die Stelle wo sich das Tattoo befindet. Meine Rippen. „Ist schon gut.“- sagt er ruhig. „Ich kann warten.“ – ich werde rot. Er setzt sich wieder vorsichtig neben mich.Diesmal viel näher als vorher. Ganz ruhig. Es folgt ein inniger Kuss. Sein Duft erinnert mich an Sandelholz. Ich entspanne meinen Körper. Sein Atem wird schwer. Er legt sich zu mir und ich beuge mich über ihn. Seine Haare fallen ihm ins Gesicht und ich kann nicht anders als sie mit meinen Fingern nach hinten zu kämmen. Seine schimmernden Augen sind von langen Wimpern umgeben. Er setzt sich auf und ändert die Musik. Rodriguez- Supermen. Mein Herz pocht. Es kommt mir vor als wäre ich stiller Beobachter. Mein Verstand ist offline. Da ist nur mein Körper. Sein Körper. Rodriguez im Hintergrund. Das nächste Lied. I think of you. Es ist ganz bewusst keine Emotion im Spiel und dennoch fühle ich Glück und Dankbarkeit. Ich höre auf ihn deuten zu wollen. Dieser Moment. Hier. Er. Vollkommen.

Wir rauchen und er setzt sich mir gegenüber. Sein Blick ruht auf mir und ich lege meine Beine über ihn. Wir sehen uns lange an. Nach einer Weile nimmt er mich in den Arm. Wir unterhalten uns über Literatur und Spiritualität. Ich verliere mich in seiner Stimme. Als es Zeit wird zu gehen gibt er mir zum Abschied sein Lieblingsbuch. „Lass mich wissen ob es dir gefällt.“ Ich nehme es an mich. – Der Traumsammler von Khaled Hosseini – Ich verlasse seine Wohnung. Verwirrt. Froh. Erleichtert.

Ernesto und ich trafen uns etwa einen Monat lang regelmäßig. Fast jede unserer Begegnungen blieb ohne nicht jugendfreie Vorfälle. Fast jede. Ich beendete es nachdem mir klar wurde, dass er ein mindestens genauso kaputtes Herz hatte wie ich. Im Gegensatz zu mir versuchte er erst gar nicht nach Heilung oder Ähnlichem zu suchen. Er war gerne verloren. Dazu genoss er die Gesellschaft von Frauen. Mehreren Frauen. Gleichzeitig. In meinem Kopf beschreibe ich ihn gerne als wundervolles, faszinierendes Chaos von Mensch. Wir gingen im Guten auseinander und auch wenn es nicht lange genug anhielt um richtige Gefühle zu entwickeln, fühlte ich mich ihm sehr verbunden. Auf eine merkwürdig –komische- kann-man-nicht-erklären-Art und Weise…

...Fortsetzung folgt.

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