Die Leiden des jungen Fräuleins/ 9
Blindes (Er)Schau(d)e(r)n
''Ich bin hier!'' rufe ich in die Dunkelheit. Ich kann wirklich kaum etwas erkennen. Zum Glück ist mir nach zwei Jahren jeder Winkel im Restaurant bekannt, dass ich mich wortwörtlich im Dunkeln zurechtfinde. Plötzlich packt mich jemand am Arm. Die Weinfahne des Chefs ist unverwechselbar. ''Bernadette, das ist eine Ausnahmesituation. Habe gerade mit Albert telefoniert (Albert ist der Chef eines anderen Lokales, gleich um die Ecke), bei ihm ist ebenfallsby save net"> Stromausfall. Es betrifft anscheinend die ganze Gegend hier. Also, die Computer sind tot, es gibt keine Elektrizität in der Küche und alle Gäste schieben Panik. Gut. Wichtig ist, dass wir ganz ruhig bleiben!" Ich spüre wie sein Griff fester wird und er schien wieder zu zittern. Ich erinnerte mich an mein Handy, welches sich in meiner Hosentasche befand und nahm es heraus. Nach dem ich die Taschenlampe aktiviert hatte, leuchtete ich in die Runde und sah mich um. Einige Gäste lachten amüsiert, andere hatten einen leicht verwirrten Ausdruck im Gesicht und bis auf ein paar griesgrämige Stammgäste schienen alle ziemlich entspannt. ''Herr Chef ich glaube die Leute sehen das ganz locker. Kann doch jedem Mal passieren. Haben wir genug Kerzen?'' ich leuchtete in mein Gesicht und versuchte ein sanftes Lächeln aufzusetzen (wahrscheinlich ähnelte ich unter solchen Umständen eher einer Halloween Maske). ''Oh ja, genau! Kerzen! Wir brauchen Kerzen! Gute Idee. Serafinaaaaaaaaaaa.'' er ging eilig weg. Ich ging wieder zur Schank und öffnete die Lade wo ich die Geldbörse aufbewahre. Sie war noch da, zum Glück! ''Fräulein! Wo sind Sie? Was ist denn passiert? Ich muss kurz eingenickt sein? Schließen sie schon?'', Herr Santos schien gerade aus seinem Koma erwacht zu sein. ''Oh Herr Santos, nur mit der Ruhe. Wir haben Stromausfall im Restaurant. Es ist alles in Ordnung, gleich werden Kerzen angezündet.'' ich stand genau vor ihm. ''Oh ich verstehe, das ist ja aufregend! Wissen Sie, das erinnert mich an eine Geschichte als ich noch ein Junge war. Wir waren mit unseren Eltern auf Urlaub in Kroatien und in diesem einen Hotel ging auch plötzlich das Licht aus....'', ich stürzte mein Gesicht in meine Hände und war dankbar, dass man es nicht sehen konnte. ''Herr Santos, entschuldigen Sie mich bitte, ich werden hinten im Office gebraucht.'' Ich ging nach hinten und schaltete meine Taschenlampe ein. Der Chef und der Oberkellner diskutierten heftig über Kerzen, als der Chef mich entdeckte. ''Oh, da bist du ja! Okay, wir haben nicht genug Kerzen. Hier, (er drückte mir einen Schlüssel in die Hand) geh rauf zu meiner Wohnung und hole aus der Kammer neben der Toilette noch ein paar Laternen. Ich habe sie erst letzte Woche aus dem Gartenhaus hergebracht, als hätte ich geahnt dass wir sie brauchen werden.'' Ich schaute ihn verdutzt an. Der Oberkellner reichte mir eine Stofftasche. ''Pack so viele ein wie du tragen kannst. Beeil dich!'' Ich ging eilig aus dem Restaurant und bog rechts ab. Die Wohnung vom Chef befand sich im selben Gebäude, im obersten Stockwerk. Ich war schon einmal oben gewesen, als seine Mutter zu Besuch war und ich ihr Mittagessen hinauf bringen musste (ja, auch das zählt natürlich zu den Aufgaben eines Schankmädchens!) Ich sperrte also die große Eingangstür auf und betrat den endlos langen Gang. Vor dem Lift blieb ich stehen und drückte den Knopf in der Hoffnung ich müsste durch irgendein Wunder nicht alle Treppen bis in den 8ten Stock hinauf gehen. Natürlich war der Lift tot. Okay, auf geht's. Im fünften Stock bekam ich Seitenstechen und in meinem Kopf verfluchte ich den Stromausfall zum ersten Mal. Oben angekommen, sperrte ich vorsichtig die Haustür auf und spähte hinein. Nichts zu erkennen und nichts zu hören. Ich machte ein paarby save net"> Schritte vorwärts und unter meinen Schuhen spürte ich einen weichen teuren Teppich (hoffentlich kein Tierfell oder sowas). Okay. Wo war nochmal die Toilette? Die Wohnung war riesig. Ich erinnerte mich an damals zurück, wo ich sie das erste Mal betrat und Ausschau nach einer Rezeption hielt. Ich schaltete meine Taschenlampe ein und fand nach ein paar Minuten die Kammer mit den Laternen. Ich packte einige in die Stofftasche und wollte gerade wieder gehen als ich auf einmal Schritte hörte. Oh Nein. Das alte Parkett der Altbauwohnung knarrte unter irgendwelchen Füßen und dann hörte es auf. Der Mörder musste nun den Teppich erreicht haben. Ich schaltete das Licht meines Handys aus und hielt den Atem an. Das wars jetzt wohl. Ich werde ich einer Luxuswohnung (die nicht einmal mir gehörte) im Dunkeln ermordet werden und wenn sie unten dann darauf kommen, dass die Laternen noch nicht gebracht wurden wird man meine Leiche zerstückelt in einer dreckigen Kammer finden. Ich bin doch noch so jung und habe nicht einmal einen festen Freund der einen herzzerreißenden Gitarrensong über meinen Tod schreiben könnte. Ich sah einen Schatten im Türspalt und er kam immer näher. Die Tür wurde vorsichtig geöffnet und ich verabschiedete mich von meinen Zukunftsträumen - eine berühmte Autorin zu werden, Leonardo DiCaprio zu heiraten, Kinder zu haben, nach Südafrika zu reisen, auf einem Elefanten zu reiten und auf eine Florence + the Machine Konzert zu gehen. ''AHHHHHHHHHH'', ich schrie auf (wobei es sich wie ein doppeltes Echo anhörte). Der Mörder schrie nämlich ebenfalls. Es wurde eine fremde Taschenlampe eingeschaltet und mir direkt in die Augen geleuchtet. ''Um Himmels willen, hör auf zu schreien. Ich bin's'', ich blickte am Licht vorbei und erblickte Anastasia. Die älteste Tochter vom Chef. Sie stand vor mir in einer Spongebob Schwammkopf Pyjamahose und einem Gun's and Rose's T-Shirt (man beachte den abgestimmten Style!). ''Oh. Hi. Sorry, dachte du willst mich umbringen.'' ich lächelte während sich mein Puls normalisierte. ''Ha ha ha nein, ich bring doch keine Angestellten meines Vaters um, das wirft schlechtes Licht auf das Restaurant.'' Sie lachte. (ich lachte auch vor allem wegen der Wortwahl!) Anastasia war etwa 2 Jahre jünger als ich und ichhatte vollkommen vergessen, dass sie hier wohnte. ''Ich hab nur ein paar Laternen geholt. Der Chef ist bisschen in Panik geraten.'' ich deutete auf die Stofftasche. ''Klar. Das sieht ihm ähnlich. Schon blöd dieser Stromausfall. Ich konnte meine Serie nicht zu Ende schauen.'' (Nun ja, jeder hat seine eigenen Probleme). ''Ich geh dann mal. Tschüss.'' ich verabschiedete mich und verließ die Wohnung. Wieder im Restaurant angekommen, waren bereits fast alle Tische mit Kerzen und Laternen geschmückt. Da es eine lauwarme Sommernacht war, verbreitete sich eine wirklich angenehm (übelkeiterregende) romantische Atmosphäre im Lokal. ''Ich habe die Laternen geholt.'' ich stellte die Stofftasche auf die Schank und fing an sie nacheinander anzuzünden. ''Danke, danke, danke!'', der Chef tätschelte meine Schulter. Die Situation schien nun unter Kontrolle zu sein. Es war kurz vor Mitternacht. ''Fräulein, ich würde gerne zahlen!'', Herr Santos' Stimme durchbrach die romantische Stille. ''Rechne es einfach zusammen, es gibt keineby save net"> Rechnungen solange die Computer nicht wieder gehen.'', flüsterte mir der Chef ins Ohr und verschwand. ''Okay, Herr Santos das wären dann genau 15 Euro. Er kramte in seiner Geldbörse und drückte mir einen Schein in die Hand. ''Behalten Sie den Rest junges Fräulein, Sie müssen sich ja schließlich immer die Geschichten von einem alten Mann anhören.'' er lachte und verschwand durch die Tür. Ich musste auch lachen. Später bemerkte ich, dass er mir einen 50 Euro Schein gegeben hatte. Das war bestimmt aus Versehen gewesen, da er ja schon bei Sicht etwas verwirrt ist oder er war der Meinung, dass seine Geschichten wirklich so viel Trinkgeld verdienten. Ich ging ins Office und tastete nach meinem Orangensaft. Ich entspannte für ein paar Minuten und sehnte mich innerlich nach einer Zigarette. ''Louisa, könntest du bitte noch ein paar Menükarten aus dem roten Saal holen? Die werden gerade etwas knapp. Und wo zum Kuckuck ist Serafina? Hat die wer gesehen?'' sagte der Oberkellner. Ich machte mich schlapp auf den Weg. Der rote Saal befand sich einen Stock tiefer, er wird meistens für größere Feiern gemietet. Ich schob die schwere Schiebetür auf und aktivierte meine Taschenlampe. Ich leuchtete in den Saal, als ich plötzlich in einer Ecke zwei Gestalten entdeckte. Ich nährte mich vorsichtig und sah wie sie eng umschlungen und küssend aneinander klebten. ''Serafina?'' Erschrocken lösten sie sich voneinander. Der Mann mit dem es gerade heiß zu Sache ging war einer der ausgelehrten Kellner (einer der verheirateten ausgelehrten Kellner). Ups. Ich drehte mich reflexartig weg und leuchtete das Licht in eine andere Richtung. ''Ich muss Menükarten holen. Der Oberkellner sucht dich überall.'', sagte ich leise. Der Kellner verschwand wie ein Blitz und Serafina kam auf mich zu. Ich hatte Angst, dass sie mir eine verpassen könnte. Sie ist ziemlich stark. ''Es ist nicht was du denkst.'' sie berührte mich an am Arm. ''Hey, du musst mir wirklich nichts erklären. Sei nur froh dass ich euch gefunden habe und nicht wer anderer. Ich werde nichts sagen. Du solltest raufgehen.'' ich suchte weiter nach Menükarten. ''Weißt du, ich liebe ihn.'' sie seufzte und verweilte einen Augenblick bevor sie ebenfalls verschwand. Ich fand sie Karten und ging wieder rauf zu Schank. Was ist das bitte für ein verdrehter Abend, verdammt?! Die Minuten vergingen und um Punkt Eins verließ der letzte Gast das Restaurant. Ich war überglücklich als der Chef endlich die Tür zu sperrte. Wir gaben alle unsere Geldbörsen ab und gingen in die Garderobe. Als ich endlich am Weg nach Hause war, schaltete ich meinen iPod ein und hörte zum ersten Mal in der Woche kein französisches Lied. Zu den Klängen von the Cure stieg ich in meine Straßenbahn und war dankbar, dass dieser Tag endlich vorbei war.....
...... Fortsetzung folgt.