Stoßartig atme ich aus, bevor ich den Umschlag in den Safe werfe. „Du hast Glück, dass du schon heim kannst.“, meint meine Kollegin, während sie unterschreibt. „Hm.“ Ich sehe ihr an, dass sie so unzufrieden mit ihrem Posten ist wie ich. Unzufrieden? Ist das das richtige Wort? Vielleicht eher unausgelastet - vor allem aber uninspiriert, desinteressiert. „Sie nerven mich alle nur noch. Ich würd‘ gern von hier verschwinden.“, bestätigt sie meine Vermutung. „… aber dazu muss ich erst einmal was anderes finden.“ Muss sie? Irgendwie ja, wegen der Miete und dem Kühlschrank halt. Außerdem scheint sie zu den Menschen zu gehören, die gerne Kleidung kaufen, obwohl der Schrank schon voll ist. Macht nichts, es gibt schließlich auch größere Schränke. Wenn sie umzieht, hat sie vielleicht sogar Platz für einen Wandschrank, aber dann wird das erst recht nichts, mit der Kündigung. Kündigen soll man hier ohnehin nicht, hat man mir bei meiner Ankunft in der Region erklärt. Schließlich ist es die mit der höchsten Arbeitslosigkeitsrate in ganz Frankreich. Deshalb haben wir seit kurzem auch einen Bürgermeister, der sich eine Liste mit für ihn arabisch klingenden Namen gemacht hat, um herauszufinden wie viele Muslime seine Großzügigkeit beherbergt. Den Rechtsorientierten ist es schließlich schon immer gelungen, die Krisen zu bewältigen.
Als Österreicherin bin ich natürlich willkommen - zumindest hat mir noch niemand das Gegenteil bewiesen. Glücklich soll ich mich schätzen, mit einem unbefristeten Vertrag, in dieser Region. Es ist ein hinreißender, filmähnlicher Ort. Hier gibt es Berge, Seen, Wasserfälle, das Meer, Weinfelder. Die Mieten sind niedrig, die Arbeitsplätze rar. Die meisten Leute in meinem Alter haben bereits mehrere Kinder und leben von der Sozialhilfe. Und wir, die das Glück haben uns ein wenig besser bei den Arbeitgebern angepriesen zu haben, geben uns mit unzufrieden stellenden Jobs zufrieden. Ich stelle mir die Frage, wie ich überhaupt auf die Idee gekommen bin, diese Ausbildung zu machen. Ich muss mich an die Nachfrage angepasst haben. Anstelle der Frage, was mich denn glücklich macht, stellte ich mir die, was denn die Wirtschaft von mir wolle. Das System, das uns von allen Seiten klarmacht, dass es an uns liegt, uns anzupassen. Dabei ist doch die einzig wirklich wichtige Frage, die wir uns stellen sollten die, was uns und unsere Mitmenschen glücklich machen könnte.
Deshalb schreibe ich, wenn ich das Glück habe, während der Nachtschicht von den Kunden in Frieden gelassen zu werden. Nicht, dass ich die Kunden nicht mag, ich mag die Menschen, so ganz allgemein sogar ziemlich. Doch der einzige Grund, weshalb ich hier gerade gegenüber meiner Kollegin stehe, die mir ein müdes Lächeln ohne Funkeln in den Augen andeutet, ist der, dass ich zufälligerweise Deutsch spreche. Und ja, sicher – die Miete und der Kühlschrank. Wir geben uns zufrieden, sowie es von uns erwartet wird. Schließlich leben wir in Zeiten der Krise. Ich erinnere mich gar nicht mehr seit wann dieses bedrohlich klingende Wort in meinen Ohren widerhallt. Vielleicht sogar schon seit meiner Schulzeit. Dieses Wort macht, dass Arbeitsbedingungen und Lohn nebensächlich werden. Schon morgen könnte es uns ergehen wie unserem Nachbarn, dem Schmarotzer, der von unseren Steuergeldern lebt.
Schenk uns bitte ein Like auf Facebook! #meinungsfreiheit #pressefreiheit
Danke!
Noch schlimmer ist natürlich, dass dieser sich die Frechheit erlaubt „nix“ zu machen. Dass wir auf den Feiertag warten, das Wochenende, die Rente, um es ihm gleich zu tun, ist natürlich etwas anderes, denn wir leisten schließlich etwas für unsere Gesellschaft. Oder für unsere Vorgesetzten, die aufgrund lebenswichtiger Fachkenntnisse dazu auserkoren wurden über unseren Tag zu bestimmen. Acht Stunden am Tag, vierzig die Woche. Was könnte man auch vierzig Stunden die Woche interessanteres machen als zu arbeiten, würde man wie der schmarotzerische Nachbar, „nix“ tun? „Ich sag dir – arbeitslos sein, das ist nicht lustig. Ich war es einige Monate lang und am Ende haben mir sogar meine Freunde den Rücken zugekehrt, da wir keine Gesprächsthemen mehr hatten.“ Nach dieser Aussage kehre auch ich meiner Kollegin den Rücken zu. Ich bin zu müde, um diese seltsame Meinung (Meinung?) in Frage zu stellen, vor allem in Verbindung mit dem Wort „Freunde“. Müde, wie wir das alle abends sind.
Das ist eine trügerische Müdigkeit, die uns seit Jahren glauben lässt wir hätten etwas geleistet, indem wir uns an eine Gesellschaft anpassen, die uns sonst nicht haben will. Natürlich lebe ich nicht wirklich was ich predige, sonst stünde mein Auto jetzt nicht auf diesem Parkplatz. Ich werfe dessen Tür hinter mir zu und parke rückwärts aus. Die Frage, die ich mir eigentlich stelle, ist die, wie es uns gelingen kann aus der Schafsherde auszubrechen. Seit einiger Zeit suche ich nach einem neuen Arbeitsplatz. Vielleicht sollten wir damit aufhören die Stellenausschreibungen zu durchforsten. Stattdessen könnten wir uns nach Tätigkeiten umsehen, die uns wirklich Spaß machen, spontan Firmen kontaktieren, die interessant klingen. Aufhören, unsere Kenntnisse auf das zu limitieren, was unter unserem Namen auf Zeugnissen und Zertifikaten abgedruckt wurde. Dir die Frage stellen, was du willst, nicht die von dir. Je öfter es uns gelingt die gewohnten Wege zu verlassen, desto schneller wird es uns auch gelingen uns von Maschinen zurück zu Menschen zu verwandeln. Ich fahre durch das große Tor. Natürlich komme ich morgen wieder, auch wenn ich keine Lust dazu habe. Aber irgendwann ist morgen schließlich gestern.