Es war ein Konflikt, der über lange Zeit schwelte und höchstens indirekt ausgetragen wurde. Seit die Syrische Armee jedoch ihre Offensive auf die letzte, von dschihadistischen Rebellen kontrollierte Provinz Idlib gestartet hat, bricht der Konflikt vollends aus. Vor einigen Wochen griffen die Truppen von Bashar al-Assad erstmals frontal die in Idlib stationierten Teile des türkischen Militärs an. Die Türkei unterhält, in Absrpache mit Rußland, mehrere, sogenannte "Beobachtungsposten" in und um die Provinz Idlib. Die meisten dieser Posten, wurden jedoch bereits von den Assad-Truppen eingekesselt.
Die Syrische Armee konnte in den vergangenen Tagen und Wochen signifikante Geländegewinne erzielen: Der süd-östliche Teil von Idlib befindet steht unter der Kontrolle von Damaskus, eine der größten Städte der Provinz, Saraqeb, wurde vor einigen Tagen erobert und vor wenigen Stunden gelang es der Syrischen Armee den M5-Highway vollständig einzunehmen. Dieser verbindet Damaskus mit Aleppo. Unterstützung erhalten die Regierungstruppen dabei wieder aus der Luft von Rußland, am Boden von schiitischen Milizen aus dem Irak, den iranischen Revolutionsgarden und der Hisbollah-Miliz aus dem Libanon. Die Pro-Assad Achse musste Verluste hinnehmen: Neben Soldaten des Regimes starben sowohl ein Kommandant der Revolutionsgarden als auch fünf Hisbollah-Kämpfer, unter ihnen ebenfalls ein Offizier.
Auf der Gegenseite steht die Miliz "Hayat Tahrir al-Sham" (In etwa: "Befreiung der Levante", HTS), die früher unter dem Namen Jabhat al-Nusra agierte. Sie gilt als ideologisch zu Al-Qaida zugehörig. Die HTS kontrolliert Idlib seit Jänner 2019 vollständig, als sie in einer 10-tägigen Offensive alle anderen Islamisten vertrieb, vor allem betraf dies die Kämpfer der mit der Türkei verbündeten Ahrar al-Sham. Diese zog sich mit einigen anderen Organisationen in den türkisch-kontrollierten Teil Nordsyriens zurück, und schloss sich dort der, von der Türkei aus verschiedenen islamistischen Milizen gebildeten, "Syrischen Nationalarmee" an, die wiederum bei der jüngsten Offensive der Türkei gegen die kurdische YPG zum Einsatz kam. Mittlerweile kämpfen einige Einheiten der Syrischen Nationalarmee sogar in Libyen.
Die HTS etablierte in Idlib eine ähnliche Schreckensherrschaft wie es der IS tat, nur wurde dies von westlichen Medien bisher kaum beachtet: 2015 verübte die HTS ein Massaker in einem Dorf in Idlib, welches sich gegen die religiöse Minderheit der Drusen richtete. Im August 2013 beteiligte man sich an Massakern und Überfällen auf Dörfer in der benachbarten Provinz Latakia, die vor allem von der Minderheit der Alawiten bewohnt ist, zu denen auch die Assad-Familie gehört.
Aufgrund der Offensive Assads brodelt es nun zwischen der Türkei und Syrien. Obwohl die Türkei kein Verbündeter der HTS ist und das auch von beiden Seiten so gewünscht ist, arbeitet man angesichts des Vormarsches der Syrischen Armee widerwillig zusammen. Bisher griff das syrische Militär die türkischen Truppen zweimal direkt an, wodurch insgesamt 12-14 türkische Soldaten starben. Es war das erste direkte Aufeinandertreffen der beiden Staaten seit Beginn des Krieges. Die Antwort auf den Angriff der Syrer folgte prompt: Erdogan schwor schon nach dem ersten Vorfall vor zwei Wochen Vergeltung, die türkische Artillerie griff syrische Stellungen an und tötete mehrere Soldaten. Nach der kürzlichen Attacke auf das türkische Militär vor ein paar Tagen, gehen nun in der Türkei die Wogen hoch: Der Chef der MHP, der Partei der Grauen Wölfe und Erdogans Koalitionspartner, Devlet Bahceli, forderte als Vergeltung Damaskus einzunehmen und Assad zu stürzen. Anhänger der türkischen Regierung verbreiten auf Facebook und Twitter den Hashtag "YansinSuriyeYikilsinIdlib"("Verbrennt Syrien, zerstört Idlib").
Es liegt nun an Rußland, die Lage in Idlib im Griff zu behalten und Erdogan in die Schranken zu weisen. Sollte die Türkei zu drastischeren Maßnahmen greifen, ist wird Assad mehr denn je auf die diplomatische und militärische Unterstützung Rußlands angewiesen sein. Allein kann es die vom Krieg ausgezehrte Syrische Armee mit dem türkischen Militär nicht aufnehmen.