Zum Jahresabschluß wollte ich wieder in die Türkei fliegen, um Silvester bei meiner Freundin in Iskenderun (Provinz Hatay) zu feiern. Am Samstag hatten wir geplant, in die ca. eine Stunde entfernte Provinzhauptstadt Antakya zu fahren und dabei auch gleich der dortigen Synagoge einen Besuch abzustatten.

Die Provinz Hatay ist generell einzigartig in der Türkei und das aus gleich mehreren Gründen. Erstens ist sie die jüngste aller türkischen Provinzen, da sie erst 1939 Teil der Republik Türkei wurde. Zuvor gehörte sie seit Ende des Ersten Weltkriegs zum französisch kontrollierten Mandatsgebiet Syrien und Libanon (Bis heute erheben syrische Nationalisten und Pro-Assad Kräfte anspruch auf das Gebiet).

Zweitens ist es wohl die religiös verschiedenste Provinz der gesamten Türkei, da sich, bedingt durch die geographische Lage am Kreuzungspunkt von Kleinasien und der Levante, viele verschiedene Religionen und Völker dort niederließen. Ein guter Teil der Bevölkerung (ca. 25-30%) gehört der Glaubensgemeinschaft der Alawiten (Nicht zu verwechseln mit den ebenfalls in der Türkei ansäßigen Aleviten) an, zu denen auch Assad und ein großer Teil der syrischen Staatselite gehört. Deswegen zeigen auch die türkischen Alawiten oft ihre Verbundenheit zu Damaskus. Zudem sprechen sie den lokalen semitischen Dialekt. Neben den Sunniten (Die sich in eine türkische Mehrheit und eine semitisch-syrischsprachige Minderheit teilen) leben auch mehrere tausend rum-orthodoxe Christen dort. Zudem beherbergt Hatay das letzte armenische Dorf der Türkei, Vakifli, und eine winzige jüdische Minderheit.

Samstag, 28. 12. 2018 um ca. 13:00 standen wir vor der Synagoge, die sich in einem unscheinbaren Haus, äußerlich nur durch ein kleines Schild an der Mauer und einem, in die steinerne Fassade gehauenen, Davidstern über dem Eingang erkennbar. Das Haus selbst wurde im alten osmanisch-orientalischen Stil gebaut und befindet sich in der Altstadt, an der „Kurtulus Caddesi“, der ehemaligen Hauptstraße.

Da kam Harun Cemal auf uns zu, der 64-jährige Verwalter des Gebäudes und einer der letzten Juden der Stadt. Da er aber kein Englisch konnte (Dafür aber mehrere Sprachen der Region wie Türkisch, Syrisch-Semitisch und Hebräisch) musste meine Freundin für mich übersetzen. Als erstes begann er uns über die Geschichte der lokalen Juden zu erzählen: „Die Juden hier stammen aus der gesamten Levante, vor allem aus Syrien. Sie sind vor zig Jahrhunderten hier eingewandert, anders als die anderen türkischen Juden, die ja überwiegend aus Spanien und Portugal kamen“. Das Gebäude der Synagoge ist ebenfalls alt, es wurde vor ca. 250 Jahren gebaut. Allerdings befand sich an dieser Stelle schon in früheren Zeiten ein jüdisches Gotteshaus, fügte er hinzu.

„Wie groß ist die jüdische Gemeinde hier in der Stadt ?“ fragte ich ihn. „14 Juden leben hier“, war seine ernüchternde Antwort. Allerdings, so meinte er, wachse die Gemeinde während des Sommers an, da dann die abgewanderten Juden zurückkehren würden. Die meisten sind im übrigen gar nicht nach Israel gezogen, wie er uns, für mich sehr überraschend, mitteilte, sondern nach Istanbul.

Als ich ihn dann nach seiner Meinung für die Zukunft der Juden fragte, schien er sich in Zweckoptimismus zu üben. Er meinte nur: „Wir können nie wissen, wie die Zukunft aussehen wird.“ Daß die Gemeinde allerdings massive Existenzprobleme hat, ist so offensichtlich wie die Unterstützung der lokalen Alawiten für Assad. Die Gesellschaft, die die Synagoge erhält, besteht aus einer an zwei Händen abzählbaren Anzahl von Mitgliedern, der Rabbiner, der jede Woche am Samstag den Gottesdienst hält, wird extra aus Istanbul eingeflogen. Zudem steigert der israelisch-palästinensische Konflikt den Antisemitismus in der lokalen Bevölkerung, wie er mir berichtete.

Insgesamt nahm er sich ca. einenhalb Stunden Zeit für uns, vor allem mit meiner Freundin unterhielt er sich angeregt, da er einige Häuser in ihrer Heimatstadt an der Küste besitzt und sich darüberhinaus über uns sehr interessierte, da er in jungen Jahren einmal selbst eine interreligiöse Beziehung hatte.

Wir verabschiedeten uns dann, da wir Mittagessen gehen wollten. Bevor wir allerdings die Synagoge verlassen konnten, empfahl er uns noch ein Restaurant und rief seinen Bekannten dort an, daß wir kommen werden und dieser das Essen gut zubereiten solle.

Eine interessante kulturelle Erfahrung, die wohl bald nicht mehr möglich sein wird, da die jüdische Gemeinde in einigen Jahren nur noch in Erinnerungen existieren wird.

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