Der Nahostkonflikt kocht im Moment hoch wie schon lange nicht mehr: Die Hamas beschießt die israelische Zivilbevölkerung mit Raketen, im Gegenzug bombardiert Israel den Gazastreifen, im Westjordanland kommt es zu Ausschreitungen und Schießerein, und selbst in einigen israelischen Städten ziehen Mobs durch die Straßen, Synagogen werden angezündet oder palästinensische Geschäfte attackiert. Inmitten dieser verschiedenen Fronten leben zudem auch tausende Christen: Alleine in Israel wohnen an die 140.000 christliche Palästinenser, im Westjordanland sind es ungefähr 40.000, und selbst in Gaza harren immer noch bis zu 1.000 palästinensische Christen aus. Dazu kommen noch mehrere Million Christen in der palästinensischen Diaspora. Ihre Stimmen werden jedoch selten gehört. Wie sie den aktuellen Krieg und die Lage im Heiligen Land betrachten, beschreiben sie hier.
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„Mental geht es mir zur Zeit schlecht. Die Bombardierungen setzen mir zu, ich schlafe kaum und habe Kopfschmerzen durch den permanenten Lärm. Physisch geht es mir ansonsten aber gut.
Der Krieg, den wir erleben, ist ein ethnischer Konflikt. Der Gazastreifen führt diesen Konflikt nunmal an, da er mehr militärische Schlagkraft besitzt als das Westjordanland und die anderen besetzten Gebiete.
Auch als Christ betrachte ich die Hamas nicht als eine Gruppe von Terroristen. Sie ist eine militante Organisation, die auf den Grundlagen des Islam kämpft. Da sie aber kein Mitglied der PLO ist, repräsentiert sie auch nicht alle Palästinenser, sondern nur einen Teil von uns. Allerdings erzeugt ihre gewalttätige Einstellung einen falschen Eindruck: Die Welt denkt jetzt, alle Palästinenser seien Terroristen. Diese gewalttätige Strategie der Hamas ist eben auch schlecht, da dadurch auch ich und alle anderen die Konsequenzen spüren. Israel nimmt alle Palästinenser ins Visier, sie machen da keinen Unterschied.
Es stimmt aber nicht, daß die Hamas Menschen als lebende Schutzschilde verwendet, weder im Krieg noch in Friedenszeiten. Sie sind normale Leute wie wir alle und sind von den schrecklichen Ereignissen um uns herum genauso betroffen, wie alle anderen Palästinenser auch.“
Bashar El-Khoury, 25, Anwalt in Ausbildung aus Gaza.
„Was gerade in Israel und Palästina passiert, ist das Resultat eines Arpartheidsystems, das auf jüdischer Vorherrschaft basiert. Jerusalem ist, seit 1967, besetzt und faktisch annektiert. Palästinenser, die 1948 aus ihren Häusern vertrieben wurden, können diese nicht zurückverlangen, da sie als „Abwesend“ betrachtet werden, obwohl viele von ihnen nur ein paar Kilometer weiter in den Dörfern rund um Jerusalem leben. Juden können das allerdings schon, selbst wenn sie gar nicht die ursprünglichen Eigentümer sind. So holen sich die Siedlerorganisationen Haus für Haus in Ostjerusalem. Das Thema Sheikh Jarrah als bloßen Disput um Eigentumsrechte an Immobilien darzustellen, dient nur dazu, die systematische ethnische Säuberung von Palästinensern, die seit 1948 läuft, zu verschleiern. Viele Familien in Sheikh Jarrah kamen selbst als Flüchtlinge an, die bereits während des Krieges von 1948 vertrieben wurden. All diese Dinge führten dazu, daß sich unter den Palästinensern von Generation zu Generation immer mehr Wut und Hunger nach Gerechtigkeit anstaute, die nicht weichen werden, bis sie frei in ihrem Heimatland leben können.
Israel bombardiertden Gazastreifen jetzt seit einer Woche und tötete dabei mehr als 200 Menschen, darunter 52 Kinder. In den Medien wird man jetzt natürlich wieder nur hören, daß die Hamas Raketen auf Israel schießt. Die Wahrheit ist aber, daß der Raketenbeschuß begann, nachdem die Israelische Armee die Al-Aqsa Moschee stürmte, während die Gläubigen drinnen beteten. Es ist zudem wichtig zu betonen, daß die Raketen der Hamas in keinem Verhältnis zur Technologie der Israelischen Armee stehen.
Die Palästinenser wollen das, wofür sie schon seit 73 Jahren in unterschiedlicher Form kämpfen: Individuelle und kollektive Rechte, Freiheit in ihrem Heimatland, das Ende des Kolonialismus und der Arpartheid. So lange wir nicht die Hauptursachen der Unterdrückung und Entmenschlichung der Palästinenser benennen, wird es keinen Frieden geben“
George Zeidan, Gründer der „Right to Movement Palestine“ Intitiative, aufgewachsen in Ostjerusalem und Beit Jala, Westjordanland.
„Israels zentralistisches System wurde von einer intoleranten Minderheit gekappert, die der friedlichen Mehrheit der Juden und Palästinenser schadet und die Hoffnung auf einen langfristigen Frieden zerstört.
„Die Hamas ist das Resultat der Gründung Israels. Sie ist eine Fraktion, die sich dazu entschlossen hat, zu handeln, Israel den Krieg zu erklären und dies auf Grundlage islamischer Prinzipien zu tun. Als Christ habe ich natürlich andere Prinzipien, aber als Libertärer akzeptiere ich, daß sie ein Recht haben, sich zu verteidigen und nach ihrer Auffassung zu leben (Solange sie sich aus meiner Art zu leben heraushalten). Darum denke ich auch, daß meine Community (Die „Romioi“ der Levante) Autonomie haben, sowie nach ihren Traditionen und Überzeugungen leben können sollte.
Ich glaube auch, daß der Konflikt eines Tages gelöst werden kann, aber beide Seiten werden dafür Opfer bringen müssen. Durch eine Lösung hoffe ich, daß die Palästinenser eines Tages volle Unabhängigkeit erlangen werden, und der palästinensischen Diaspora das Recht auf Rückkehr zugestanden wird.
Die gegenwärtigen Ereignisse in Israel verringern meine Hoffnung, je wieder in meine geliebte Heimatstadt Haifa zurückkehren, aus der meine Großeltern einst nach Jordanien flüchteten. Aber die Lage betrifft nicht nur mich persönlich, sondern auch meine Freunde und Bekannte, die im ganzen Heiligen Land verstreut leben. Zudem bedroht sie auch die Stabilität Jordaniens, da die meisten Jordanier palästinensischer Abstammung sind und die Haschemiten die Verwalter der heiligen Stätten in Jerusalem sind.“
Edmond Shami, 27, Konstrukteur und Buchautor aus Jordanien.
„Die derzeitigen Ereignisse im Heiligen Land sind nur eine neue Episode des seit 73 Jahren andauernden Konflikts. Meiner Meinung nach begann Israel diese aktuelle Auseinandersetzung durch sein vorgehen in Jerusalem und in Sheikh Jarrah. Zuerst sympathisierten die Medien mit uns, aber nachdem die Hamas damit begann, Raketen abzufeuern, änderte sich dies. Jetzt sind wir im selben Teufelskreis gefangen, in dem wir immer gefangen sind und der in hunderten, wenn nicht tausenden, Toten in Gaza resultieren wird.
Als Christ unterstütze ich die Ideologie der Hamas nicht, ich betrachte sie sogar als Bedrohung für unsere palästinensische Kultur und Gesellschaft. Aber gleichzeitig kann ich es verstehen, daß die Leute Widerstand leisten müssen ! Durch das, was uns passiert ist, kämpften auch viele palästinensische Christen im Widerstand Palästinas. Beispielsweise wurde meine Familie aus ihrem Haus vertrieben, unser Dorf ethnisch gesäubert, in der Dorfkirche ein Massaker veranstaltet, etc.
Solange es keine Gerechtigkeit gibt, wir die Gewalt weitergehen. Generationen von Palästinensern werden in Flüchtlingslagern geboren, wo sie ihrer elementarsten Menschenrechte beraubt sind. Sie dürfen nicht in die Heimat ihrer Vorfahren zurückkehren, ja sie nicht einmal betreten (Wie ich zum Beispiel). Allerdings müssen wir auch realisieren, daß die Juden nicht weggehen werden, da sie dieses Land als ihr Land betrachten. Es wurden neue Generationen von Juden in Palästina geboren, die gar kein anderes Land, außer eben Israel, haben, das sie Heimat nennen können. Die Lösung wäre ein Staat, in dem alle die gleichen Rechte haben und in den jeder palästinensische Flüchtling, sowie jeder Jude, einwandern kann, wenn er das mächte.“
Elias Khoury, 27, tätig im Bildungsbereich und Flüchtling der dritten Generation aus dem Libanon.
Anmerkung des Autors: Die kurzen Interviews zur Situation, wurden per Social Media geführt