Nein, der Krieg in Syrien ist noch lange nicht vorbei.

Seit einiger Zeit, insbesondere seit der Eroberung Aleppos, hört man immer wieder, daß der Krieg in Syrien doch vorbei sei und die Flüchtlinge doch wieder nach Hause gehen können. Diese Forderung ist durchaus berechtigt, schließlich hat das Assad-Regime seit dem eingreifen Rußlands im Herbst 2015 einiges an Boden gut gemacht und ob man es will oder nicht, Assad garantiert ein mindestmaß an Stabilität und zudem verfügt nachwievor über die Unterstützung signifikanter Teile der Bevölkerung.

Nichtsdestotrotz ist die diese Forderung, auch wenn sie verständlich ist, da Stabilität in Syrien und der gesamten Region von großer Bedeutung für Europa ist, naiv. In weiten Teilen Syriens ist wieder (relative) Ruhe eingekehrt, jedoch sind andere Teile des Landes immer noch umkämpft. Ein Überblick:

- Die Südprovinz Daraa: Diese Provinz ist ungefähr 50/50 aufgeteilt, die Regierungstruppen kontrollieren eine Landzunge die bis in die gleichnamige Provinzhauptstadt reicht, die Hauptstadt selbst ist zweigeteilt. In Daraa operieren einige eher säkulare Gruppen und Koalitionen, wie die „Revolutionsarmee“, allerdings sind natürlich auch Dschihadisten, insbesondere von der „Armee des Islams“ sowie der „Ahrar al-Sham“, vertreten. Desweiteren ist auch der IS vertreten, sein lokaler Allierter, die „Khalid ibn al-Walid Armee“ kontrolliert ein kleines Gebiet, das an die Golanhöhlen grenzt.

Die Front war bisher eine ruhigsten des Krieges, allerdings rückt sie nach den Siegen der Regierungstruppen in anderen Teilen Syriens wieder in den Fokus. Derzeit versucht man noch, wie in anderen Fällen, die Rebellen durch Verhandlungen zum Abzug zu bewegen. Scheitern diese Versuche, wird das Regime zum Angriff übergehen.

- Die Provinz Idlib: Auf diesen Teil des Landes, er befindet sich im Nordwesten und grenzt an die Türkei, wird sich bald der Fokus der Weltöffentlichkeit richten: Er ist die letzte Hochburg der Rebellen, hier wird eine der entscheidensten Schlachten des syrischen Bürgerkriegs stattfinden. Kontrolliert wird Idlib zu 70-80% von zwei großen, dschihadistischen Rebellenbündnissen: Die „Befreiungsfront Syriens, JTS“, welche von Ahrar al-Sham geführt wird, die andere ist die „Organisation für die Befreiung Syriens, HTS“, welche durch die ehemalige, al-Qaida nahe al-Nusra-Front dominiert wird. Die eher säkulare „Free Idlib Army“ spielt hingegen kaum noch eine Rolle. Zwischen diesen Bündnissen kam es in den vergangen Jahren immer wieder zu teils monatelang andauernden Kämpfen.

Das Regime kontrolliert seit kurzem einen Landstrich im Südosten, sowie zwei schiitische Kleinstädte, Fuah und Kefraya, die schon seit langem von islamistischen Kräften belagert werden und nur noch aus der Luft versorgt werden können. Verteidigt werden sie von der NDF-Volksmiliz sowie Kämpfern der Hisbollah.

Ein Abzug wird wohl nicht stattfinden (Wohin denn ? Die Rebellen aus anderen Gebieten bekamen freies Geleit nach Idlib), bei einer militärischen Offensive wird die Frage sein, wie die Türkei reagiert, da die Entscheidungsschlacht direkt an ihrer Grenze stattfinden wird. Zudem gilt Ahrar al-Sham als Verbündeter der Türkei.

- Nordwestsyrien: Hier kontrolliert die Türkei zusammen mit von ihnen unterstützen Milizen einen schmalen Streifen, der berühmteste Teil davon ist die erst kürzlich eroberte Region Afrin. Das die Türkei dieses Gebiet freiwillig Räumen wird ist sehr unwahrscheinlich. Möglicherweise kann hier, wenn Assad seine Versprechen, jeden Quadratzentimeter Syriens zurückzuerobern, wahrmacht, ein Krieg zwischen der Türkei und Syrien ausbrechen.

- Nordostsyrien und die Kurdengebiete: Der Norden der Provinz Rakka sowie weite Teile der Provinzen Hasakeh und Deir Ez-Zor werden von den „Demokratischen Kräften Syriens“ kontrolliert, einem Bündnis, das aus der kurdischen YPG-Miliz, verschiedenen arabischen Milizen, dem christlich-aramäischen „Militärrat der Suryoye“ sowie einer turkmenischen Miliz besteht.

In den großen Städten Hasakeh und Qamishli besitzt das Assad-Regime noch eine kleine Präsenz. Diese Koexistenz ist nicht immer friedlich: Im August 2016 brachen wochenlange Gefechte in Hasakeh aus, bei denen sich kurdische Paramilitärs und christlich-aramäische dominierte NDF-Einheiten gegenüberstanden. Dabei griff die Syrische Armee erstmals per Luftwaffe die Kurden an.

Auch hier stellt sich die Frage nach der Zukunft: Die Kurden werden diese Gebiete nur sehr unwahrscheinlich freiwillig räumen und die Türkei wird keinen kurdischen Staat an der Grenze dulden. Möglicherweise werden sich beide Seiten irgendwie mit der Regierung in Damaskus verständigen, um einem Krieg vorzubeugen.

- Der Islamische Staat: Der IS liegt zwar am Boden, ganz vernichtet ist er aber noch nicht. Er kontrolliert nachwievor einige Landstriche in der Wüste um Palmyra sowie im Osten von Deir ez-Zor entlang der irakischen Grenze. Dort ist er zwar durch Offensiven der Regierungstruppen und der Kurden unter Druck, trotzdem hält er sich und es gelingen ihm sogar Überraschungsangriffe: Immer wieder dringen IS-Kämpfer unbemerkt durch die nur schwer zu kontrollierende syrische Wüste vor und überfallen Städte in Westsyrien, so geschehen im Oktober 2017 in al-Qaryatayn und im Osten der Provinz As-Suwayda im Juni 2018.

Insgesamt läßt sich sagen, daß die Zukunft des Landes sehr ungewiß ist, auch wenn weite Teile des Landes durchaus als befriedet zu bezeichnen sind. Alles hängt von den ausländischen Mächten ab.

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