In einer Seemannskneipe im Hafen ist ein trinkender Seemann so auffallend wie ein Priester in Rom. Auffallender ist es schon, wenn es sich bei dem Seemann um ein Schwein handelt, ein großes, dickes, rosafarbenes Schwein mit schwarzem Hut. In Hafenkneipen aber ist man seit alters an auffallende Gestalten gewöhnt, so daß Ebro Pizarro ungestört und unbeachtet in der Bodega "El Rey" saß. Einzig eine Flasche Wein, aus der er bedächtig trank, leistete ihm Gesellschaft.
Der Herr, der eben die Bodega betrat, paßte nicht in diese derbe Kneipe. Selbst für einen Kapitän war er zu gut gekleidet. Vielleicht ein Edelmann, auf jeden Fall aber ein Ausländer, da er sich mit seinem allzu perfekten Schulspanisch dem Wirt hinter der Theke nur mühsam verständlich machen konnte. Der Wirt deutete schließlich in jene Ecke des Lokals, in welcher Ebro versonnen trank.
Der Fremde steuerte zielstrebig auf den Tisch Ebros zu.
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Danke!
"Ich bin Capitan Colombo und Ihr müßt Ebro Pizarro sein", sagte er.
Das Schwein nickte.
"Von Beruf Seemann?"
Nicken.
"Zuletzt Erster Offizier auf der 'Salamanca'?"
Nicken.
"Und als Navigator gut?"
Kopfschütteln.
"Nein?"
"Ich bin nicht 'gut', ich bin der Beste", antwortete Ebro bescheiden.
"Gut, gut. Umso besser. Wollt Ihr bei mir anheuern?" fragte Colombo.
Das Schwein blickte ihn prüfend an.
"Wohin soll die Fahrt gehen?"
"Nach Indien."
"Indien scheint in Mode zu kommen."
"Mag sein", sagt Colombo stolz. "Ich aber fahre nach Westen."
"Dann werdet Ihr niemals in Indien ankommen."
"Aber ja, aber ja. Die Erde ist nämlich eine Kugel."
"Bin ich ein Idiot? Natürlich ist die Erde eine Kugel. Aber der Weg nach Asien auf dem westlichen Seeweg ist viel zu lang. Kein Schiff kann ohne Zwischenaufenthalt so weit fahren."
"Aber die Geographen..."
Ebro schnitt ihm das Wort ab.
"Ich weiß, daß die spanischen Geographen eine westliche Entfernung von nur wenigen tausend Meilen nach Asien annehmen. Aber ihre Berechnungen sind fehlerhaft. Der Weg ist in Wirklichkeit um ein Mehrfaches länger."
"Ihr wollt also nicht bei mir anheuern?"
"Richtig."
"Euer letztes Wort?"
"Mein letztes Wort!"
Als Ebro Pizarro anderthalb Flaschen Wein später die Bodega "El Rey" verließ, wurde er in einer Seitengasse von zwei maskierten Männern mit schwarzen Umhängen überfallen und niedergeschlagen.
Als Ebro Pizarro aus tiefer Bewußtlosigkeit erwachte, war ihm schlecht. Ihm brummte der Kopf und als er versuchte, sich aufzurichten, ließ ihn seine Übelkeit sofort wieder aufs Lager sinken. Es war ihm, als würde sein Körper samt Bett und Zimmer in sanften Pendelschlägen auf‑ und niedersinken.
So erfüllt war er von Übelkeit, daß der erfahrene Seemann Ebro Pizarro mehr als zehn Minuten brauchte, um zu begreifen, daß er sich auf einem Schiff befand. Stöhnend schleppte er sich zum winzigen Fenster der Kajüte und blickte hinaus.
Das Schiff befand sich bereits auf dem offenen Meer, die Küste war nur noch als schmaler, dunkler Streifen am Horizont zu erahnen. In geringer Entfernung segelten zwei andere Schiffe in die gleiche Richtung. Den Namen des einen Schiffes konnte er entziffern: "Pinta".
Jetzt wurde es Ebro Pizarro wirklich schlecht. Dieser Spinner Cristoforo Colombo, der von Geographie soviel verstand wie der Kaiser vom Brotbacken, hatte ihn gewaltsam auf sein Schiff verschleppt. Vor ihm lag das weite, noch nie befahrene Meer und irgendwo dort, unerreichbar weit im Westen, mußte die Ostküste Asiens liegen.
Die Rechnung des durchtriebenen Colombo war einfach: Erst mal auf offener See, blieb Ebro gar nichts anderes übrig, als für Colombo als Navigator zu arbeiten, wollte er nicht selbst mit untergehen.
Wochen vergingen. Es waren bange Wochen, in denen die angstvolle Mannschaft mehrmals kurz vor der Meuterei stand.
Dann, eines Morgens kam vom Mastkorb herunter der erlösende Ruf "Land in Sicht".
Das Land erwies sich bald als Insel, eine ungewöhnlich gastfreundliche Insel. Als Colombo und seine Mannschaft an Land gingen, wurden sie von braunhäutigen, fast nackten Menschen herzlich begrüßt.
Colombo war außer sich vor Stolz. Obwohl es heiß war zum Taubenbraten, gockelte Colombo in voller Admiralstracht herum und ließ sich von seiner Mannschaft als Entdecker des westlichen Seewegs nach Indien feiern.
"Na, Pizarro", zog er Ebro gutgelaunt auf, "wer hat nun recht gehabt? Ich oder Ihr mit Euren 'korrekten' Berechnungen?"
"Ich natürlich", antwortete Ebro ungerührt.
Colombo lachte. "Wenn Theorie und Wirklichkeit nicht übereinstimmen, muß die Wirklichkeit falsch sein, was?"
"Richtig. Diese Insel hier liegt viel zu nahe an Europa. Sie kann kein Teil Asiens sein. Wir sind vielmehr an einer bisher unbekannten Küste gelandet."
Admiral Colombo rauschte zornig davon.
Ebro gefiel die Insel, auf der sie gelandet waren. Er schloß Freundschaft mit ihren Bewohnern, die ihn bald in ihr Herz geschlossen hatten. Er lernte eifrig von ihnen und lehrte sie selbst einiges von seinen Künsten.
Nachts hockten die Spanier beisammen, tranken und machten Pläne für die Zukunft. Hei, wie würden sie das Land erobern, die Bewohner unterwerfen und sich selbst die Taschen mit Reichtümern füllen. Ganze Grafschaften, Fürstentümer und Vizekönigreiche wurden unter ihnen aufgeteilt und beim Kartenspiel verloren oder gewonnen.
Ebro, der all dies hörte, wurde es bang ums Herz. Er dachte an die gesegnete Insel, an die fröhlichen und zufriedenen Menschen, die hier lebten - und wie dies alles in wenigen Jahren aussehen würde.
Goldbehängte Spanier würden in Sänften sitzen, geschleppt von den ehemals freien Bewohnern des Landes. Peitsche und Schwert würden erzwingen, was freiwillig nie zu haben wäre. Aus einer grünen Insel im blauen Meer würde eine rote Hölle werden, rot von Feuer und rot vom Blut.
Bald machte ein Gerücht die Runde. Niemand wußte, woher es kam, aber es war da und machte die erhitzten Köpfe der Spanier vollends schwindlig. Nicht weit von hier solle es eine baum- und strauchlose Felseninsel geben, welche aus purem Gold bestünde.
Binnen weniger Tage waren die drei Schiffe von Admiral Colombo seeklar gemacht und die freundliche Insel vom letzten Spanier verlassen.
Nach anderthalb Tagen bereits erreichten die spanischen Schiffe die sagenhafte Insel, deren Felsen in der Tat verheißungsvoll gelb und rot in der Abendsonne leuchteten.
In der folgenden Nacht, als die gesamte Mannschaft auf der Insel war und sich blutig um die goldenen Schwefelfelsen stritt, ging die gesamte Flotte von Admiral Colombo in Flammen auf.
Ein großes, dickes, rosafarbenes Schwein mit schwarzem Hut sei, so erzählte man, fröhlich pfeifend auf einem seetüchtigen Floß zurück zu seinen Freunden, den Indianern gefahren.