Der Journalist Jürgen Neffe hat 1992 in der Süddeutschen Zeitung einen längeren Aufsatz mit dem Titel "Gestatten, mein Name ist Alkohol" veröffentlicht. Darin läßt er das Alkohol-Molekül von seiner Geschichte erzählen - und von seiner Wirkung auf die Menschen.

Ich zitiere: "Das Leberenzym 'Alkoholdehydrogenase', kurz ADH, gilt Wissenschaftlern als Indiz dafür, daß ihr und ich, Mensch und Ethanol, seit Äonen miteinander leben: ADH hat keine andere bekannte Funktion als den Abbau von Ethylalkohol. Warum sollte sich ein solch komplizierter biochemischer Mechanismus entwickelt haben, wenn keine Notwendigkeit dazu bestand? Warum wäre er wohl über Tausende von Generationen erhalten geblieben, hätte es nicht ständige Verwendung gegeben? Möglicherweise sind nach der Menschwerdung all diejenigen auf der Stecke geblieben, denen die Erbanlagen für ADH fehlten.

Oder warum, glaubt ihr wohl, haben sich die User der flüssigen Droge gegenüber jenen durchgesetzt, die mich nicht vertrugen? Die immer klaren Kopfes waren und ihre Probleme, wie heutige Suchtexperten fordern, 'verarbeiteten', statt sie bisweilen zuzukippen?

(...)

Es war kein Zufall, daß die industrielle Revolution erst losbrach, nachdem Anfang des 18. Jahrhunderts der Gin in einer wahren Welle von Holland nach England geschwappt war. Nicht nur die ersten Schnapsfabriken entstanden. Die Hölle der Maschinenwelt konnten die meisten Malocher nur ertragen, weil sie die Strapazen ihrer 16-Stunden-Tage in Branntwein ertränkten. Viele Arbeiter erhielten einen Teil ihres Lohns in Form flüssiger Zahlungsmittel - was übrigens erheblich zur Verbreitung der "Trunksucht" in Europa beitrug."

Heißt: Wir sind die Nachkommen der Sieger in der Evolution, wir sind die Nachkommen der Trinker. Ohne unsere trinkenden Altvorderen gäbe es heute keine Abstinenzprediger.

Im übrigen gilt das analog auch für die Vegetarier. Man kann nämlich die Bedeutung des Fleischverzehrs für die menschliche Evolution gar nicht überschätzen.

"Bezogen auf das Körpergewicht sollten Menschen eigentlich einen wesentlich längeren Darmtrakt haben. Durch eine effektivere Ernährungsweise (Fleisch, Braten, Kochen) verkleinerten sich jedoch die Verdauungsorgane in den letzten drei Millionen Jahren. Anthropologen, gehen davon aus, dass dies eine notwendige Vorraussetzung für die Entwicklung eines größeren Gehirns war."

Und an anderer Stelle dieser Website heißt es: "'Die Bereicherung des Speisezettels mit Fleisch war eine regelrechte Hirnnahrung und Auslöser für den ersten Schub des rapiden Wachstums unseres Denkapparates', stimmen Leslie Aiello und ihr Kollege Peter Wheeler von der University of Liverpool zu. Fast 90 % der Ruheenergie des Körpers werden von Herz, Leber, Nieren, Darm, und Gehirn benötigt. Die Organgrößen von Herz, Leber und Nieren sind direkt von der Körpergröße und -masse abhängig und unverzichtbar für das Pumpen und Reinigen des Blutes. Das Geheimnis und die Vorraussetzung für ein größeres Gehirn liegt also in der Verkürzung des Darmtraktes, was beim frühen Homo bereits der Fall gewesen sein dürfte und worauf die Rippen und Schädelknochen eines berühmten Fundes, des Turkana-Jungen, hindeuten. Australopithecinen hatten noch einen relativ großen Darmtrakt, wie aus dem Skelett eines anderen berühmten Fundes, der 3,2 Millionen Jahre alten Lucy ersichtlich ist. Der Darm von uns Menschen ist 900 g leichter als es unsere Körpergröße eigentlich erwarten ließe - die eingesparte Energie konnte die Evolution gleichsam ins Gehirn investieren.

Die ersten Vertreter der vor 2,5 Millionen Jahren auftretenden neuen Gattung Homo waren vermutlich wohl hauptsächlich Aasfresser, wie Spuren von Raubiergebissen an ihren Nahrungsresten belegen. Spätestens bei Homo erectus wurde die Jagd dann immer wichtiger - und mit verbesserten Technologien und Wurffähigkeiten auch zunehmend erfolgreicher. Ein weiterer Sprung in der Größenzunahme des Gehirns könnte vor 1,0 bis 0,4 Millionen Jahren durch die Erfindung des Kochens ausgelöst worden sein, wobei ein teil des Verdauungsprozesses regelrecht ausgelagert wurde." So viel zum Thema Rohkost.

Obwohl... Ich kannte mal einen Rohköstler - nicht überzeugt, aber praktizierend. Wir hatten damals, als ich jung war, es ist lange her, einen Hund, der hat bei uns im Garten Möhren aus dem Beet gezogen und anschließend mit Appetit verspeist. Es hat gewirkt, Möhren sind, so heißt es, gut für die Augen und dieser Hund hat - im Gegensatz zu mir - nie eine Brille getragen.

Zwei, drei, ein Zitat: "Wenn der Mensch bedenkt, wie sehr verschieden der Grad von Abscheu ist, womit man eine Menge schlechter Handlungen betrachtet, die ihrer Natur nach doch ganz gleich schlecht und verwerflich sind - so wird er bald finden, daß diejenigen derselben, zu denen ihn eine starke Neigung und Gewohnheit hingetrieben hat, gewöhnlich mit all den falschen Reizen, die ihnen eine sanfte, schmeichlerische Hand verleihen kann, ausgestattet und ausgemalt werden; - und daß die anderen, zu denen er keine Neigung verspürt, ihm in ihrer ganzen Nacktheit und Abscheulichkeit erscheinen und all die wirklichen Kennzeichen der Torheit und Schlechtigkeit an sich tragen."

Laurence Sterne, "Tristram Shandy"

Das ist jetzt ein bißchen altmodisch und umständlich in Satzbau und Wortwahl. Moderner und knackiger formuliert meint Sterne: Laster und üble Angewohnheiten, die mir persönlich sowieso am Arsch vorbeigehen, kann ich locker kritisieren und ich werde es mit Begeisterung tun. Auf diesem Gebiet bin ich von Haus aus tugendhaft, kann also getrost auf die Sünder einhauen. Was die anderen Laster und üblen Angewohnheiten betrifft, denen ich verfallen bin und von denen ich nicht loskomme, so werde ich immer mehr oder weniger vernünftige Gründe finden, sie zu rechtfertigen.

Die dumme miese Sau ist also immer der Andere.

Und was die umfassend Tugendhaften betrifft, so fällt auf, daß sie eine wahre Landplage für ihre Mitmenschen sind. Eine strenge, sauertöpfische und selbstgefällige Bande.

"Zwei Menschen gingen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Vegetarier und der andere ein Schnitzerlfreund. Der Vegetarier stand und betete bei sich selbst also: O Gott, ich danke dir, daß ich nicht bin wie die übrigen der Menschen, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Schnitzerlfreund." (Luk. 18, 10f)

"Ich werde den Verdacht nicht los, daß Abstinenzler die Sachen nicht mögen, auf die sie verzichten."

Dylan Thomas (ein Alkoholiker der Sonderklasse)

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