Seit ungefähr dreißig Jahren [1], historisch gesehen also erst seit neulich, ist die Verwendung des Wortes "*****" verpönt und wird es mit fortschreitender Zeit immer mehr. Inzwischen zucken sogar ***** unangenehm berührt zusammen, wenn in ihrer Gegenwart das Wort "*****" fällt.
Annalena Baerbock hat vor einigen Wochen - es war spät im Juli, Saure-Gurken-Zeit, da kann man schon mal sensibel sein - einen neuen Gipfel der Feinfühligkeit erklommen.
Was war passiert? An einem Dienstag im August war Baerbock in der Tachles Arena des Zentralrats der Juden zum Interview zu Gast. Dort erzählte sie eine Geschichte aus dem Schulunterricht des Sohnes einer Bekannten. Besagter Sohn hatte sich geweigert, eine Bildergeschichte zu einem Arbeitsblatt zu schreiben, auf dem das Wort "*****" stand. Baerbock erzählte die Geschichte, um diskriminierende Bildungsinhalte an Schulen zu kritisieren, sprach aber in ihrer Nacherzählung das N-Wort aus; in der Fassung des Interviews, wie sie im Internet steht, ist das Wort "*****" ausgepiepst [2].
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Noch vor der Ausstrahlung des Interviews via YouTube machte Baerbock jedoch selbst bei Twitter auf ihre Wortwahl aufmerksam und bat um Entschuldigung dafür, rassistische Sprache reproduziert zu haben: "Leider habe ich in der Aufzeichnung des Interviews in der emotionalen Beschreibung dieses unsäglichen Vorfalls das N-Wort zitiert."
Als ich diese Geschichte hörte, mochte ich sie zunächst nicht glauben. Das ist, sagte ich mir, nur der perfide Versuch rechter *****-Sager [3], den politisch korrekten - oder laß sagen: politisch leidlich sensiblen - Wortgebrauch durch maßlose Übertreibung lächerlich zu machen. Ob man heutzutage noch das Wort "*****" sagen soll oder auch nur kann, darüber mag man streiten. Hier aber ging es darum, daß Baerbock von jemandem, der das N-Wort benutzt hat, lediglich erzählt.
Es fing mit dieser elendiglichen Gschamigkeit vor vielen Jahren an: "Er hat mich auf's Heftigste beschimpft, mit Worten, die so gräßlich sind, daß ich sie hier nicht wiedergeben kann." Du lieber Himmel, die gräßlichen Wörter sind doch der Kern dieser Erzählung, sie sind oftmals sogar das einzig Wichtige an der Geschichte.
Ein Beispiel: An Kirchenwänden findet man gelegentlich Darstellungen von Schweinen, die auf irgendeine Art und Weise im Zusammenhang mit Juden stehen, Darstellungen, welche Juden verhöhnen, ausgrenzen und demütigen sollten. Die Schöpfer und Auftraggeber dieser Bildwerke gaben ihnen Namen, die so gräßlich sind, daß ich sie hier nicht wiedergeben kann. Im Ernst, die Dinger hießen "Judensau". Wenn ich darüber berichte, dann wäre mein Bericht unvollständig. wenn ich den Namen unterschlage, selbst der ganz normale Lokalreporter muß ab und an darüber berichten, weil immer wieder leidenschaftliche Diskussionen darüber entbrennen, ob man diese Darstellungen entfernen oder sie als historische Zeugnisse stehen lassen sollte.
[1] Länger ist es tatsächlich noch nicht her.
[2] Dieses Auspiepsen ist vielleicht nicht die allerschlaueste Idee. In der FREITAGs-Community hatte man mich wiederholt gemahnt, das Wort "*****" hinfort nicht mehr zu benutzen. Da es kein hinreichend präzises Alternativwort für "*****" gibt, habe ich schließlich - so brav bin ich - fünf Sternderl hingeschrieben, wenn ich "*****" sagen wollte. Erst war man von Seiten der Redaktion mit dieser Lösung zufrieden, dann hat man gemerkt, daß "*****" viel aufdringlicher in die Augen sticht als "Neger". Und genau so wird es mit dem gschamigen Piepsen sein, es hebt das Ärgernis, das man eigentlich vertuschen will, erst so richtig hervor.
[3] Neben rechten gibt es natürlich auch andere *****-Sager, mich zum Beispiel. Ich tingele inzwischen schon eine Weile mit meiner *****-Sagerei und der fundierten Begründung dafür durchs Internet. Es ist unglaublich, wieviel Haß mir deswegen schon entgegengeschlagen ist. Ein rechter oder gar ein rechtsradikaler *****-Sager erntet ein routiniertes Achselzucken, gegen ihn ist leicht zu argumentieren: Ein Rassist halt, der ein rassistisches Wort benutzt. Ein Linker dagegen, der auf dem Wort "*****" beharrt, dem ansonsten aber keinerlei rassistische Äußerung nachgesagt werden kann, verursacht eine erhebliche kognitive Dissonanz. Kognitive Dissonanzen machen nicht selten aggressiv: Nicht nur, daß der Kerl "*****" sagt, er paßt auch nicht in mein Denkschema. Der Kerl ist wahrscheinlich eine Drecksau.