Dinge denken, lange bevor sie passieren
Was immer du denkst hat ein anderer vor dir längst gedacht. Meistens jedenfalls, fast immer. Deshalb heißt es auch Nachdenken.
Auch diesen Gedanken hat vor mir schon mal einer gedacht. Wie so oft war es Georg Christoph Lichtenberg: "Ein wahrhaft eigener Gedanke ist so selten wie ein Goldstück im Rinnstein."
Rainald Grebe
Ich mein, daß Rainald Grebe 11 Jahre vor dem ersten Corona-Lockdown mit Atemschutzmaske singt und ironisch den Urlaub in Deutschland preist dürfte eher eine Laune des Zufalls gewesen sein.
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Douglas Adams
Im Falle von Douglas Adams aber wird es schon leicht gespenstisch. In den fünf Büchern der vierteiligen Roman-Trilogie "Per Anhalter durch die Galaxis" spielt die Sirius-Kybernetik-Corporation zwar keine große Rolle, taucht dort aber immer wieder auf.
In Band 4 wird sie so beschrieben: "Der Reiseführer 'Per Anhalter durch die Galaxis' sagt in einem Moment geistiger Klarheit (...) von den Produkten der Sirius Kybernetik-Corporation, daß es sehr leicht ist, sich von der Genugtuung darüber, daß man sie überhaupt zum Funktionieren bringt, über ihre grundsätzliche Nutzlosigkeit hinwegtäuschen zu lassen. Mit anderen Worten - und das ist das felsenfeste Prinzip, auf dem der galaxisweite Erfolg der Sirius Corporation beruht -, ihre grundsätzlichen Konstruktionsfehler werden durch ihre oberflächlichen Gestaltungsfehler vollkommen vertuscht."
Dem Leser von heute wird diese Firmenbeschreibung bekannt vorkommen. Der erste Band von Adams' Romanzyklus aber ist 1979 erschienen, Microsoft steckte damals noch in den Kinderschuhen.
Der Romanzyklus "Per Anhalter durch die Galaxis" hat seinen Namen von dem Intergalaktischen Reiseführer "Per Anhalter durch die Galaxis". Der Reiseführer ist kein Buch, sondern eine Art Smart-Phone, literarisch erfunden lange bevor es auch nur ein einfaches Handy [1] gab. Geschrieben wird der Reiseführer nicht von einer Redaktion, sondern von den Usern selbst. Jeder [2] kann sein Wissen über und seine Erfahrungen mit bestimmten Planeten [3] und sonstigen Dingen in dieser Welt eintragen und wird so zum Co-Autor des Reiseführers. Douglas Adams hat das Wikipedia-Prinzip vorweggenommen, über 20 Jahre vor Erscheinen der Wikipedia.
Friedrich Nietzsche
In Anlehnung an den Bibelspruch "Den Reinen ist alles rein" (Titus 1:15) habe ich vor Jahren die Redensart "Dem Schweinen ist alles Schwein" erfunden. Obwohl es keinen sachlich sinnvollen Grund dafür gab war ich sehr stolz auf meine kreative Ausblühung. Kürzlich erfuhr ich per Zufall, daß der Satz von Nietzsche ist. "Dem Reinen ist Alles rein - so spricht das Volk. Ich aber sage euch: den Schweinen wird Alles Schwein!" ("Also sprach Zarah Leander" ).
So ist das, Leute. Wann immer du einen klugen Gedanken hast, taucht aus dem Nichts & Nebel irgendein Klassiker auf und behauptet frech, er habe deinen gottvollen Gedanken bereits Jahrzehnte, was sag ich: Jahrhunderte vor dir niedergeschrieben.
Aber andererseits... Ich weiß nicht, ob du die Situation kennst: Du hast einen Gedanken, der dir nicht übel gefällt. Auf daß er noch mehr glänze, möchtest du deinen Gedanken mit einem Klassikerzitat garnieren oder gar belegen. Du suchst und googelst dir die Finger wund, nur um letztlich bitter festzustellen, daß die ganze verdammte Klassikerbande viel zu faul war, deinen Gedanken schon mal zu denken, geschweige, ihn in adrette Zitatform zu gießen. Dir bleibt also nichts anderes übrig, als dir das passende Zitat selber zu erfinden und dann zu schauen, wem du es plausiblerweise zuschreiben könntest.
Ich habe vor einigen Jahren den Begriff "reziprokes Plagiat" erfunden, um meine diesbezüglichen Umtriebe auf diesem Gebiet zu beschreiben, es ist mein Kontrastprogramm zu Guttenberg, Giffey und von der Leyen und all dem Zeug. Und diese Umtriebe laufen beispielsweise so ab: Ich sondere einen klugen Spruch ab und behaupte dreist, der Spruch sei von Voltaire. Ich bemerke ein irritiertes Flackern im Auge meines Gegenübers und frage nach: "Du weißt schon, wer Voltaire ist?" Im günstigsten Fall sagt er daß nein, im schlimmsten Fall gibt er zu Protokoll, Voltaire sei der Erfinder der Autobatterie. Und weil wir grad beim lustigen Erfinderraten sind: Wer der Erfinder des Schnellkochtopfes ist, ist dir bekannt?
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Hegel prägte den Satz "Alles was ist, ist vernünftig und alles was vernünftig ist, ist." Als ich den Satz vor Jahrzehnten erstmals gelesen hatte, habe ich verächtlich geschnaubt. Das ist, dachte ich mir, tüppisch für diesen arroganten, preußisch-affirmativen Staats-Philosophen. Nur ja nicht drüber nachdenken, ob das, was ist, nicht vielleicht auch anders sein könnte, ja sollte. In den sechziger und siebziger Jahren war "affirmativ" übrigens ein Wort mit ganz üblem Beiklang.
Jahrzehnte später kam mir der Spruch noch einmal vor Augen und diesmal habe ich ihn verstanden. Was Hegel hier schreibt ist nämlich die Darwinsche Evolutionstheorie in einem Satz, Jahrzehnte vor Darwin. "Alles was ist, ist vernünftig" meint: Wäre eine Erscheinung nicht vernünftig, das heißt sinnvoll, dann hätte sie sich längst aus der Evolution gemendelt. "Alles was vernünftig ist, ist" meint das gleiche, nur von der anderen Seite her aufgewickelt.
Baruch Spinoza
Du verstehst nicht, was ich meine, schon klar. Laß es mich anhand von Spinoza erklären.
Von Baruch Spinoza stammt der schöne Satz: "Jede Erscheinung beweist ihre Notwendigkeit durch ihr Dasein." Auf den ersten Blick klingt auch dieser Satz befremdlich, bei näherem Hinsehen dagegen wird klar, daß das ganz früher Darwin ist. Religionen, Ideen, Bräuche unterlegen wie biologische Lebewesen dem Gesetz der Auslese.
Wenn Verhaltensweisen und Verhaltensmaßstäbe sich über viele Jahrhunderte behaupten konnten, dann können sie nicht sinnlos gewesen sein. Eine Gesellschaft geht an sinnlosen Regeln ziemlich schnell ein [4]. Der Sinn der Regeln muß dabei allerdings nicht der Sinn sein, den ich oder du uns wünschen. Das Dasein des Pestbakteriums beruht nicht auf meiner Notwendigkeit. Ich kann ganz gut ohne Pest leben, das Pestbakterium sieht das etwas anders.
William Shakespeare
Von SPD und Grünen weiß ich aus gründlicher Erfahrung, daß sie mich verarschen werden, von der Union und der FDP [5] ist es sowieso klar, unklar bleibt lediglich Art und Ausmaß der Verarsche, aber damit kommt auch ein Neurotiker klar. Das Grundgesetz des Neurotikers lautet nämlich: Keine Experimente!
Alles muß anders werden, die Situation ist unerträglich, aber ändern, gotzwühln: ändern! darf sich nichts. Deswegen wählt der Narr noch jedes Mal Konservative, Sozialdemokraten oder Grüne. DIE LINKE auch nur mal probeweise zu wählen, kommt nicht in Frage. Es könnte sich ja - wie gesagt - was ändern.
Hamlet, Prinz von Dänemark, meint dazu:
"...dass wir die Übel, die wir haben, lieber/ Ertragen, als zu unbekannten fliehn./So macht Bewußtsein Feige aus uns allen..."
Ein Teufelskerl, dieser Shakespeare, nimmt Freud um Jahrhunderte voraus.
Erwin Sophokles
In seiner Tragödie "König Ödipus" hat der Kollege Sophokles geschildert, wie besagtem Ödipus vom Orakel geweissagt wird, er werde dereinst seinen Vater erschlagen, seine Mutter heiraten und mit ihr mehrere Kinder zeugen. Um diesem Schicksal zu entgehen kehrt Ödipus von Delphi aus nicht mehr heim nach Korinth zu Mutter Merope und Vater Polybos (die nicht seine biologischen Erzeuger sind), sondern wandert stattdessen in die andere Richtung durch Griechenland. Auf dem Weg nach Theben erschlägt er im Streit den thebanischen König Laios, vernichtet das Monster Sphinx, das seit Jahren jeden Reisenden von und nach Theben in höchste Lebensgefahr bringt und erhält zur Belohnung die verwitwete Königin Iokaste zur Gemahlin. Laios und Iokaste sind nicht seine Eltern, wohl aber seine biologischen Erzeuger, der Orakelspruch ist also deshalb wahr geworden weil Ödipus dem Orakelspruch entgehen wollte. Eines Tages erhält Ödipus die Nachricht vom Tod seines Vaters, eine Angst ist ihm genommen, dieser Teil des Orakelspruchs kann ihm nicht mehr passieren. Noch aber lebt seine Mutter. Ödipus erzählt seiner Gemahlin und biologischen Erzeugerin Iokaste vom Orakelspruch und seinem Alptraum, aus Versehen mit seiner Mutter zu schlafen. Iokaste tröstet ihn: "Im Traum vielleicht, da sah sich mancher schon im Bett der Mutter."
He, Leute, das ist der Ödipus-Komplex, über 2000 Jahre vor Sigmund Freud. Freud hat ihn gar nicht erfunden, er hat ihn von Sophokles geklaut.
Bei der Gelegenheit sei erwähnt, daß die von Sophokles erzählte Ödipus-Tragödie alles Mögliche ist, aber gerade keine ödipale Geschichte.
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[1] Im Film gibt's das Mobiltelefon seit den sechziger Jahren. Damals benutzte der Superagent Maxwell Smart ein Schuhtelefon, dessen Wählscheibe (1) in der Sohle verborgen war.
[2] Gendern war 1979 noch nicht erfunden.
[3] Der Eintrag über unsere Erde lautet im vollen Wortlaut: "Harmlos". Nach Protesten von eines anderen Users wurde der Eintrag umgeändert in "Weitgehend harmlos."
[4] Vor einigen Jahren wurde in Deutschland und Österreich sehr heftig über ein Verbot der Beschneidung diskutiert. Die grauenvollsten Folgen der Beschneidung wurden an die Wand gemalt. Daß in den heute jüdischen bzw. muslimischen Ländern seit Jahrtausenden ohne schlimme Folgen die Vorhaut beschnitten wird, wurde dabei strikt ausgeblendet. Den weiß Gott bemerkenswerten Umstand, daß man sich ausgerechnet in Deutschland um die entfernte Vorhaut von Juden sorgt, erwähne ich dabei nur am Rande.
[5] Solltest du zufällig Österreicher sein, kannst du getrost die österreichischen Gegenstücke der genannten Parteien einsetzen.