Der parfümierte Nebel des Albert Camus

Im Rahmen einer Internet-Diskussion mußte ich folgendes lesen:

Innerhalb meiner (von meinen "Erzeugern" übernommenen) "Uralt-Ausgabe" v. "Der Mythos von Sisyphos" im Rahmen der so genannten Rowohlt-Enzyklopädie befindet sich ein "Enzyklopädisches Stichwort" v. L. Richter, in dem Camus selber zitiert wird mit den Worten "Nous avons tous un terrible besoin de réfléchir", eine Aussage, die der Verfasser dieses "Stichwortes" dann ergänzte mit den Worten: "Giovanni Battista Vico würde sagen >die Barbarei der Reflexion<"

Diese Ausgabe hatte ich auch mal zuhause, als Schüler noch selber gekauft, nicht übernommen. Von wem auch? Mein Vater hat Würste und Schnitzel hergestellt, meine Mutter hat sie verkauft. Die Vergangenheitsform verwende ich, weil mir das Buch bei einem meiner Umzüge abhanden gekommen ist.

Wurscht: Sätze wie der oben zitierte (den ich ein wenig unbeholfen mit "Wir alle haben das fürchterliche Bedürfnis zu denken/zu reflektieren" übersetze) haben mir den ganzen Spaß an der existentialistischen Verzweiflung verdorben. Und wenn dann noch L. Richter meint, Camus' Satz (sich hinter Vico versteckend) mit "die Barbarei der Reflexion" paraphrasieren zu müssen, dann ist Schmock-Alarm. Eitles Kokettieren mit der eigenen Bildung, ein Brain-Builder, der sein angelesenes Wissen beklatschen läßt.

Auch Camus selbst scheint mir über die Jahrzehnte hinweg ein Schaumschläger zu sein, er gehört zu jenen Philosophen, die tirilierend und Blüten aus dem Füllhorn streuselnd durch den Saal hüpfen, lauter nette Behauptungen flötend, ohne jeweils auch nur den mindesten Beleg für ihre kühnen Behauptungen zu liefern.

Es ist schon ganz, ganz lange her, daß ich mir das Buch "Der Mythos des Sisyphos: Ein Versuch über das Absurde" vorgenommen habe. Der Text ging los mit "Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Die Entscheidung, ob das Leben sich lohne oder nicht, beantwortet die Grundfrage der Philosophie. Freiwilliges Sterben hat zur Voraussetzung, daß man wenigstens instinktiv das Lächerliche dieser Gewohnheit erkannt hat, das Fehlen jedes tieferen Grundes zum Leben, die Sinnlosigkeit dieser täglichen Betätigung, die Nutzlosigkeit des Leidens."

Das wäre an sich schon ein Grund gewesen, das Buch unverzüglich wieder wegzulegen. Wer solches schreibt philosophiert nicht, er streuselt Konfetti. Aber erstens hatte ich das Buch gekauft (was ich kaufe, das nutze ich auch, und wenn's mir schlecht wird davon) und zweitens dachte ich mir, der Mann hat einen guten Ruf, gib ihm eine Chance. Nach zwanzig, dreißig Seiten ging das immer noch so weiter, lauter schöne Sätze aber keine nachvollziehbaren Gedanken, geschweige Belege dafür.

Parfümierter Nebel.

Klapp, Buch zu und weg. Bis heute geht mir dieser Camus mitsamt dem ehrfürchtigen "absurd"-Gemurmel (1) seiner Interpreten gehörig auf den Keks.

"Wenn er philosophiert, so wirft er gewöhnlich ein angenehmes Mondlicht über die Gegenstände, das im Ganzen gefällt, aber nicht einen einzigen Gegenstand deutlich zeigt."

Georg Christoph Lichtenberg

Obiger Diskutant schrieb dann noch weiter:

"Was in diesem Zusammenhang Camus angeht, so bedurften wir seiner sehr wohl, denn nach allem, was man von ihm weiß, war sein Schreiben und Wirken erfreulich deckungsgleich, was - bestimmt nicht nur in meinen Augen - eine ENORME Leistung darstellt !"

Ob ein Philosoph oder Schriftsteller das, was er propagiert auch lebt, ist sicherlich für die Beurteilung seiner Person von Bedeutung, über die Richtigkeit seiner Behauptungen sagt das jedoch nichts aus. Gar nichts. überhaubenz nichts.

Ein Gedanke ist ein Gedanke ist ein Gedanke.

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(1) Ist Ihnen schon mal aufgefallen, daß wer immer den Namen Camus erwähnt, gleichzeitig das hypsche Wörtlein "absurd" fallen läßt? "Reflexartig fallen läßt" wollte ich reflexartig schreiben. Das wäre eine so wahnsinnig nette Formulierung, wäre das Wort "reflexartig" in diesem Zusammenhang nicht derart unangebracht.

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