In einem Lande lebte einst ein König, der sein Land genauso recht und schlecht regierte wie andere Könige auch.

Dieser König hatte ein einziges Kind, eine Tochter, die er nach Art eines Königs zu verheiraten wünschte, auf daß sie ihm Enkel gebäre und damit die Thronfolge sichere. Nun hatte sich aber in Anna, der Tochter des Königs, ein über alle Maßen hochentwickelter Verstand mit nahezu überirdischer Schönheit verbunden. Wegen ihrer Schönheit waren die Männer verrückt nach Anna, wegen ihrer Klugheit wollte dagegen Anna keinen ihrer schmachtenden Anbeter heiraten, welche seufzend den Boden küßten, über den sie geschritten war.

An einem linden Abend im blütenduftenden Mai stand Anna am Fenster und sah den roten Mond über den Hügeln aufgehen.

Würde sie wohl je einen Mann finden, der zu ihr paßte? Gab es diesen Mann? Und wenn, würde er ihr je begegnen? Und wenn, würde sie ihn erkennen? Und wenn, würde auch er sie lieben?

Seufzend senkte Anna ihren Blick und sah unten auf der Straße ein großes, dickes, rosafarbenes Schwein mit schwarzem Hut vorbeigehen. "Oh!", sagte Anna, die dergleichen noch nie gesehen hatte.

Das Schwein, überrascht von dem Seufzer, blickte zu der Prinzessin auf. Und "Oh!", sagte auch das Schwein, das dergleichen noch nie gesehen hatte. Einen kurzen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke, senkte Aug' sich in Auge, dann wandte das Schwein den Kopf, gleichermaßen scheu und entschlossen, und ging eilenden Schrittes davon.

Tags darauf sagte Anna dem König, daß sie keinen der um ihre Hand anhaltenden Prinzen, Grafen oder Herzöge heiraten werde.

"Du willst, daß der Thron nach meinem Tode verwaist sein wird?"

"Nein", sagte Anna sanft. "Das will ich nicht. Aber ich habe gestern ein Schwein gesehen."

"Wenn jeder", lachte der König bitter, "der ein Schwein gesehen hat, nicht mehr heiraten wollte, wäre die Menschheit längst..."

"Ich habe mich in dieses Schwein verliebt und das Schwein sich in mich", gab Anna zurück. "Ich werde entweder dieses Schwein heiraten oder niemand."

Wie jeder vernünftige Mensch an seiner Stelle auch, mußte der König annehmen, seine Tochter sei über Nacht in den schwärzesten Wahnsinn verfallen. Er schickte nach seinem Hofzauberer und trug ihm den Fall vor.

"Traurig, traurig", sagte der Zauberer und schüttelte sein Haupt. "Da ist guter Rat teuer."

Der König, welcher die enormen Honorare des weisen Mannes kannte, seufzte ergeben und erteilte ihm den Auftrag, seine Tochter unverzüglich und unter allen Umständen von ihrem Schweinewahnsinn zu heilen.

Der Zauberer hatte sich eine verteufelt schwere Aufgabe aufgehalst. Anna erwies sich als ausgesprochen störrisch. All seine Künste blieben vergeblich, ja, die Sehnsucht Annas nach dem unbekannten Schwein schien mit jedem Tag, der verstrich, eher noch zuzunehmen. Eines Abend verlor der Zauberer die Geduld. Wütend erhob er die zaubermächtige Hand und verwandelte die Tochter des Königs in ein leblos Ding.

"Da kannst du nun stehen und über deinen Starrsinn nachdenken", schrie der Zauberer aus dem Fenster hinaus, "bis ich dich morgen früh vom Bannfluch befreie."

Dann schloß er das Fenster und ging nachhause.

Ein Auto, das allzu eilig um die Ecke geschossen kam, erfaßte ihn wenige Meter vor seinem Hause und tötete den Hofzauberer.

Einige Zeit nach diesen Ereignissen kam ein großes, dickes, rosafarbenes Schwein mit schwarzem Hut in die Stadt des Königs. Wichtige, unaufschiebbare Geschäfte hatten Eberhard Pirzer in die Ferne getrieben und dort für einige Zeit festgehalten.

Wie aber staunte das Schwein, als es die Stadt des Königs in großer Trauer versunken fand.

"Was ist geschehen?" fragte es einen Passanten. "Ist euer König gestorben?"

"Ach!" sagte der Passant in großer Verbitterung, "wenn er es nur wäre. Es ist seine Tochter, diese schöne, kluge und gütige Frau..." Und er konnte vor Weinen nicht mehr weitersprechen.

Eberhard Pirzer wurde totenbleich. "Die Tochter des Königs", flüsterte er. "Wie schrecklich."

"Ja", schluchzte der Passant. "Und alles wegen dieses Schweins."

"Wegen welchen Schweins?" fragte Eberhard erschrocken.

Und der Passant erzählte ihm, wie die Prinzessin alle Bewerber um ihre Hand zurückgewiesen habe, weil sie sich in ein vorübergehendes Schwein verliebt hatte und wie dann die verfluchte Geschichte mit dem Hofzauberer passiert war.

Eberhard Pirzer dankte für die Auskunft und ging weiter. Er war entsetzt und erleichtert zugleich. Schrecklich schien ihm das Schicksal der einmal nur gesehenen Geliebten. Dankbar nahm er zur Kenntnis, daß sie anscheinend noch nicht - wie zuerst gefürchtet - tot war. Und über allem lag die Gewißheit, von seiner Prinzessin wiedergeliebt zu werden.

Eberhard gab seine Geschäfte auf, raffte seine Ersparnisse zusammen und machte sich auf, die Verschwundene zu suchen. Die Stadt, das ganze Königreich suchte er nach ihr ab. Er kroch in die entlegensten Winkel und Löcher, fragte, wer immer Ohren hatte, seine Fragen zu verstehen. Er bekam jedoch nie eine Antwort, die ihn seinem Ziel nähergebracht hätte.

Woche auf Woche verstrich und die Ersparnisse Eberhards gingen zur Neige. Er war gezwungen, sich Arbeit zu suchen, brauchte aber Zeit genug, weiter nach seiner verschwundenen Prinzessin zu suchen. So verdingte er sich stundenweise als Tankwart. Tagaus, tagein versah er seinen Dienst bei der Tankstelle vor dem Königsschloß. Geduldig betankte er Autos und bald schon, er wußte nicht, wie und warum, fand er Gefallen an seinem neuen Beruf.

Monat um Monat ging auf diese Weise ins Land und es wurde wieder Mai. Eberhard aber hatte seine Anna immer noch nicht gefunden.

Wieder stand der rote Mond am Himmel. Eberhard Pirzer lehnte an seiner Zapfsäule und hing seinen Gedanken nach. Traurige, sehnende Gedanken gingen ihm durch Kopf und Herz, Gedanken an Anna und ... Anna.

Leise weinend seufzte das Schwein den Mond an, im Gedenken an seine verschwundene Geliebte umfing er die Zapfsäule mit bräutlichem Griff und drückte ihr, "Ach, Anna!", einen Kuß auf den Benzinzähler.

So tief war Eberhard in seine Träume versunken, daß er glaubte, es würde die Zapfsäule ihn wieder küssen, sie würde sich weich und warm in seinen Arm schmiegen. Als er, aus seinem schönen Trugbild erwachend, die Augen öffnete, hielt er tatsächlich Anna, die geliebte Prinzessin, in seinem Arm. Die Zapfsäule aber war verschwunden.

Durch schurkische Zauberei zur Zapfsäule erstarrt, war die Prinzessin durch die Macht der Liebe von ihrer Verwünschung befreit.

Gemeinsam flohen Anna und Eberhard aus diesem schrecklichen Land, in welchem der König weniger der entschwundenen Tochter, als vielmehr dem entgangenen Thronerben nachweinte.

Sie erwarben irgendwo ein Häuschen und lebten glücklich miteinander.

Zapfsäulen jedoch bleiben heutzutage Zapfsäulen, du magst sie küssen, soviel du willst.

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