Zehn Jahre dauerte nun der Krieg um Troja. Zehn Jahre!

Seit zehn Jahren lag das griechische Heer vor den Mauern der Stadt und versuchte mit wechselndem Glück, das fest ummauerte Troja zu erobern. Vergeblich, bisher.

Eines Morgens aber, als die Dämmerung über den Bergen heraufzog, fanden die Wächter auf den Mauern Trojas die Ebene vor der Stadt verändert vor.

Keine Zelte waren mehr zu sehen, kein Lagerfeuer kräuselte mehr Rauch nach oben, der Mastenwald der Belagerungsflotte war abgeholzt.

Das Heerlager der Griechen war verschwunden.

Nach zehnjährigem Krieg sah die Umgebung von Troja wieder aus wie die Umgebung einer normalen Stadt.

Bis auf das Schwein, natürlich,

Ein Stück von der Stadt entfernt, dennoch deutlich zu sehen, stand ein riesengroßes, dickes, rosafarbenes Schwein mit schwarzem Hut. Aufgeregt stolperten die Wächter zum König, um ihm von der seltsamen Erscheinung zu berichten.

König Priamos beriet sich mit seinen Truppenführern und erklärte dann, offensichtlich hätten die Griechen die Vergeblichkeit der Belagerung eingesehen und zum Zeichen der Versöhnung diese wunderbare Statue als Geschenk hinterlassen. Man werde in festlicher Prozession hinausziehen, um das geschenkte Schwein im Triumph in die Stadt zu bringen. Dort werde man es zum ewigen Gedenken an den Sieg Trojas über die Griechen aufstellen.

Begleitet von den Höchsten Würdenträgern zog Priamos hinaus vor die Stadt. Eine große Menge Volks, begeistert, erleichtert und wahnsinnig neugierig, folgte ihm.

In der Menge des Volks befand sich auch Andraxos, ein Junge von vielleicht 12 Jahren, in Begleitung seines Vaters.

"Papa?" fragte er.

"Ja."

"Wo hast du eigentlich dein Schwert versteckt?"

"Schwert? Was für ein Schwert? Und wieso versteckt?"

"Na, weil ich doch keins sehe."

"Du siehst keins, weil ich keins dabei habe."

"Und all die anderen?"

"Die sind natürlich auch unbewaffnet. Das ist eine Feierliche Triumphprozession, kein Kriegszug."

"Und womit wollt ihr euch gegen die Krieger wehren?"

"Welche Krieger?"

"Na jene, die im Bauch des Schweins versteckt sind."

Ruckartig blieb der Papa von Andraxos stehen. "Wie kommst du denn darauf?"

Verwirrt schaute Andraxos seinen Vater an. "Aber..., wozu sollte das Schwein sonst gut sein?"

"Als Versöhnungsgeste oder so."

"Nach so viel Jahren Krieg? Einfach ein Geschenk hingestellt und weggefahren?"

"Hm!"

Einige der Umstehenden hatten dem Gespräch zwischen Vater und Sohn gelauscht.

Und kamen in's Denken.

Und diskutierten.

Als die Diskussion ganz vorne beim König angelangt war, lachte man sehr über den drolligen Einfall des Jungen. Erst herzlich, dann verblüfft und schließlich...

Schließlich meinte einer, es sei - natürlich, ganz klar - absolut unmöglich, daß von dem Schwein irgendwelche Gefahren für Troja ausgehen könnten, andererseits würde es nicht schaden, das Schwein erst mal in aller Ruhe auf verborgene Krieger oder sonstige Gefahren abzusuchen, ehe man es in die Stadt transportiere.

Und weil der Mann, der dies sagte, Priamos hieß und von Beruf König war, wurde sein Vorschlag begeistert aufgenommen.

Kolchas, der Zimmermann, nahm seinen Hammer und klopfte damit den Leib des riesigen Schweines ab.

"Also massiv", sagte er schließlich bedächtig. "Direkt massiv ist die Statue nicht."

"Also hohl?" fragte Laokoon, der Oberpriester.

"Ich will mal so sagen: Der Hohlraum ist mit etwas gefüllt."

"Mit Soldaten?"

"Wenn, dann sind sie nackt."

"Also, mit nackten Griechen werden wir fertig", bemerkte launig der König.

Nach altem trojanischen Recht hatte der König das Recht, Geschenke an den Staat als erster auszupacken. Unter den gegebenen Umständen trat König Priamos dies Vorrecht großzügig an den Oberpriester Laokoon ab. Dieser wollte dem König an Großzügigkeit nicht nachstehen und gab das Recht zum Öffnen des Schweines seinerseits weiter.

Nun, letztlich blieb die Sache bei Aeneas, dem Gemeindearbeiter, hängen.

Aeneas, der sich Angst vor Gastgeschenken nicht leisten konnte, öffnete mit großer Umsicht eine an der Unterseite des Schweins angebrachte Luke. Aeneas wäre fast erschlagen worden, als aus der Schweinestatue Marzipanschweinchen purzelten, Marzipanschweinchen und Marzipanschweinchen, Unmengen an Marzipanschweinchen.

Im trojanischen Volke brach unerhörter Jubel aus. Zehn Jahre Krieg! Zehn Jahre Entbehrungen! Und nun: Marzipanschweinchen!

Dazu muß man wissen, daß die Trojaner als die größten Schleckermäuler der Antike galten. Wann immer ein fremder Gesandter zu Verhandlungen nach Troja kam, führte er reichlich Süßigkeiten im Reisegepäck mit. Fehlten die süßen Gaben, kam dies einer Kriegserklärung gleich.

Unter strengster Bewachung, auf daß niemand sich vorzeitig bediene, brachte man Schweinestatue und Marzipanschweinchen im Triumphzug nach Troja.

Von den Stufen des Hera-Tempels aus verkündete König Priamos dem hingerissenen Volk, er werde die Marzipanschweinchen an alle verteilen lassen. Jeder Bürger, gleich, welchen Ranges und Standes er sei, solle seinen Anteil Schwein bekommen.

Laokoon beugte sich ein wenig vor, um Priamos etwas ins Ohr zu flüstern. Priamos nickte und fuhr fort.

"Damit der Segen der Götter auf den Marzipanschweinchen ruhe, werden wir die Gabe der Griechen bis zum nächsten Morgen im Hera-Tempel lagern, auf daß sie geheiligt und gesegnet würden."

Das Volk von Troja, wenngleich enttäuscht über die Verzögerung, fügte sich ohne Murren.

Als Priamos unter den Augen einer erwartungsvollen Menge am nächsten Morgen die bronzenen Tore des Tempels öffnete, fand er den naschhaften Laokoon und seine beiden Söhne neben den Marzipanschweinchen.

Liegend.

Tot.

Vergiftet.

Als auf Befehl des Königs die vergifteten Marzipanschweinchen verbrannt wurden, flossen reichlich Tränen.

Troja aber war gerettet.

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