Kinder, wie die Zeit vergeht. Inzwischen ist es schon wieder elf Jahre her, daß Osama bin Laden tot ist. Die Empörung über die Aktion der Amerikaner war damals weltweit groß, von Mord war die Rede und viel Fäuste wurden geschwungen Richtung Washington.
Mord, hm.
Aber, Gottchen, was heißt schon "Mord"? Der Staat, jeder Staat dieser Erde, nimmt für sich das Recht in Anspruch, Dinge zu tun, die er dem privaten, nur für sich handelnden Staatsbürger strengstens verbietet und als moralwidrig verdammt. Der Staat sperrt Leute ein, was bei mir "Freiheitsberaubung" hieße und dazu führte, daß man mich einsperrte, also der Freiheit beraubte. Der Staat tötet Menschen, sei es im Krieg, sei es im Rahmen der Todesstrafe. Würde ich desgleichen tun, so würde ich für diese Tötung eingesperrt oder - je nach Weltgegend - meinerseits getötet.
Gegen diese Monopolisierung von Gewalt ist im Prinzip nichts einzuwenden, das staatliche Gewaltmonopol macht unser Leben doch um einiges geruhsamer als wenn wir noch in der Zeit des Faustrechts lebten.
Es wird also getötet in dieser gottverdammten Welt und es wurde und wird ständig und massenhaft getötet, vor allem vom Staat und von Leuten, die gerne ein Staat werden wollen. Entgegen anderslautenden Gerüchten ist nämlich das Recht auf Leben, Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit kein unveräußerliches Menschenrecht. Dieses Recht wird tagtäglich veräußert und genommen, auch und gerade von denen, die es verkünden.
Die Frage ist aber: Wenn denn schon getötet werden muß, wen sollte man dann töten? Den Soldaten, den Gotteskrieger, den "Terroristen"? Oder irgendwelche Leute, die gerade zufällig in einem Haus in Bagdad oder einer U-Bahn in London zusammensitzen? Oder doch eher die Anführer, jene, die hinter dem Soldaten, dem Gotteskrieger, dem Terroristen stecken?
Ich mein, an die Anführer kommt man normalerweise nur sehr, sehr schwer ran, klar. Wenn aber... Sollte man sich dann wirklich Gedanken drüber machen, ob ihre Tötung eventuell Mord ist, während man gleichzeitig die Tötung der von diesen Anführern geschickten Leute als normale Kriegsfolgen in eine Statistik einträgt?
Wen denn, wenn nicht Bin Laden hätte man damals töten sollen? Den begehrten Titel "Schmusebär des Jahres" hätte Bin Laden sowieso nicht bekommen, auch im Jahr seines Hinscheidens nicht.
Wenn ich - es wird nie dazu kommen, klar, aber machen wir halt ein Gedankenexperiment - ...wenn ich also eine MP in die Hand gedrückt bekäme und man mich unter Androhung schwerster Übel vor die Alternative stellte, entweder einen iranischen (1) Gotteskrieger, Ali Irgendwerpur etwa, zu erschießen oder die gesamte iranische Regierung samt angeschlossener Höherer Geistlichkeit - glaubt einer im Ernst, ich würde auch nur einen Moment lang darüber grübeln, welche der beiden Alternativen die sinnvollere wäre? Ich würde darüber grübeln, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine der mir gestellten Alternativen zu wählen, ob es nicht eine Zumutung ist, mir überhaupt das Töten zu befehlen. Ich würde also grübeln, ob es nicht vielmehr erheblich sinnvoller wäre, den zu erschießen, der mir die MP in die Hand gedrückt hat. Aber wenn denn wirklich nur die Wahl bliebe zwischen den beiden Alternativen... Natürlich ist es sinnvoller und ethisch vertretbarer, einen General zu erschießen statt eines normalen Rekruten und es ist nochmal sinnvoller und ethisch vertretbarer, den Oberbefehlshaber des Generals zu erschießen als den General.
Nein?
Es sage jetzt keiner, die Tötung Bin Ladens wäre keine Kriegshandlung gewesen sondern eine zivile Tötung: Erschlägst du mich, erschieß ich dich. Der so oft durch die Medien gehechelte Terrorismus ist doch nicht eine Sache von Serienmördern, die einfach Vergnügen daran finden, Leute - und möglichst viele davon - zu töten. Der Terrorismus ist vielmehr der Krieg des Kleinen Mannes, zunehmend auch der kleinen Frau. Wer nicht das Geld und die Infrastruktur hat, Flugzeuge oder Raketen loszuschicken, um eine Stadt zu bombardieren, der ist gezwungen, die Bombe von Hand in die Stadt zu tragen und sie dort zu zünden.
Machen wir uns nichts vor, der Dritte Weltkrieg ist längst im Gange. Während des Zweiten Golfkriegs sah ich im Fernsehen ein Videos, das den Flug einer Lenkrakete zeigte, aus dem Inneren der Rakete gefilmt. Die Rakete nahm Kurs auf irgend ein Ministerium in Bagdad, sie steuerte auf den offenen Lichtschacht des Hochhauses zu und explodierte dann im Lichtschacht. Das war der erste Turm der Drillingstürme, ohne es zu wissen gehe ich davon aus, daß mindestens 3000 Menschen dabei um's Leben kamen.
Die Tötung Bin Ladens war keine Exekution sondern ein gezielter kriegerischer Akt. Der Tod Bin Ladens ist nicht beweinens- und verurteilungswerter (eher weniger!) als die Vernichtung irgendeines Kriegstoten.
Generell gilt meines Erachtens: Es gäbe viel weniger und viel kürzere Kriege, wenn die Wahrscheinlichkeit, in einem Krieg getötet zu werden umso höher wäre, je höher jemand in seinem Rang in der Kriegsmaschinerie steht.
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(1) Wem "iranisch" nicht gefällt, aus welchen Gründen immer, der setze getrost irgendeinen anderen Ländernamen ein.