Über Original, Kopie und Schönheit

In den neunziger Jahren hatte ein gewisser Ely Sakhai ein interessantes Geschäftsmodell entwickelt. Er verschaffte einer kleinen, handverlesenen Schar von Kunstfreunden ein exquisites ästhetisches Vergnügen, ein Vergnügen, das diese Kunstfreunde allerdings mit einem herben finanziellen Verlust bezahlen mußten.

Sakhai kaufte Meisterwerke der klassischen Moderne, die durch Echtheitszertifikate als Originale beglaubigt waren. Anschließend ließ er von diesen echten Werken jeweils eine hervorragende Kopie anfertigen und verkaufte diese Kopie als echtes Bild an Kunstsammler - das originale Echtheitszertifikat hatte er ja. Die Kopien waren damit zu Fälschungen geworden. Das echte Gemälde verkaufte er bei nächstpassender Gelegenheit wieder weiter. Die Masche funktionierte mindestens ein Dutzend mal, ehe Sakhai im Jahr 2000 aufflog: Ein von ihm weiterverkauftes Original und eine seiner Fälschungen wurden gleichzeitig bei zwei Auktionen in London und New York angeboten.

Diese Art von Betrug - nämlich das Fälschen tatsächlich existierender Werke bekannter Künstler - funktioniert natürlich nur bei den weniger bekannten Werken der großen Meister, bzw. bei Werken weniger bekannter Künstler. Die berühmtesten Werke der ganz großen Meister kann man nicht als Fälschung anbieten. Auch ein wenig sachkundiger Sammler wird sich nicht die "Mona Lisa", das "Nachtcafé" oder die "Sternennacht" (Starry night) von Van Gogh andrehen lassen, weiß er doch, wo die jeweiligen Originale hängen.

Eine ganz andere Art von Betrug im Kunstgeschäft ist die Stilfälschung. Das heißt jemand fertigt ein völlig neues Bild an, das so aussieht - und auch so verkauft wird - als ob es ein bislang nicht bekanntes Bild eines sehr bekannten Künstlers wäre.

Gerard Vaughan, Direktor der Nationalgalerie des südaustralischen Bundesstaates Victo­ria, mußte 2006 in dieser Hinsicht eine böse Erfahrung machen.

1940 hatte die Nationalgalerie in Melbourne das Gemälde "Kopf eines Mannes" von Vin­cent Van Gogh erworben. Es war eine gute Investition, über 65 Jahre lang haben Millionen von Kunstfreunden das Gemälde bewundert, es war das Prachtstück des Museums. Der "Kopf eines Mannes" hat heute einen Schätzwert von 15 bis 20 Millionen Dollar - das heißt: hatte.

Denn im Sommer 2006 lieh die Galerie das Gemälde an ein Museum in London aus. Dort untersuchten Kunstsachverständige von "Art Watch UK" das Gemälde und fanden "zahlreiche Hinweise, dass es sich um ein übermaltes Werk handele. Das Bild sehe Gemälden des Niederländers nur ähnlich." Bitterer Kommentar von Vaughan: "Wenn es ein falscher Van Gogh ist (...) verliert dieses Stück Leinwand all seinen Wert."

Inzwischen ist der Fall entschieden. Auf der Website des Van-Gogh-Museums in Amsterdam (www.vggallery.com) wird das Bild zwar noch aufgelistet, allerdings mit dem lakonischen Zusatz: "Note: No longer attributed to Vincent van Gogh. Artist unknown".

Nun sind Fälschungen keine Randerscheinungen des Kunstbetriebs, die halt immer mal wieder passieren. Eher könnte man sagen, Fälschungen bildeten das Kerngeschäft des Kunsthandels.

Die Kunsthistorikerin Fiona Seidler schreibt auf der Website Artfiler.de: "Im Durchschnitt ist jedes zweite am Markt angebotene Werk eine Fälschung. Zu dieser Erkenntnis kommen Fachleute von internationalem Rang: Hans. A. Lüthi, ehemals Leiter des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft, oder Thomas Hoving, früher Direktor des New Yorker Metropolitan Museums, schätzen beispielsweise, dass zwischen 40 und 60 Prozent des am Markt kursierenden Kunstgutes falsch seien. Christian Herchenröder, Marktbeobachter des Handelsblattes, rechnet hoch, dass auf jede entdeckte Fälschung neun weitere kommen."

Sachkundig gemachte Fälschungen sind nämlich schwer zu entdecken und manchmal... ja manchmal weigert sich die Fachwelt auch schlicht, eine Fälschung als Fälschung zu erkennen.

Der Holländer Han van Meegeren hatte während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg das Bild "Christus und die Ehebrecherin" von Jan Vermeer van Delft für einen ziemlich hohen Preis an Reichsmarschall Hermann Göring verkauft. Nach dem Krieg, bereits Ende Mai 1945, wurde Van Meegeren als Kollaborateur und Veräußerer nationalen Kulturgutes der Niederlande an den Feind verhaftet. Ihm drohte eine langjährige Zuchthausstrafe und so gestand er ziemlich bald, daß er diesen und weitere Vermeers gefälscht habe. Man hielt dieses Geständnis für eine allzu durchsichtige Schutzbehauptung und glaubte ihm nicht. So also mußte Van Heegeren in der Untersuchungshaft innerhalb von drei Monaten einen weiteren Vermeer malen, "Jesus unter den Schriftgelehrten".

Das Gericht setzte darüber hinaus eine siebenköpfige internationale Kommission ein, welche zwei Jahre lang die Vermeer- und Frans-Hals-Bilder, die Han van Meegeren als seine Fälschungen benannt hatte, nach allen Regeln der Kunst und Wissenschaft untersuchte, um abzuklären, ob die Gemälde zeitgenössische Fälschungen sind. Mikrochemische Untersuchungen ergaben schließlich, daß die verwendeten Farben mindestens zwei Substanzen enthielten, die eindeutig erst im 20. Jahrhundert hergestellt wurden. Dennoch blieben die Untersuchungsergebnisse noch lange Zeit umstritten, ehe neuere Untersuchungstechniken sie 1967 (!) bestätigten.

Die Nationalgalerie von Melbourne und Hermann Göring sind betrogen worden und wenn sie darüber empört sind, wird man ihnen die Bitternis gut nachfühlen können [1], denn sie haben einen herben betriebswirtschaftlichen Verlust er­lit­ten. Sie hatten für viel Geld einen geldwerten Gegenstand erwor­ben, der nun nach seiner Enttarnung als Fälschung nahezu wertlos geworden ist.

Nun sind aber Kunstsammler und Museumsdirektoren nicht nur Kaufleute und Geldverwalter, sie sind auch und vor allem - worauf viele von ihnen großen Wert legen - Kunstfreunde. Und für einen Kunstfreund, der sich an der Schönheit und gelungenen Gestaltung von Kunstwerken erfreut, hat sich durch die Entlarvung eines falschen Picasso, eines falschen Van Gogh nichts, absolut nichts geändert. Das schöne Bild ist immer noch das gleiche schöne Bild wie zuvor, nichts hat sich dran verändert. War es zuvor schön, ist es das jetzt immer noch. War es zuvor ein Meisterwerk, so ist es das immer noch. Kein Pinselstrich hat sich verändert.

Zwar ist im Falle des "Kopf eines Mannes" ein Gemälde von Van Gogh aus der Liste seiner Werke verschwunden, andererseits ist das meisterhafte Bild eines noch unbekannten Künstlers in der internationalen Kunstwelt erschienen. Der Kunstmarkt hat ein wertvolles Handelsobjekt verloren, der Kunstwelt ist ein wunderbares Bild Werk erhalten geblieben; offenbar ein Meisterwerk, da es ansonsten nicht 65 Jahre lang als Van Gogh durchgegangen wäre.

Und: Nicht ein Kunstexperte hat aufgrund seines Sachverstandes den falschen Van Gogh entlarvt. Niemand ist aufgestanden und hat sein geschultes ästhetisches Empfinden ins Spiel gebracht: "Das kann kein Van Gogh sein, dem Bild fehlt die Faszination der Bilder des großen Niederländers." Es blieb der Naturwissenschaft vorbehalten, das Bild als Fälschung zu entlarven.

Ja klar, wenn die Fälschung oder falsche Zuschreibung einmal enttarnt ist, dann kommen die Experten daher und behaupten, es im Grunde immer schon gewußt zu haben.

Was der Louvre in Paris für Frankreich ist, das ist der Prado in Madrid für Spanien. Und was die Mona Lisa für den Louvre ist, das ist "Der Koloß" von Francisco Goya für den Prado. "Der Koloß" gilt als das Meisterwerk Goyas, der uns so viele andere Meisterwerke hinterlassen hat. Das Bild ist das Schmuckstück des Prado und es zählt zu einem der am meisten von der Fachliteratur behandelten Gemälde.

Alles Vergangenheit, dies. Denn, wie es im Leben manchmal so geht: Vor einiger Zeit entdeckte man in einer Ecke des Bildes ein verstecktes Kürzel, das von den Experten als die Initialen "AJ" identifizierten. Das Bild ist inzwischen 200 Jahre alt und der Laie frägt sich natürlich, wieso diese Entdeckung in einem Bild, das schon Legionen von Experten sehr, sehr genau untersucht haben, nicht schon längst gemacht worden ist.

Wie auch immer:

Das Kürzel "AJ" deutet nicht auf Fran­cis­co Goya hin, das wurde selbst den Ex­per­ten klar, sondern vielmehr auf Asen­sio Juliá, einen Schüler Goyas, der - klar - auch in Goyas Werkstatt ge­ar­bei­tet hat.

Und nun gingen den Experten die Augen auf: Das Prado-Museum veröffentlichte ein Gutachten, das ein Team von Experten verfaßt hatte, welche den "Koloß" mehre Monate lang untersucht hatten. Das Werk passe nicht zum Stil Goyas, hieß es dort und: "Es gibt markante Unterschiede zwischen dem "Koloss" und den Meister­wer­ken Goyas, deren Urheberschaft doku­men­tiert ist. (...) Bei richtigem Licht be­­trach­tet wird deut­lich, dass die dürf­ti­ge Tech­nik, das Licht und die Farbtöne nicht dem Niveau Goyas entsprechen." Die Gutachter hoben ferner hervor, dass das Gemälde perspektivische Fehler aufweise, die einem Perfektionisten wie Goya niemals unterlaufen wären.

Das sind starke Worte, kühne Worte. Dem großen Meisterwerk Goyas, das zu den bedeutendsten Meisterwerken der Malerei gezählt wurde, wird nun auf einmal "dürftige Technik" nachgewiesen, man findet jetzt plötzlich Fehler in der Perspektive, die einem Perfektionisten wie Goya niemals unterlaufen wären. Waren die Leute vorher alle blind?

Als Van Meegeren bewiesen hatte, daß die Bilder (Motiv, Bildkomposition und Details) von ihm waren, war der ganze Zauber aus den Bildern raus. Nix mehr von wegen der großartige Vermeer usw. sondern nur noch - Kujau. Als der "Koloß" nicht länger Goya zugeschrieben wurde, hatte das Bild plötzlich handwerkliche Mängel, wie sie angeblich nur einem Maler von minderem Rang passieren könnten.

Dabei hatten die Bilder selbst sich in der Zwischenzeit überhaupt nicht verändert. Was nichts anderes heißt, als daß bei der Bewertung von Kunstwerken durch Betrachter, Schöngeister oder Experten das Kunstwerk selber nur ein Faktor ist und offensichtlich noch nicht mal der entscheidende. Entscheidender ist das Drumherum, das Gewese, Getue, die Legende. Etwas, das im Kopf des Betrachters vorhanden ist und seine Empfindung mehr lenkt als das Werk selbst.

.

---------------------------

[1] Gut, bei Hermann Göring dürfte sich die Betrübnis über den Betrug in Grenzen gehalten haben, er war damals bereits Gefangener der Alliierten und hatte andere Sorgen. Er wurde später zum Tode verurteilt und beging noch vor der Hinrichtung Selbstmord.

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

sisterect

sisterect bewertete diesen Eintrag 29.12.2022 23:26:38

Noch keine Kommentare

Mehr von Theodor Rieh