STELL DIR VOR, ES IST KRIEG...

Ein Satz und seine Geschichte

Vor etlichen Jahren war der Spruch "Stellt Euch vor, es ist Krieg und keiner geht hin" von bemerkenswerter Allgegenwart. Er war auf Plakaten, Plaketten zu finden, füllte in Zeitschriften graphische Lücken und sprang Dich vielfach versprüht von Häuserwänden an.

Der Spruch ist mittlerweile derart Gemeingut des Volkes in seiner ganzen Tümlichkeit geworden, daß er für volkstümlich gilt, spontan entstanden. Kaum einer weiß, wie er entstanden ist, noch auch macht er sich ein Problem daraus, des Nachforschens wert.

Müller klärt auf

Einem CDU-Landtagsabgeordneten aus Hessen war es zu verdanken, daß der Ursprung dieses pazifistischen Sinnspruches aus dem anonymen Tümel-Dunkel in's Licht klar bestimmbarer Autorschaft gerissen wurde. Bert BRECHT, so verkündete MdL Rolf MÜLLER in einer Presseerklärung, sei der Urheber dieses Spruches. Bert BRECHT aber, so fuhr er fort, habe den Satz ganz anders gemeint, was die grünen und sonstfarbenen Pazifistenheinis gezwungen habe, den zwei­ten und entscheidenden Teil der griffigen Sentenz dem leichtgläu­bigen Publikum einfach und klammheimlich zu unterschlagen. Und weil er nun wirklich nichts aus dem Zusammenhang reißen will, zitiert Herr MÜLLER das ganze BRECHTsche Gedicht:

Stell Dir vor, es kommt Krieg und keiner geht hin -

dann kommt der Krieg zu euch

Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt

und läßt andere kämpfen für seine Sache,

der muß sich vorsehen;

denn wer den Kampf nicht geteilt hat,

der wird teilen die Niederlage.

Nicht einmal Kampf vermeidet,

wer den Kampf vermeiden will;

denn es wird kämpfen für die Sache des Feindes,

wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.

Eine Spur verläuft sich

Pardautz!, sagt der überraschte Leser dieser Meldung, so also ist das in Wirklichkeit. Pardautz!, wie gesagt.

Dem aufmerksamen Leser des Gedichtes indes wird nicht entgangen sein, daß in den ersten beiden Zeilen von "Krieg" die Rede ist, während alle folgenden Zeilen von "Kampf" handeln. Während interpretationsgeübte und allzeit deutbereite Germanisten schon an Instant-Theorien basteln, was der mit allen Wassern literarischer Technik gewaschene Bertolt BRECHT mit diesem stilistischen Kunst- und Verwirrgriff wohl gemeint haben könnte, beginnen mißtrauische Burschen und Mädchen, die darüberhinaus im Besitz einer BRECHT-Gesamtausgabe sind, schon mal mit dem Blättern. Im Band IV, Gedichte, Seite 503 der Suhrkamp-Dünndruckausgabe werden sie fündig; finden dort aber nur ein enthauptetes Gedicht, in dem vom "Kampf" und nur vom "Kampf" die Rede ist. Die beiden ersten Zeilen der MÜLLER-Edition kommen dort nicht vor; nicht in der zitierten Form und nicht in etwelcher Variation.

Vom Kampf, vom Klassenkampf, ist bei BRECHT die Rede; und von der Unmöglichkeit, sich vor ihm zu verstecken oder darin neutral bleiben zu wollen. Vom Krieg, vom heißen Schießkrieg zwischen Staaten, vom Atomkrieg gar wird in diesem Gedicht geschwiegen.

Germanisten, schraubt die Füller wieder zu. Philologisches gibt es hier nicht zu interpretieren, Politisches vielmehr zu kommentieren. (Was aber andere machen sollen; es liegt eh auf der Hand.)

Herr MÜLLER ist einer Story aus den "Demokratischen Blättern", dem Verbandsorgan des "Rings Christlich-Demokratischer Studenten" (RCDS), dem Studentenverband der CSU/CDU, aufgesessen. Diese wie­derum wurden behumst von einem gewissen Hubert GROSSER, der den Spruch letztes Jahr schon auf einer Fotomontage mit BRECHTens Bild verwendet hatte. Des Collage-Künstlers GROSSER Manager, mit Namen Heinz RIEDEL, verweist seinerseits auf einen Sekretär BRECHTs, dessen Namen er "aus verständlichen Gründen" nicht nennen könne

Die Spur verläuft also nicht im quarzsauberen Sande, sondern in öder, stinkender Kacke.

Diese Spur!

Eine Spur findet sich

Eine andere Spur führt zu dem amerikanischen Schriftsteller Carl SANDBURG, der 1967 im gesegneten Alter von 89 Jahren starb. SANDBURG läßt in seinem Buch "The People, Yes" ein kleines Mädchen beim Anblick einer Truppenparade sagen: "Sometimes they'll give a war and nobody will come."

Und abermals Amerika: die Publizistin Charlotte KEYES prägte 1966 den Satz: "Suppose they gave a war and no one came."

Alles klar?

Klar!

Fast alles klar, soweit.

Ein Satz verdünnt sich

Was mich allerdings ärgert - und mit verstreichender Zeit zusehends mehr ärgert - ist die heute gebräuchliche Form des Satzes:

"Stellt Euch vor, es ist Krieg und keiner geht hin."

Ich stelle mir bei dieser Formulierung stets ein Schlachtfeld der klassischen Art vor, auf dem nach vormals gebräuchlicher Art zwei Heere einander gegenüberstehen und Krieg führen. Kanonen donnern, Bajonette bohren sich in - nur kurze Zeit noch - lebendes Fleisch und Feldherren begucken sich vom gleichnamigen Hügel aus das lus­tige Verstümmel-Getümmel. Es ist also Krieg; was nicht ist - und was auch niemand vermissen wird - ist die Anwesenheit von Schlachtenbummlern.

Krieg ist's und niemand geht hin, ihn sich zu begucken. Eine Vor­stellung, die keinem Feldherrn auch nur eine Minute seines kost­baren Schlafes raubt.

Ein Krieg wird abgesagt

Nimm dagegen den Satz der Charlotte KEYES und übersetze ihn wörtlich in wohlvertrautes Deutsch:

"Stellt Euch vor, sie gäben einen Krieg und keiner käme."

Und nun, laß Deine Phantasie los, fülle den Satz mit Bildern, Assoziationen, konkret vorgestellter Situation.

Sie "geben einen Krieg", so wie Du eine Party, eine Fete oder Feier gibst. Wohlformulierte Einladungen sind auf kostbares Papier gedruckt und verschickt: "Die Hohen kriegführenden Parteien beehren sich, Sie zum nächsten Donnerstag frühmorgens auf das Schlachtfeld zum Kriege einzuladen. Uniformzwang. Keine Damen."

Und nun also der Alptraum jedes Party-Gastgebers: keine Sau kommt. Das Schlachtfeld ist frisch gemäht, Kanonen stehen blank geputzt und mit Munition wohlversehen einander gegenüber, Gewehre und Bajonette sind zu ordentlichen Pyramiden getürmt, Säbel liegen zu schneidigem Gebrauch bereit. Ungeduldig sieht der General im Kreise seiner Offiziere wieder und wieder auf die Uhr. Der ange­setzte Zeitpunkt kommt näher, verstreicht und immer noch ist kein einziges Gramm Kanonenfutter in Sicht. Auch drüben, mit den besten Teleskopen nicht, ist nichts von irgendwelcher wohlfeiler Metzelware zu sehen.

Es kommt keiner.

Mißmutig verbringt man den Rest des Tages damit, den Krempel wie­der aufzuräumen und eine besonders scharf formulierte Note an den Feind zu verfassen.

Der Heldentod muß mangels Helden abgesagt werden.

Vergleiche nun die gallig-ätzende Ironie, die im zweiten Spruch beschlossen liegt mit dem labbrig feuchtpapierenen Pazifisten-Pathos der heute leider immer noch verbreiteten Version. Vor einigen Jahren noch konnte man hauptsächlich die wörtliche Übersetzung von Charlotte KEYES' Satz lesen - ich habe sie unter anderem auf Briefpapier gefunden. Weiß der Geier, wer auf die Idee gekommen ist, bitterböse intelligente Poesie gegen saftlos laue Parolen-Prosa einzutauschen.

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philip.blake

philip.blake bewertete diesen Eintrag 17.07.2020 07:21:09

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