Die Geschichte zur Pandemie

Im Frühjahr, als die Welt in üppigster Blüte stand, näherten sich Prediger des Erzbischofs Walter von Schlaintz der auf der Spitze eines Hügels gelegenen Stadt Trischnitz. Der Erzbischof hatte sie ausgesandt, den Heiden von Sulpitz die Religion des Herrn Jesus zu bringen. Da man mit Widerstand der Heiden gegen die Rettung ihrer Seelen rechnete, führten die Missionare Lanzen und Schwerter und allerlei Kriegsgerät mit sich.

Die Bürger von Trischnitz betrachteten die frommen Männer, die zu Tausenden über die umliegenden Hügel auf sie zugeritten kamen, mit gemischten Gefühlen. Zwar hatten sich Stadt und Umgebung bereits vor zweiundvierzig Jahren in den christlichen Glauben ergeben, dennoch war man angesichts des riesigen Heeres in großer Sorge.

Bürgermeister Hadubrandt beriet mit den Hohen Herren des Rates die Lage und nach kurzer Sitzung wurde beschlossen, sich dem heranrückenden Heere auf Gnade und Verderben auszuliefern, da eine Verteidigung gegen Tausende von Angreifern sinnlos wäre.

Als ein Bote die Nachricht brachte, man habe vom höchsten Turm der Stadt die Fahne des Erzbischofs erkannt, erbleichten die Räte und fingen an, zu beten und nach der Letzten Ölung zu schicken.

In diesem Augenblick höchster Bedrängnis und Verzweiflung trat der Stadtdiener Horstmar an den Bürgermeister heran. „Draußen, Euer Gnaden“, sagte er dem würdigen Manne, „steht Eginolf und bittet um Gehör.“

„Welcher Eginolf?“ fragte Hadubrandt. „Eginolf, der reiche Tuchhändler?“

„Nein, Euer Gestrengen.“

„Doch nicht Eginolf, der elende Scherenschleifer?“

„Nein, Eure Weisheit.“

„Wer also?“ knurrte Hadubrandt.

„Eginolf, der Schalksnarr.“

Noch ehe der Bürgermeister zu einer Ohrfeige für Horstmar ausholen konnte, trat Eginolf, der Narr, ein und unterbreitete dem staunenden Hohen Rate seinen Plan zur Rettung der Stadt.

Als Otto von Schlaintz, der Bruder des Erzbischofs, an der Spitze seiner Truppe die Stadt erreicht hatte, öffnete sich die kleine Pforte am Stadttor und heraus trat schleppenden Schrittes ein Mann, dem ein schwarzer Mantel die Gestalt und ein breitkrempiger, schwarzer Hut das Gesicht verdeckte.

Er trat näher, um einige Schritte vor Otto anzuhalten. Dort fiel er auf die Knie, hob die Arme zum Himmel und rief also: „Gepriesen seist Du, Otto von Schlaintz, der Du gekommen bist, die Stadt Trischnitz von ihrem Elend zu erretten!“

Otto von Schlaintz, zu dem dergleichen noch nie gesprochen worden war, verwunderten die Worte.

„Wir sind nicht gekommen, euch zu erretten!“ schrie er den Knienden an.

„Nicht?“ rief dieser enttäuscht. „So seid Ihr nicht die Truppen des Erzbischofs?“

„Doch, das sind wir.“

„Aber Du bist nicht Otto, der Bruder Seiner Eminenz?“

„Doch, das bin ich“, rief Otto stolz.

„So seid ihr also nicht gekommen, die Stadt in Schutt und Asche zu legen, die Männer zu töten und die Frauen zu schänden?“

„Doch“, rief Otto in Vorfreude auf das kommende Schlachtfest. „Doch, dazu sind wir gekommen.“

„Halleluja!“ rief der schwarze Mann und „Halleluja!“ kam es von den Zinnen der Stadtmauer herab.

Erstaunt blickte Otto von Schlaintz nach oben. Dort auf der Mauerkrone standen, dicht an dicht gedrängt, in schwarze Mäntel gehüllte Menschen. Die Männer trugen breitkrempige, schwarze Hüte, die das Antlitz bedeckten, während die Frauen ihre Gesichter mit schwarzen Tüchern verhüllt hatten.

„Wer“, fragte Otto irritiert, „wer sind diese Menschen?“

„Es sind die Einwohner von Trischnitz, die voll Sehnsucht auf ihre Errettung durch Dich und Deine Männer warten.“

„Errettung?“ fragte Otto, der gar nichts mehr kapierte. „Errettung vor was?“

„Vor dem Leben“, antwortete ihm ernsthaft der kniende schwarze Mann vor dem Stadttor von Trischnitz.

„Wenn es das ist, was euch juckt“, lachte der rohe Kriegsmann auf, „das könnt ihr haben.“

„Fangt mit mir an“, rief der Schwarze begeistert. In einer schwungvollen Geste, die ihm den Hut vom Kopfe warf, riß er sich den Mantel auf und bot seinen nackten Körper dem Schwert Ottos zum tödlichen Stoße an.

Entsetzt prallte der edle Otto von Schlaintz zurück. Er hatte viel gesehen in seinem Leben als berufsmäßiger Totmacher, aber das...

Der Körper des Mannes vor ihm war von gräßlich schwärenden Beulen entstellt, aus denen Blut und Eiter floß. Sein Gesicht war von den Beulen so dicht bedeckt, daß nicht einmal seine eigene Mutter Eginolf, den Schalksnarren, erkannt hätte.

Ein Schrei aus Tausenden von Kehlen brandete gegen die Stadtmauer von Trischnitz und kam als Echo in das Heer Ottos zurück. „Die Pest! Die Pest!“

Den edlen Rittern, die sich schon so aufs Schänden und Totmachen und Plündern gefreut hatten, war die Freude gründlich verdorben. Sie rissen ihre Pferde herum und flohen in wilder Panik.

Weg, nur weg von diesem grauenvollen Ort!

Wer immer von Ottos Kriegsmannen in den folgenden Stunden oder Tagen einen kleinen Huster machte, geriet in den Verdacht, die Pest bereits in sich zu haben. Er wurde erbarmungslos von den eigenen Kameraden erschlagen und am Wegrand liegengelassen.

Und so breitete sich neben der Angst vor der Pest die Angst vor der Angst der Anderen im Heere aus. Jeder fürchtete, im nächsten Augenblicke selbst als pestkrank verdächtigt und erschlagen zu werden. Und so schlugen sie sich, jeder für sich, in die Büsche. Viele verirrten sich in den riesigen, dichten Wäldern zwischen Trischnitz und Sulpitz und verhungerten. Andere gerieten in die tückischen Sümpfe von Aschlau, aus denen noch keiner je herausgekommen war. Wieder andere dienten den Bären und Wölfen zur Nahrung. Der Rest verfiel dem Wahnsinn und verkam.

In Trischnitz hatten Eginolf und seine Helfer viel Arbeit, sich die angeschminkte Pest vom Leibe zu waschen.

Noch heute feiern die Heiden von Sulpitz am Eginolfstag ihre Errettung vom Christentum. In Trischnitz dagegen ist die Erinnerung an ihren genialen Schalksnarren erloschen.

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