Locus genii
Der Artikel ist im August 1983 - relativ kurze Zeit nach der Neueröffnung des Etablissements - im "Regensburger Monatsmagazin" erschienen, wurde dann auch, ca. ein Jahr später, in Michael Skasas "Sonntagsbeilage" im Bayerischen Rundfunk gesendet.
Zur Topologie des Metabolismus
Wenn ich in der Regensburger Altstadt zu tun habe, dann suche ich es seit Jahren so einzurichten, daß ein kurzer Besuch in meinem Lieblingslokale drin ist. Meist wird mein Wunsch erfüllt, häufig wird dieser Besuch ohnehin zur schieren Notwendigkeit.
Oft bin ich ganz alleine dort, nur ausnahmsweise treffe ich einen anderen Gast - dann aber auch nie mehr als einen gleichzeitig. So finde ich Beschaulichkeit und Ruhe an einem Ort, der eigentlich pulsieren sollte vom saftigen Leben.
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So sehr diese Lokalität mich also anzieht und jedesmal aufs Neue für mein Kommen entlohnt, so wenig lassen sich offensichtlich andere Menschen - Touristen oder Einheimische - vom eigentümlichen Zauber dieses Ortes gefangennehmen.
Einen Katzensprung vom Haidplatz entfernt, in allerbester Altstadt-Lage, erleidet eine der erfreulichsten öffentlichen Bedürfnisanstalten dieser Stadt das herbe Schicksal einer Verkannten.
Eine wahrhaft geheime Offenbarung
Das aber ist weniger ein Wunder als vielmehr eine Schande. Ein nicht Ortskundiger findet dieses Klosett einfach nicht, allenfalls zufällig stolpert er hinein.
Man müßte schon mit der Beobachtungsgabe eines Sherlock Holmes begabt sein, um die in der Umgebung versteckten Hinweisschilder zu erblicken. An den beiden Enden der Unteren Bachgasse sind zum Beispiel in Augenhöhe eines Riesen winzige Täfelchen angebracht. Auf weißem Grund geben die kleingeschriebenen Großbuchstaben "W" und "C" in Zusammenarbeit mit einem winzigen Pfeil die Nähe einer öffentlichen Pisseria bekannt.
Das Äußere dieses entspannenden Lokals selbst ist so zurückhaltend gestaltet, daß es dem normal aufmerksamen Wanderer schwerfällt, das Klohafte der Örtlichkeit im Vorbeigehen zu erkennen. Selbst mit drangvoll gespannter Blase und krampfhaft verkniffenem Darmausgang werden viele an diesem Ort vorbeihasten. Es sei denn, ein gnädiges Geschick ließe sie just vor der gelobten Tür schräg seitlich rechts (oder links) nach oben blicken; vorausgesetzt auch, es sind ihre Augen im Moment des Aufblickens nicht blind von bitteren Tränen entschlossenster Zurückhaltung.
Nur wer aus der halböffentlichen Passage zwischen "Orphèe" und "Sudhaus" kommt und wem also das vordergrieb'sche Klo frontal ins Blickfeld springt, hat eine faire Chance, auch spontan den locus genii zu finden. Seit diese Passage dem Publikum versperrt ist, ist das Schwierige noch ein wenig unmöglicher geworden.
Diese Art, den Weg zum Orte schlußendlicher Erlösung zu weisen, trägt - mit allen Salben geriebene Kleriker unter den Lesern werden dies schon bemerkt haben - alle Merkmale einer religiösen Offenbarung an sich:
* Die Zeichen sind zwar gesetzt, die Wege gewesen;
* Sie sind aber verschlüsselt gewiesen, esoterisch gesetzt.
* Die Zeichen sind also derart vergeheimnist, daß sie sich nur dem bereits Eingeweihten erschließen.
* Man könnte sich demzufolge die ganze Offenbarung schenken.
Eintreten und sich wohl fühlen
Nun aber laß uns die allzu düsteren Gedanken verscheuchen und annehmen, Du habest in der Stunde großer Drangsal und bitterer Not den Weg zur Vorderen Grieb letztlich doch - und noch rechtzeitig! - gefunden.
In der Gewißheit, daß alle mühselige Beladenheit ein baldiges Ende haben wird, betrittst Du die Befreiungshalle - und glaubst, Deiner bislang so zuverlässigen Nase nicht länger trauen zu dürfen.
Es stinkt hier nicht; nicht nach abgestandenem Urin und nicht nach frischgelegten Gebraucht-Lebensmitteln. Noch nicht mal die ekelhaft hygienischen Lutschwürfel, die Du sonst allenthalben in Becken und Rinnen findest, verströmen hier ihre süßlichen Wolken.
Es duftet hier nicht, es riecht ganz einfach sauber; im Prinzip nach nichts, wie in einer Bank etwa. Schnell durcheilst Du den Waschraum, ohne Blick noch für Einzelheiten, wichtige Geschäfte sind erst zu erledigen.
Die eigentliche Geschäftsstelle kann den ersten, guten Eindruck des Vorzimmers nur bestätigen. Die Kacheln sind in heimeligem Ocker, Beige, Pastellbraun - was weiß ich - gehalten, versprechen Geborgenheit. In dazu passendem Lindgrün sind Trennwände und Türen der beiden gemütlichen, geräumigen Appartements gestrichen.
Tritt ein, teurer Defäkant, und fühl' dich wohl! Vergiß vorerst die 30 Pfennige, die Dich dieser exquisite Spaß noch kosten wird. Nicht jetzt - wo Dir der Sinn nach anderem steht - mußt Du nach passenden Münzen suchen, verzweifelt vielleicht noch Passanten, Konfäkanten um Kleingeld bitten. Konzentriere Dich ganz auf das, was Du vorhast, zahle, was zu zahlen ist, draußen dann - später - an die Dame hinter dem Fenster. Leg' womöglich noch ein Trink(?)geld dazu - dreißich Fennje sind doch geschenkt, wenn Du bedenkst, daß das Würstelegen in dem miesen Schmuddelbunker unter dem Neupfarrplatz genau so viel kostet.
Häng' den Mantel an den Haken und während Du weitere Textilien abtust, sieh Dich um. Gefällige Armaturen, immer Klopapier zur Hand und immer auf der Rolle, nicht irgendwo - in einer Pfütze auf dem Boden liegend etwa; man kennt das. Ein diebstahlssicheres Schloß an der Rollenhalterung läßt Klopapier-Frevlern - welche ich an dieser Stelle nachdrücklich verfluchen möchte, samt Kindern und Kindeskindern bis in's dritte Glied - keine Chance mehr.
Ein Kapitel Spültheorie
Beim Anblick der Sanitär-Keramik weiten sich die Augen des Kenners in freudigem Erstaunen. Ein Tiefspüler, ein leibhaftiger Tiefspüler auf einem deutschen Publikums-WC.
An dieser Stelle müssen wir einen kurzen Exkurs in die Spültheorie riskieren.
Flachspüler nennt man jenes Entladegeschirr, welches die allermeisten von Ihnen vom heimischen Abtritt her kennen dürften. Die frisch und fromm abgezwickte Braunwurst plumpst bei diesem Modell fröhlich und frei auf eine Plattform, wo sie bis zur Abwicklung weiterer Formalitäten liegen bleibt. Defäkanten, welche sich im Stehen zu säubern pflegen, haben also Zeit und Muße, die Produkte ihres Tuns und (Fallen-)Lassens ausgiebig in Augenschein und Nasenatmung zu nehmen.
Bei den erwähnten - hierzulande eher seltenen - Tiefspülern hingegen, platscht die Biomasse unvermittelt ins Wasser. Nur der Unerfahrene benetzt sich dabei den Po. Gewitztere Konsumenten dagegen wissen sich auf einfache Weise zu helfen: ein Blatt Papier auf die Wasserfläche gelegt und man bleibt von ungebetener Nässe verschont. Die Geruchsentwicklung - und darauf beruht der exzellente Ruf des Tiefspülers in Kennerzirkeln - ist wesentlich geringer als beim Flachspüler: die Stinkmaterie verschwindet zum überwiegenden Teil sofort im Wasser, Geruchsstoffe werden also gebunden und können sich nicht weiter entfalten.
Soviel zur braunen Theorie, zurück zur lebendigen Praxis.
Nächste Woche Vor der Grieb
Ein Tiefspüler also steht Dir zu Verfügung, läßt am Ende Deiner Mühe mit sattem Glucksen all das verschwinden, was den Tag und die Oberfläche mit Recht zu scheuen hat.
Bei kleinem Geschäfte wirst du hier nicht weniger gut bedient. Eine vollautomatische Spülung mit Super-Licht-Sensor läßt das Wasser sofort nach dem Pinkeln frei. Geruch verschwindet, noch ehe er recht eigentlich entstehen kann.
Zum Händewaschen brauchst Du nicht mit beschmutzten Fingern nach dem Wasserhahn zu greifen, den -zig beschmutzte Finger an diesem Tag schon vor Dir berührt haben. Brauchst nicht nach getaner Säuberung erneut den beschmutzfingerten Hahn betatschen. Tappst vielmehr lässig mit dem Fuß auf einen Gummiball, läßt alle Brünnlein fließen und nimmst dann gelassen den Fuß wieder vom Balle.
Ich hoffe zuversichtlich, Ihnen mit diesem kleinen Artikel ein wenig... nun, nicht gerade den Mund wässrig gemacht zu haben, aber doch ein bißchen Ihr Interesse geweckt zu haben.
Also dann: Nächste Woche vor der Grieb!