Richard Lugner ist Richard Lugner. Man nimmt ihn nicht ernst. Meistens zu Recht. Aber zur Rolle und dem Privileg des „Buffo“ oder des Hofnarren gehört es auch, Wahrheiten frühzeitig zu sehen und auszusprechen. Auch wenn er vielleicht gar nicht weiß, wie recht er damit hat.
Dieser Text beginnt mit einer Lüge: Ich habe keine Ahnung, wieso mir diese Episode von anno dazumal ausgerechnet dieser Tage einfällt. Geschenkt.
Es war Richard Lugner, der mir die Augen öffnete. Glauben Sie mir: Das so hinzuschreiben, fällt mir nicht leicht. Schließlich gilt der Lugner doch - runtergebrochen - gemeinhin als ein ein bisserl dämlicher, selbstverliebter Tatterich mit einem Faible für Frauen, die nicht einmal ihm intellektuell das Wasser reichen können.
Ebenso: Geschenkt - darum geht es hier nicht. Oder vielleicht doch. Angemerkt sei aber, dass sich meine politische Augenöffnng durch Richard Lugner zutrug, als Lugner noch mit Christina „Mausi“ verheiratet war. Das ändert an dem, was man auch damals von ihm sagte und hielt wenig.
Warum ich bei ihm im Büro saß und ein vernünftiges Interview mit ihm führte? Nun: „Damals“ war irgendwann in den 90er-Jahren. Richard Lugner war gerade dabei, seine Lugner City durch geschicktes Standortmanagment zu vergrößern. Und das machte er aus ökonomisch-taktischer Sicht weder schlecht. Noch doof.
Ich arbeitete beim Falter. Und dass man nur mit Schrulligkeiten und Adabei-Verhaltensauffälligkeiten ein Bauunternehmen und ein Shoppingcenter zu der Größe bringen könnte, wie es Lugner geschafft hatte, wollten wir nichtglauben. Außerdem war Wahlkampf. Gemeinderat. Und weil uns der Hülsismus der Politikverweser außer hohl nur hohl vorkam, gab es da eine Serie. Zu Brennpunkten der Regional-, Lokal- und Bezirkspolitik. Vor-der-Haustür-Artikel. Geschichten über jene kleinen Alltagsangelegenheiten, die die Stimmung und das Leben oft maßgeblicher beeinflussen, als das, was Innen- und Lokalpolitikjournalisten gemeinhin wahrnehmen.
Sinngemäß um Fragen wie die Ausrichtung von Mistkübeln an schmalen Gehsteigen oder die Länge von Fußgängerampelphasen in der Nähe von Kindergärten. Wenn das nicht passt und sich keiner drum kümmert, beeinflusst das das Frustrations- und damit Wahlverhalten nämlich deutlich mehr, als alles Gewäsch über Währungsstabilität, Altersvorsorgesäulenmodellen oder Mastricht-Kriterien-Prozentpunkte.
Für diese Serie wollten wir ausdrücklich nicht mit Politikern reden.
Richard Lugner also. Für den 15. Bezirk eine echte Größe. Davon, als Kandidat für die Bundespräsidentschaftswahl oder mit einer eigenen Liste („DU - Die Unabhängigen“) in der Politik mit zu spielen, war noch keine Rede. Dafür war der Lugner-Steg (also die Fußgängerbrücke über den Gürtel) noch nicht gebaut.
Ein Vöglein aus der Stadtplanung hatte mich drauf angesetzt: Lugner wollte die Brücke der Stadt schenken. Weil die Fußgängergrünphase vor der Station Burggasse so kurz war, dass Kinder und ältere Menschen keine Chance hätten, den Gürtel zu überqueren, ohne von abbiegenden Autos gefährdet zu werden.
Die Stadt lehnte ab. Über Jahre hinweg. Aus Denkmalschutzgründen: Die Brücke würde das Otto-Wagner-Ensemble der U6-Station optisch beeinträchtigen. Insbesondere für Autofahrer am Gürtel Richtung Mariahilfer Straße. Die Stadtbibliothek genau über der Station sei natürlich kein Problem sei, hatte der Stadtplaner gezwinkert: „Lugner hat den falschen Architektennamen am Plan. Aber das hab ich nie gesagt.“
Lugner kannte ich bis daher als Teilzeit-Adabei-Schreiber für den Falter. Also genau den, den man heute auch noch in ihm sieht. Abzüglich Tatterichkeit und ganz junge Frauen. Aber als verhaltensoriginellen Selbstdarsteller von enden wollender Kultiviertheit und Intellekt.
Dann saß ich einem Mann gegenüber, der ganz eindeutig Richard Lugner war. Der aber dort, wo es um seine Anliegen ging, genau wußte, was Sache war. Wie Dinge funktionierten. Der präzise analysierte. Zahlen, Abläufe und Zeitpläne strukturieren konnte. Prioritäten und Querverbindungen in Relation zu setzen wußte - und trotzdem, sobald die Materie es zuließ, lugnerte, dass mir die Ohren schlackerten.
Bei einem Rundgang durch die Lugner-City erklärte er mir den Aufbau von Shoppingcentern. Besser und klarer, als alle „Experten“ mit elaborierten Konzepten („Im Supermarkt ist die Milch ganz hinten - und das, was keiner braucht dort, wo die Kassenschlange ist. Also hab ich den Merkur nach hinten und den Sexshop zum Bankomaten und Garagenkassen gestellt.“). Er hatte die Quadratmeterumsätze jedes Ladens im Kopf.
Und: Die Leute in der Mall kannten ihn. Lachten zwar - aber auf Augenhöhe: Ein Schrull. Aber authentisch. Nahbar. Einer von ihnen: „Regelmäßig Wurstsemmelnessen mit den Arbeitern ist wichtig. Dann bist du für sie am Opernball.“
Die Sache mit der Brücke sah er offiziell wütend („muss ich doch - sonst wird das nie was“), tatsächlich aber entspannt: „Ich brauch nur warten. Irgendwann kommen sie. Spätestens wenn da das erste Kind überfahren ist. Sie klopfen hinten eh schon an. Aber offiziell wird blockiert und abgeschmettert: Man lässt sich vom Lugner nix schenken!“
Irgendwann sprachen wir über Angebote am politischen Parkett. Lugner verstand das mit „Angeboten“ falsch. Als Frage, ob er da nicht mitspielen wolle.
Lugner: „Naja, interessant wäre es schon.“
Ich: (schaue fragend. Pause.)
Lugner: „Und fragen tun sie eh.“
Ich: „Wer?“
Lugner: „Eh alle.“ (Pause.) „Na, stimmt ned: Die Grünen noch nicht. Aber die anderen fragen immer wieder, ob ich oder die Mausi für sie ins Rathaus wollen.“
Ich: „Und?“
Lugner: „Lust hätten wir - aber: Aus der zweiten Reihe lassen wir uns nicht einladen. Da muss der Chef selbst fragen.“
Ich: „Und dann?“
Lugner: „Na dann samma dabei. Sofort.“
Ich: „Wirklich? Bei welchem Chef?“
Lugner: „Was meinen Sie mit der Frage?“
Ich: „Naja, es gibt sowas wie ideologische Unterschiede. Standpunkte …“
Lugner (bleibt stehen. Dreht sich zu mir. Legt den Kopf schief. Fragt ganz langsam): „Sagen Sie, Herr Rottenberger (er sagte immer Rottenberger; Anm. T R), machen Sie sich grad über mich lustig? Halten Sie mich für deppad? Ideologie? Standpunkte? In Österreich? Sagen Sie mal: In welchem Jahrhundert leben Sie eigentlich?“
Ein paar Jahre später:
Elisabeth Gehrer verpfändet „ihre Hand drauf“, nie mit Jörg Haider … Wolfgang Schüssle schwört, als Dritter in die Opposition…
Karl Heinz Grasser wechselt fliegend …
Die SPÖ hat Beschlüsse, „auf keiner politischen Ebene“ mit der FPÖ …
Aber: Nein, ich habe natürlich keine Ahnung, wieso mir die Geschichte mit Richard Lugner gerade dieser Tage wieder durch den Kopf geht.
Foto: Richard Lugner mit Ehefrau Cathy Schmitz; Fotocredit: Augsburger Allgemeine
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