Der große Sohn des kleinen Ortes

Die Wiege des Skilaufes stand in Stuben an der Hannes-Schneider-Promenade. Bloß: Die gibt es gar nicht.

Heute will ich Ihnen eine Geschichte vom Skifahren erzählen. Eine Geschichte vom Anfang. Die von der Wiege des modernen Skilaufes. Und bevor Sie mir jetzt (zurecht) zurufen, dass es mindesten 300 Orte gibt, die sich selbst als „Wiege des Skifahrens“ oder so etwas Ähnliches bezeichnen, bitte ich Sie einfach um Geduld – und entführe Sie auf den Arlberg.

Dort gibt es neben den berühmten und mondänen Destinationen Lech, Zug, Zürs und St. Anton noch einen kleinen Ort. Stuben. Ich gestehe: Ich bin ein absoluter Stuben-Fan. Weil der Ort einerseits zu klein ist, um Schickimickis und Remmidemmi Raum geben zu können, andererseits aber auch perfekt ans Arlberg-Skigebiet angeschlossen ist. Und darüber hinaus mit dem Hausberg, der Albona, die etwas steileren, etwas wilderen und etwas abgelegeneren Hänge und Hinterland-Freeride-Zonen hat – die auch deshalb weniger überlaufen sind, weil man hier bisher ganz bewusst keine Windschutz-Bubbles und Sitzheizungen in die Lifte eingebaut hat. Noch. Aber das ist eine andere Geschichte.

Doch um all das, was mir Stuben heute (abgesehen davon, dass dort gute Freunde von mir zu Hause sind) so sympathisch macht, geht es heute nicht. Sondern um das, was Stuben hervorgebracht hat. Das, was den Ort – hier kommt es – eben zur „Wiege des modernen Skilaufes“ macht. Das „das“ ist ein „jemand“: Hannes Schneider.

Schneider wurde am 24. Juni 1890 in Stuben geboren. Er gründete 1920 die erste Skischule Österreichs. Allerdings tat er das in St. Anton. Er spielte außerdem in so gut wie allen wichtigen Skifilmen der 20er und 30er-Jahre mit – oder doubelte die Hauptdarsteller im Schnee: Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Hannes Schneider nicht nur an der Wiege des modernen Skilaufes stand, sondern auch an der Wiege des Actionfilms.

Mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland wurde Skifahren „politisch“ – doch Schneider weigerte sich nicht nur, Nicht-Ariern den Zutritt zu seiner Skischule zu verwehren, sondern untersagte seinen Skilehrern auch jedwede NS-Propaganda. Unter anderem wegen ebensolcher Propagandatätigkeiten warf er auch einen Skilehrer raus. Vor dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs.

Das – also der – rächte sich: Am 12. März 1938 wurde Österreich Teil des Deutschen Reiches. Am 13. März wurde Schneider verhaftet. Internationale Stammkunden und Freunde übten so lange Druck aus, bis er und seine Familie ausreisen konnten. Schneider emigrierte in die USA. Er schuf in New Hampshire am Mount Canmore ein großes Skigebiet. Seine Skischule am Arlberg ging genau an jene Leute, die Schneider bekämpft hatten. Und blieb es auch nach dem Krieg. Der von Schneider gefeuerte Skilehrer, ein glühender (illegaler) Nationalsozialist, der nach dem Rauswurf nach Deutschland gegangen war, kehrte zurück – und wurde Bürgermeister in St. Anton.

Kein Wunder, dass man den Namen Hannes Schneider am Arlberg lange Zeit nicht allzu laut herumposaunte: Eine „klassisch“ österreichische Geschichte eben – die auch echt österreichisch weitergeht. Denn natürlich wusste auch nach 1945 jeder, dass Hannes Schneider den Grundstein für den Ruf der „Skination Österreich“ gelegt hatte. Aber das Drumherum war halt unappetitlich – also sprach man lieber nicht drüber. Einen Weg widmete man Schneider in St. Anton aber doch. Lange nach seinem Tod 1955 in den USA. Keinen Platz, keine Straße, keine Gasse – aber immerhin: ein Weg. In St. Anton.

Lange Zeit fiel das niemandem auf. Bis im kleinen Stuben vor einigen Jahren ein Generationenwechsel in der Hotellerie stattfand – und die Jungen Fragen stellten. Unter anderem, warum das kleine Stuben sich den Trumpf, Hannes Schneiders Heimat gewesen zu sein, nicht selbstbewusst auf die Vorarlberger Fahnen schrieb, sondern man Schneider kampflos den Tirolern in St. Anton überlassen hatte.

Bloß: Was tun? Stuben ist winzig. Es besteht aus einer einzigen Straße. Das Dorf kann – aus Lawinensicherheitsgründen – nicht größer werden. Und in Österreich werden Straßen und Plätze nur umbenannt, wenn sie politisch „belastete“ Namen haben. Aber „Dorfstraße“ ist halt wirklich absolut unverdächtig.

Doch einer der jungen Hoteliers beschloss, genau diese Kleinheit des Ortes als Asset zu nutzen: Stuben besteht aus etwa 30 Häusern. Kein Mensch braucht da eine exakte Adresse. Der Briefträger sowieso nicht. Also änderte der Hotelier einfach seine Hoteladresse. Statt „Hotel Mondschein, Stuben“ stand plötzlich überall „Hotel Mondschein, Hannes Schneider Promenade 9a, Stuben“Hotel Mondschein, Hannes Schneider Promenade 9a, Stuben“. Auf Briefköpfen. Auf der Homepage. In E-Mails. Stört keinen – und ist ein Statement.

Zunächst runzelten viele Stubener die Stirn. Doch nach kurzer Zeit begannen manche, es dem Hotelier nachzumachen: Heute kommt kein Gast mehr nach Stuben, ohne dass er auf den Namen – und somit die Geschichte – des größten Sohnes des kleinen Ortes stößt. An der Wiege des modernen Skilaufes.

Freilich hatte die Sache auch einen Haken. Einen formalen: Gab man nämlich in den ersten Jahren der „Promenade“ ins Navi „Hannes Schneider Promenade“ ein, bot es mit ziemlicher Sicherheit den „Hannes Schneider Weg“ als Alternative an. Und führte – erraten – nach St. Anton. Blöde Sache.

Mittlerweile findet man auf digitalen Karten aber auch die „Promenade“. Obwohl es sie de jure gar nicht gibt und voraussichtlich auch nicht so bald geben wird. Möglich machen das „intelligente“, weil mit Google und anderen Suchmaschinen verknüpfte, Ortungs- und Navigationsdienste, die nicht nur auf „offizielle“ Postadressen hinweisen.

Und außerdem ist da noch etwas: Das Hannes-Schneider-Denkmal. Das haben die Stubener nämlich 2012 errichtet – und zwar genau dort, wo es hin gehört: Vor dem Haus, in dem Hannes Schneider geboren wurde. Also dort, wo die Wiege des modernen Skilaufes tatsächlich stand.

Fotos Copyright: www.mondschein.com

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