In Chamonix hätte ich an einem der geilsten Berglaufevents der Welt (ein bisserl) teilnehmen können. Weil ich gesundheitsbedingt absagen musste, war ich sauer. Aber noch mehr als die Absage schmerzen die Bilder von dem, was ich versäumt habe.

Manchmal wäre ich gern ein bisserl gelenkiger. Dann könnte ich mich in den Hintern beissen. Zum Beispiel an Tagen wie heute. Denn soeben hat mir Bernhard einen Downloadlink geschickt. In dem war ein Zip-File. Und schon als ich das „entstuffte", wußte ich, dass ich mich gleich fett ärgern würde. Aber: So ist das Leben eben.

In dem Ordner, den mir der Österreich-PR-Mann der Lauf-Brand „Asics“ da geschickt hatte, waren Fotos. Lauffotos. Aber nicht irgendwelche, sondern Bilder von einem Rennen, das der Sportartikelkonzern Ende Juni in der Schweiz ausgerichtet hatte - und bei dem ich dabei sein hätte sollen. Eigentlich. Aber sagen Sie das mal einer grippalen Sommer-Verkühlung.

Ich kenne mich nämlich: Mit einem „bisserl Fieber“ und „einem bisserl Schädelwehhustenschnupfen“ setze ich mich allerweil in einen Flieger. Sonst Kommt nämlich die Ansage von der „tödlichen Männergrippe“. Und so wäre ich auch mit 38irgendwas nach Chamonix gereist, hätte ein paar Irren beim Umrunden des Mont Blanc binnen ein paar Stunden zugesehen - und wäre dann wieder heim geflogen. Bloß: Meine Trainerin, meine Freundin und ein paar vernünftige (durch die Bank weibliche) Bekannte haben es verboten. Weil sie mich kennen - und weil ich bei den beiden Testfragen („Wirst Du dort auch Ruhe geben?“ und „Wirst Du danach auch eine Woche wirklich nix tun?“) am Lügendetektor scheiterte.

Denn selbstverständlich wäre ich in Chamonix auch gelaufen. Zwar nicht den „echten“ Bewerb - also 150 Kilometer mit 3000 Höhenmetern innerhalb von 15 Stunden und 31 Sekunden - aber zuzusehen, wie Lauf-Schreiber, die ASICS da aus der ganzen Welt angekarrt hatte, im globalen Trail-Mekka ein paar wunderschöne Berg- und Alpenläufe hinlegen - und selbst an der Hotelbar sitzen bleiben? No way!

Ich kenne mich: Ich hätte mir selbst etwas von positiven Vibrations, gutem Energie-Input durch Set und Setting und heilende Kraft der Berge und vorgelogen, wäre bei den Begleit-Läufen mitgelaufen. Und dann gestorben. Weil: Dabeisein eben doch alles ist. Also ließ ich mich zu meinem eigenen Schutz entmündigen, gab meinen Pass ab, blieb in Wien, kurierte mich aus - und hoffte inständig, dass Bernhard. mich vergessen würde. Und ich daher nie erfahren würde, wie es denn so war. Beim „Beat the Sun“-Rennen rund um den kleinen Dreiländerhügel namens „Mont Blanc“

Aber: Schnecken. Bernhard schickte mir Bilder - und ich verfiel umgehend in den „Hättiwäri“-Modus und schrieb böse, gekränkte und beleidigte Mails an Trainerin, Freundin und alle Anderen, die mich überredet hatten, abzusagen: Sooooo krank sei ich doch gar nicht gewesen. (Die Damen kennen mich: Sie würdigten mein Geheul keiner Antwort - bedankten sich aber für die beigelegten Foto: „Supergeil. Da müssen wir auch mal hin!“ Danke, ganz lieb.)

Ach so, ich schulde Ihnen ja noch den Grund des Grimms: „Beat the Sun“ ist ein Lauf, den der Laufschuh- und Equipementhersteller heuer zum zweiten mal ausgerichtet hat. Am 21. Juni - dem längsten Tag des Jahres - starten Läufer (und einige, viel zu wenige, Läuferinnen) mit Sonnenaufgang einen Staffel-Rundlauf: Bis Sonnenuntergang hat jedes Team Zeit, die 150 Kilometer zu absolvieren. Also in exakt 15 Stunden 41 Minuten und 35 Sekunden. Die Strecke ist in 13 Etappen aufgeteilt - und die bieten so ungefähr als, was man beim Laufen als „Challenge“ bezeichnen könnte: Ausgesetzte Pfade im hochalpinen Bereich. Straßen. Feldwege. Wiesen und Felder. Steil rauf. Steil runter. Nass, trocken, matschig, rutschig. Jedes Team besteht aus sechs Läufern und Läuferinnen - und jeder (oder jede) kommt mindestens zweimal dran.

Wenn man sich für Laufevents ist das an sich schon spannend. Wenn man ein bisserl Respekt vor Spitzenleistungen anderer Menschen hat, wohl auch für Nicht-Läufer. Aber um das große Dilemma der Spitzensportberichte zu vermeiden, hatten die Asics-ler sich was einfallen lassen.

Das Problem heißt nämlich „Emotionalisierung“ des Publikums. Egal ob selbst Läufer oder nicht: Das, was Spitzensportler tun und leisten, ist heute so weit weg von Allem, was unsereiner auch nur annähernd über die Rampe bringt, dass man nach einem kurzen Blick auf das erste Bild meist mit den Schultern zuckt („Ok, da rennen ein paar Profis halt von der Morgendämmerung bis in die Nacht. Toll. Aber ich geh jetzt 45 Minuten im Park joggen.“) - und die Sache umgehend wieder vergisst: Das wahre Leben spiel anderswo.

Genau hier anzusetzen ist nicht einfach. Aber in Chamonix tat man es. Schließlich scheint die Sonne ja für alle gleich - und so mixte man die Teams: Je drei Profis liefen mit je drei „Hobbetten“. Also Jedermann- oder -frauläufern. Die, zugegeben, schon ein bisserl mehr drauf haben, als der Durchschnittsjogger von der Prater Hauptallee. Aber trotzdem.

Die Power und die Energie, die aus dieser Mischung kommt, macht dann das aus, was auch „Normalos“ kalt erwischt. Wegen der „me too“-Idee, die der Verweis auf den oder die Alltagsteilnehmerin da in die Hirne (und Herzen) des Publikums schickt: „Würde ich mich auch trauen? Bringe ich das?“

Sobald dieser Gedanke da ist, hat der Veranstalter gewonnen. Weil die Idee, der Traum, mit dem Event verbunden ist. Und es bleibt. Aber halt nur dann, wenn das Publikum überhaupt von solchen Veranstaltungen erfährt.

Hier beisst sich die Katze dann in den Schwanz: Der „klassische“ Sportteil jedes Mediums ist (immer noch) auf Liga- und Spitzensportevents fokussiert. Obwohl die Zugriffs- und Zuseherzahlen bei „eventiger“ angelegten Bewerben und Veranstaltungen längst in eine ganz andere Richtung zeigen.

Doch: Stop! Ich verzettle mich. Denn Überbau, Meta-Ebene und Motivation von Konzernen, die sich solche Events „gönnen“ sind zwar spannend. Aber gerade nicht die Geschichte. Die ist viel einfacher. Und ganz banal: Ich habe gerade diese Fotos dieser Veranstaltung bekommen und gesehen - und würde mich am liebsten in den Hintern beissen, weil ich nicht dabei war.

Weil ich das aber nicht kann, gibt es nur eine Antwort: Wenn die Wahnsinnigen kommendes Jahr wieder der Sonnen nachrennen, werde ich gesund sein. Um zumindest als einer der am Rande und eh nur ein bisserl teilnehmenden Beobachter sagen zu können: „Me too: I beat the Sun.“

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Silvia Jelincic

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