Charly Hafele hat mit seinem Hotel „Weisseespitze“ maßgeblich dazu beigetragen, dass das Kaunertal heute europaweit als Maßstab für barrierefreien Winterurlaub gilt. Bevor es soweit war, musste der Hotelier sich aber mitunter ein wenig mit den Vorschriften anlegen.

Es gab da den Moment, in dem sich Charly Hafeles Puls dann doch beschleunigte, er feuchte Handflächen bekam, und es ihm schwer fiel, das professionell fröhlich-optimistische Lächeln nicht all zu offensichtlich einfrieren zu lassen. Das war, erinnert sich der Tiroler Hotelier, in dem Augenblick, als der für Kommissionierung, Genehmigung und Abnahme zuständige Beamte der Gemeinde auf den Plan zeigte und jene Frage stellte, vor der sich Hafele und sein Architekt gefürchtet hatten. „Und wo ist das Stiegenhaus? Da, wo Sie es eingezeichnet haben, ist es nicht. Und auch sonst nirgendwo. Und das sollen wir Ihnen absegnen?“

Damals, im Jahr 2000, konnte man am unteren Ende des Tiroler Kaunertals in diesem Augenblick sogar das Knirschen hören, mit dem die Gletscher am oberen Talende sich bewegen. Alle Augen wandten sich dem Hotelier zu. In allen Gesichtern waren die gleichen Fragen ablesbar: War Hafele etwa komplett irre geworden? Konnte es sein, dass der Betreiber des traditionsreichen Hotels „Weisseespitze“ bei der Vergrößerung seine Hauses tatsächlich die grundlegendsten Regeln der Bauordnung mirnixdirnix ignoriert hatte - und das Not- und Brandschutzstiegenhaus schlicht und einfach nicht gebaut hatte?

Obwohl es in den Plänen ja eingezeichnet war. Und - und daran erinnerten sich einige Mitglieder der Kommission, die da gerade durch den soeben fertiggestellten Zubau zum (nun) größten Hotel im Kaunertal wanderten, um dem Hotel den amtlichen Betriebs-Segen zu erteilen - obwohl man Hafele beim Einreichen der Pläne doch ausdrücklich auf ebendieses zweite Stiegenhaus, den unverzichtbaren Fluchtweg für den Brand- und Katastrophenfall, hingewiesen hatte. War es tatsächlich möglich, dass der Hotelier geglaubt hatte, dass das Fehlen eines so zentralen Teiles des Gebäudes bei der Abnahme niemandem auffallen würde? War das Dummheit - oder Arroganz?

Der Augenblick dauerte ein paar Sekunden. Die sich, erzählt Hafele, wie eine Ewigkeit anfühlten. Doch dann begann einer in der Gruppe zu applaudieren. Und zwar, erzählt Hafele, der oberste Brandschutzbeauftrage des Landes. Der Mann applaudierte, klopfte dem Hotelier auf die Schulter und erklärte, dass das, was er da sehe, vorbildlich sei. Großartig. Einzigartig. Die anderen Kommissionmitglieder staunten: Hatte der Mann getrunken? Hatte er den Verstand verloren? Ein Brandschutzbeauftragter, der einen Bauherren lobte, der verpflichtend vorgeschriebene Brandschutzeinrichtungen schlicht und einfach nicht gebaut hatte?

Mitnichten. Sogar ganz im Gegenteil - aber der Landes-Feuerwehrmann war der einzige, der das erkannt hatte. Denn Charly Hafeles „Weisseespitze“ trägt nicht von ungefähr den Beinamen „Erstes Rolli-Hotel der Alpen“. Das Kaunertal ist ein - heute - vielfach und international für seine Barrierefreiheit ausgezeichnetes Skigebiet. Es gilt als das europäische Mekka der Monoskifahrer. Charly Hafele ist daran so etwas wie ein Hauptbeteiligter:  Er war es nämlich, der in den 90er-Jahren erkannte, was ein Hotel - und eine Region - braucht, um es Rollstuhlfahrern zu ermöglichen, möglichst unbehindert Ski- und sonstigen Urlaub zu machen.

Das sprach sich herum. Sein Hotel war bald voll. Rund ein Drittel der Gäste waren „Behinderte“ oder ihre Angehörigen - aber im Haus lebt man Barrierefreiheit so selbstverständlich, dass Nicht-Behinderten oft gar nicht auffällt, welche baulichen und organisatorischen Kleinigkeiten (und Nicht-Kleinigkeiten) da dahinter stecken. Das geht. Wenn man will. Als Hafele dann 2000 sein Hotel vergrößerte, dachte er logisch: Welchen Sinn hat ein Not-STIEGEN-Haus, wenn die im Brandfall aus dem Gebäude Flüchtenden oder zu Rettenden im Rollstuhl sitzen? Genau: Keinen - aber Vorschrift ist Vorschrift. Und die wäre mit einem Stiegenhaus erfüllt gewesen.

Den Applaus und das Lob des Oberbrandschutzmenschen des Landes bekam der Hotelier aber nicht für diesen logischen Schluss - sondern für das, was er stattdessen getan hatte: Statt des vorgeschriebenen Sinnlos-Stiegenhauses hatte er seitlich an sein Hotel ein Rampen-Haus angebaut. Von außen ist es unsichtbar - aber allen Brandschutznormen mehr als entsprechend „versteckt“ es sich hinter Brandschutztüren am Ende jedes Hotelganges. Vier Stockwerke ist es hoch - wie eine etwas zu schmal geratene Parkhaus-Auffahrt: Nicht nur Rollstühle, auch Pflege- oder Krankenhausbetten könnte man hier problemlos hinauf und hinunter schieben. Das Rampen-Haus, erzählt der Hotelier, war nicht billig. („Um das Geld kannst Du ein Einfamilienhaus bauen.“) Aber ihm wichtig: „Stell Dir vor, es brennt WIRKLICH einmal: Was hilft es den Menschen, die dann nicht rauskommen, dass die Vorschrift erfüllt ist? Damit könnte ich nicht ruhig schlafen…“

Dass das, was dann ans Hotel angebaut wurde, in den Bauvorschriften (damals) nicht vorkam, steht auf einem anderen Blatt. Auf dem gleichen, auf dem die lokalen Baugenehmigungserteiler das „fehlende“ Notstiegenhaus eingemahnt hatten - und auf dem auch noch ein paar andere Details gestanden hatten. Details mit denen im vorigen Jahrtausend natürlich niemand niemals nicht und schon gar nicht halb-absichtlich versucht hatte, Charly Hafele von seiner Idee, Rollstulfahrer in die heile Welt der Berge zu holen, abzubringen.

Heute lacht Hafele über diese Episode. Heute gilt die Region europaweit als Vorzeigeregion für Barrierefreiheit. Sie gewinnt dafür EU-Tourismus-Preise. Und das ganze Kaunertal ist auf dieses Image und Asset stolz. Und natürlich auf Charly Hafele.

www.weisseespitze.com

www.kaunertal.com

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Herbert Erregger

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