Ja eh: Denkfehler machen das Leben leichter. Aber nur, weil einfach Antworten die „Komfortzone“ sichern, ist der Umgang mit Menschen, die in Österreich gestrandet sind, noch lange nicht richtig, korrekt oder auch nur im Ansatz akzeptabel: Eine Antwort auf Kaya Cahit.
Positiv betrachtet: Eine Meinungsplattform ist ein Ort, an dem Meinungen Platz haben. Verschiedene. Und seien sie noch so platt in der Form. Deshalb ist es gut, dass Kaya Cahit hier unlängst über „echte“ und - aus seiner Sicht - unechte Flüchtlinge publizieren durfte.
Und das ganze mit einem Comic garnierte, der in seiner Sub- und Meta-Botschaft eine fast perfide rassistische Hinterfotzigkeit transportierte - obwohl da an der Oberfläche nur … egal.
Lassen wir das: Ich werde nämlich jetzt nicht das Naheliegende tun, und den Text so aufdröseln, dass der Kardinalfehler im Gedankengang des Autors da aufgeplattelt wird. Schon alleine deshalb, weil dieser Kardinalfehler in der Herangehensweise an den Umgang mit Menschen, die nun einfach mal da sind, genau das ist, womit eben jene ganz bewusst agieren, die es irgendwie nicht so schrecklich finden, wenn Babys in Österreich im Dreck schlafen müssen. Oder der Zugang zu Trinkwasser und Toiletten amtlich blockiert wird. Oder Frauen im Freien gebähren müssen: Das hat - ok, ich lasse mich doch auf Cahits Text ein - nichts mit der Frage nach gerechtfertigtem oder nicht gerechtfertigtem Asyl zu tun - sondern ist einfach eine Sauerei. Nicht nötig. Und eine Schande.
Das sage nicht nur ich, sondern Leute, die eine Ahnung von dem haben, wovon sie da reden (ich habe das nicht. Cahit, unterstelle ich, wohl ebenso wenig). Etwa Amnesty International. Oder die Caritas. Oder das Rote Kreuz: Die Frage, ob jemand Anspruch auf Asyl hat, hat nichts mit dem Recht darauf zu tun, menschenwürdig behandelt, versorgt und untergebracht zu werden. Was Cahit (ich unterstelle ihm im Gegensatz zu etlichen politischen Aktueren in diesem Spiel ausdrücklich keine böse Absicht) nämlich auslässt, ist ein ganz zentraler Punkt: Diese Menschen warten hier und jetzt genau darauf, dass just jene Entscheidung getroffen wird, die Autoren wie Kaya Cahit, die meisten Stammtisch-Demagogen und die Rattenfänger von ganz Rechtsaußen unisono als Grundlage für ihre Hierseinberechtigung: Die Ergebnisse ihrer Asylverfahren.
Dass Flüchtlinge in Traiskirchen und anderswo keinerlei Einfluss darauf haben, wie schnell oder langsam oder gar nicht die österreichischen Behörden da arbeiten? Hm. Blödes Detail. Das lassen wir in der ganzen Debatte lieber mal außen vor: Vom Differenzieren kriegt man Kopfweh. Und im schlimmsten Fall wird aus lästigen, auf Zahlen und Ströme reduzierten Massen, das, wovor sich Demagogen am meisten fürchten: Menschen. Individuen. Personen. Jede mit einem eigenen Gesicht - und einer eigenen Geschichte.
Oooops! Das geht natürlich nicht. Denn dann kann man nimmer pauschalieren. Und ohne Pauschalierung wird alles nicht nur kompliziert, sondern auch Individuell. Also persönlich: Sieh da, ein Mensch. Die Härte einer Angela Merkel, einem kleinen Kind ins Gesicht zu sagen, dass es jetzt doch rausgeschmissen wird, hat kaum wer. Gott sei Dank.
Aber eigentlich wollte ich mich gar nicht mit dem so bequemen Denkfehler von Kaya Cahit befassen sondern einen anderen Punkt ansprechen: Den vom „besseren“ Leben, um das es so vielen der angeblich „gar nicht wirklich Verfolgten“ geht.
Also um einen anderen Denkfehler, dem hier - in der Sicherheit der europäischen Komfortzone - so viele so gerne aufsitzen: Der Verwechslung von „Flucht“ und „Reisen“. Denn mitunter habe ich mittlerweile das Gefühl, dass viele meiner Mitmenschen den Trail von Syrien, dem Irak oder Afghanistan nach Europa ein bisserl mit einer Interrail-Sommerreise gleichsetzen: Manchmal vielleicht ein bissi unbequem - aber in Summe vor allem spannend, lustig und unterhaltsam.
Der Einfachheit halber zitiere ich mich hier selbst. Und zwar mit einem Text, den ich als Kolumnist für die „TAI“vor ein paar Wochen geschrieben habe. „TAI“ steht für„Tourist Austria International“ und ist das führende Fachmagazin der österreichischen Reise-Branche.
Also:
Flucht ist nicht Reisen
Neulich erklärte mir einer die Welt. Mein bester Freund und ich hatten aufgerufen, für obdachlosen Flüchtlinge in Traiskirchen Babynahrung und Rucksäcke zu spenden: Da besteht, laut Caritas, besonderer Bedarf. Weil Flüchtlinge das Wenige, was sie haben, meist in Nylonsackerln herumtragen.
Rund 700 Wiener kamen - und gaben. Ungeachtet ihrer Ansichten über Asylgesetze: Dass Kleinkinder in einem der reichsten Länder Europas im Freien im Dreck schlafen müssen, ist unerträglich. Das muss und darf nicht sein.
Am Rande stand der, der mir die Welt erklärte. „Die“ kämen nur, um es besser zu haben. Drum gäbe er nicht. Aus Prinzip.
Zu geben oder nicht sei jedem unbenommen. Aber als Gern-, Viel- und Berufs-Reisender weiß ich: Wer weg fährt, will heimkommen. Irgendwann immer. Zu Familie. Freunden. Wurzeln. Gewohntem. Gerüchen. Geräuschen. Gefühlen. Das zählt. Das ruft zurück. Jeden. Um das aufzugeben, braucht es mehr als ein vages, ungewisses, „Besser“. Sonst wäre jeder von uns längst anderswo.
Noch dazu reisen wir auch ganz anders: Wir fahren nicht in überfüllten Gummibooten übers offene Meer. Pferchen uns nicht mit 50 Anderen in Lieferwägen. Zerren unsere Kinder nicht bei Nacht durch Sümpfe. Und brauchen schon für ein Wochenende mehr, als in ein Nylonsackerl passt.
Wir reisen, weil wir wollen. Können. Dürfen. Aber nicht müssen. Doch nicht nur weil Zwang und Liebe einander ausschließen, können wir das Reisen lieben. Sondern weil wir haben, was dabei das Wichtigste ist: Heimat.