Der Poster war sich sicher. Das sind sich Poster immer. Und haben deshalb auch keine Scheu, ihr Urteil laut heraus zu posaunen. Schließlich wissen sie ja, dass sie im Recht sind und Recht haben: Der Poster an sich ist nicht nur die personifizierte Dreifaltigkeit der Netzgerechtigkeit (Legislative, Judikative und Exekutive in Personalunion) - sondern auch und vor allem immer eines: Unfehlbar. Zumindest solange er nicht mit seinem Klarnamen für Wahrheit & Wahrhaftigkeit ins virtuelle Feld zieht. Der Poster weiß - spürt - eines: Ich bin die Wahrheit. Und das Licht.

Widerspruch ist dann Ketzerei. Differenzieren Häresie. Schließlich schrieb schon Grillparzer den Binären Code des Posters: „Dein Wort soll sein: ja ja, nein nein“. Ergo ist hiermit klar: Ich bin ein Arschloch.

Klipp und klar, einfach und schlicht. Ein Urteil aus vier Worden - natürlich in der Du-Form gehalten: Wir kennen einander zwar nicht. Zumindest geh ich mal davon aus. Aber wer den Durchblick hat, braucht das auch nicht: Ich bin ein Arschloch. Und aus.

Ok, zugegeben: Da stand schon noch was dabei. Hintendrin. Als Erklärung. Für die Unwissenden. Oder vielleicht ja auch nur zur Präzisierung wieso ich es in diesem konkreten Fall sei. Schließlich, schrieb der Poster, das sei ja „ohnehin allgemein bekannt“, aber „damit“ hätte ich eben wieder mal jedem und jeder unwiderlegbar bewiesen, dass ich eines bin: Ein Arschloch eben. Außerdem - aber das fände man ja ohnehin auch, sobald man mich google - bewiese ich hiermit zum wiederholten Mal auch, dass ich ein Rassist sei. Bin. Und aus.

Ich diskutiere nicht mit Heckenschützen. Oder - wie das in manchen Redaktionen intern heißt - „Heckenbrunzern“. Weil es sinnlos ist: Erklärt man einem Poster, dass Schnee weiß ist, beweist das lediglich die eigene Engstirnigkeit und die das eigene rassistische Denken offen legende Ignoranz. Der Poster weiß nämlich: Was ist schon weiß? Die Eskimos (schreibt der Poster dieses Vokabel öffentlich und ohne Anführungszeichen, setzt sich der nächste Poster sofort auf ihn drauf - und rügt ihn, ob der nun ihn selbst als Rassisten und eurozentristisch-kolonialvokabularisierten Idioten mit Herrenmenschenattitüde entlarvenden Wortwahl. Das Wort laute nämlich Inuit. Alles andere … Egal.) hätten nicht ohne Grund 1001 Begriffe für das, was ich - Arschloch - „weiß“ nenne. Und so weiter. Darum gibt es für mich im Umgang mit dem Poster nur zwei Verhaltensmöglichkeiten: Ignorieren - oder löschen.

Wie das Amen im Gebet folgt dem Löschen aber der nächste Schritt. Denn der Poster fühlt sich jetzt diskriminiert. Das ist natürlich böse- aber auch gut. Weil es nämlich die Kernbotschaft bestätigt: Dass ich ein Arschloch bin. Weil ich das, sein, Recht auf Meinungsfreiheit so mit Füßen trete. Das sei zwar vorhersehbar und auch von ihm (Licht, Wahrehit, Erkenntnis …) im Grunde erwartete gewesen. Aber eben doch ein weiterer Arschloch-Proof.

Doch so leicht lasse er, der Poster sich von mir, dem Arschloch, nicht unterkriegen. Mundtot machen. Marginalisieren: Er werde der Wahrheit Gehör verschaffen weiterhin. Wie stets. Jetzt mehr denn je. Auf allen Kanälen. Und sich an die nächste Instanz wenden: Die Chefredaktion. Die Postergemeinde. Das Internet. Marc Zuckerberg.

Er, der Poster, habe alles gespeichert. Mit Screenshots. Schwarz auf weiß. Oder wie man das bei Screenshots nenne: Mein Fehlverhalten. Seine Reaktion - und den Akt der Zensur durch mich, das Arschloch. Respektive: Das Resultat des Aktes der Zensur: das Fehlen seines Postings im Thread. Ha!

Die Beweiskette, schreibt der Poster, ist stichhaltig. Konzise. Schlüssig. Unwiderlegbar. Eindeutig. Quod erat demonstrandum: Ich bin ein Arschloch. Ich, Arschloch, solle mich nur trauen, sein, des Posters, neues Posting abermals zu löschen. Oder ihn zu blockieren. Oder sonstwie zu versuchen, die Wahrheit zu verschleiern oder der Gerechtigkeit Einhalt zu gebieten: Er habe Mittel und Wege. Wisse wer und wo ich, Arschloch, zu finden sei - nicht nur im Netz. Undsoweiterundsofort…

Nennen Sie mich ruhig auch Arschloch. Meinetwegen feiges, den Diskurs verweigerndes Arschloch. Doch auch wenn Sie das tun, werde ich bei meiner Meinung bleiben: Mit dem Poster diskutiere ich nicht. Ich ignoriere - oder lösche. Aber ich archiviere Ansagen von Digital-Vermummten. Jene, dass man wisse wo ich wohne (das ist nicht so schwer rauszukriegen) ebenso wie die, wo mein Auto stehe (ich habe keins). Oder wann und wo meine Freundin zur Arbeit geht. Das - nur nebenbei - kam vor Jahren tatsächlich. Nach einer Geschichte über Date-Rapes. Dieses Posting landete umgehend  bei Anwalt und Polizei - und der Poster bekam Post. An seinen Klarnamen und seine Meldeadresse: So schlau wie er geglaubt hatte, war er halt nicht. Seine Reaktion: „Das beweist, wie ihr mit Datenschutz und Meinungsfreiheit umgeht! Ihr Naziärsche!“ Dann war Ruhe. Obwohl ich den Klarnamenträger dazu eingeladen hatte, den Diskurs über das, was er mit dem Hinweis auf die Kenntnis der Wege meiner damaligen Freundin, andeuten wollte, doch weiter zu führen. Mit vollem Namen - ich poste ja auch nicht unter Pseudonym. Egal. Lange her.

Aber - oh Gott! - ich habe hier ja das Wichtigste vergessen! Den Grund. Respektive den Anlass. Also den von mir, Arschloch, nun endgültig und zum wiederholten mal erbrachten Beweis meiner Arschlochhaftigkeit.

Hier ist er: Ich hatte ein Bild gepostet. In Zuckerbergland. Ein Mann in der U-Bahn. In seltsamem Aufzug. Fast nackt - während draussen Regenwindkaltwäwetter war. Das, meinte der Poster, sei ein Eingriff in die Privatsphäre des Mannes. Stelle bloß. Erniedrige. Mache lächerlich. Führe vor. Derlei täte ich öfter. Regelmäßig. Sei typisch für mich. Es sei nicht nur illegal, da ein Verstoß gegen diverse Persönlichkeits- und Bildnisschutzrechte, sondern auch - und deshalb - Beweis dass ich, Arschloch, bin was ich sei. Oder umgekehrt. In jedem Fall ein Arschloch.

Erschwerend käme die Hautfarbe des abgebildeten Mannes hinzu: Derentwegen sei ich, Arschloch, nunmehr ein rassistisches Arschloch. Und aus. Ich las - und löschte. Nicht das Bild - das Posting.

Hätte der Poster einfach gefragt, ob ich wisse, was ich tue, hätte ich ihm geantwortet: Dass ich den Mann auf dem Bild gefragt habe, ob es ok sei, wenn ich ihn fotografiere. Und das Bild eventuell online stelle (ein kleiner, nicht unwesentlicher Zusatz). Dass ich auch gefragt habe, wie er heißt (Richard), und wieso er so unterwegs sei. („Ich will etwas herausfinden.“ Was? „Was der menschliche Körper aushält.“)

Egal. Der Poster sah, wußte, urteilte und postete. Wer bin ich, ihm zu widersprechen?  Der Poster hat schließlich recht. Immer. Er ist im Besitz der Wahrheit. Er ist das Licht. Und ich bin ein Arschloch.

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