Um ein Haar wäre ich groß rausgekommen. Im Fernsehen. Ich wurde nämlich entdeckt - aber dann kam was dazwischen. Eine klitzekleine Kleinigkeit.
Manche Rätsel lösen sich nicht durch Nachdenken. Auch Tüfteln bringt nix. Aber wenn man die Lehren des großen Vorsitzenden Mao gut gelesen und internalisiert hat, versteht man, wie Barbara Karlich zu ihren Gästen kommt.
Ach so, sie sind kein Kulturrevolutionsexperte? Nun: Mao Zedong soll einmal gesagt haben, dass es genügt, so lange am Flussufer sitzen zu bleiben, bis die Leichen der Feinde vorbei treiben. Was das mit der größten Talkmasterin des Burgenlandes zu tun hat? Nix: Weder sehe ich Barbara Karlich (oder ihre Redaktion) als Feinde - noch wünsche ich ihr (oder sonst jemandem) auch nur im Entferntesten, als Leiche an mir vorbei zu treiben. Oder irgendeiner Leichen-Aktivität zu frönen: Ich wünsche und gönne allen Talk- und sonstigen Kollegen ein langes, glückliches, gesundes und erfolgreiches Leben - ihre Sendungen muss ich ja deshalb trotzdem nicht sehen. Oder darin auftreten.
Was Karlich und ihre Show also mit Maos Satz verbindet? Nun: Ich habe mich schon immer gefragt, wie und woher man Leute bekommt, die sich in solche Sendungen setzen. Nicht als explizit wegen irgendeiner speziellen Qualifikation, Erkenntnis, Erfahrung oder Veröffentlichung geladene Experten, die aus Marketinggründen von ihren Verlagen, Arbeitgebern oder Agenturen geschickt werden (als ebensolcher war ich vor 1000 Jahren sogar zweimal bei Frau Karlich zu Gast). Sondern als Stimme von nebenan. Vox Populi. Mitquatscher: Alltagsmeinungseinbringer mit Sendungsbewusstsein.
Denn eines ist klar: Je breiter aufgestellt eine Talkshow ist, umso dringender braucht man irgendwen, der irgendwas zu irgendwas zu sagen hat - und zwar so, als hätte er es gerade erfunden, obwohl es in keinster weise irgendwie „outstanding“ ist, sondern abdeckt, was ein Teil des Zielpublikums denkt. Und auch selbst sagen würde. Und dann braucht man noch wen, der irgendwie das Gegenteil (solang es eine verbreitete Meinung ist) auch abdeckt. (Und ein paar Randgruppen-Freaks - aber das ist eine andere Casting-Kategorie.) Ach ja: Die Häufing von „irgend-“ ist Absicht. Denn um beim Publikum draussen das so wichtige, weil integrierende „meine Worte“- und „dort wird gesagt, was ich mir denke“-Gefühl zu erzeugen, müssen das möglichst beliebige Figuren sein: Irgendwer eben.
Nur: Wie findet man irgendwen? Die Frage meine ich ernst: Wie bekommt man Durchschnittsmenschen mit Durchschnittsmeinungen ohne Bezahlung oder Gegenleistung in ein TV-Studio, um dort etwas zu sagen, was jeder Andere in der Bim auch sagen könnte? Nach welchen Kriterien sucht man da aus? Versuchen Sie es: Stellen Sie sich auf die Straße - und fragen Sie irgendwen, ob er/sie da mitspielen würde. Bedingung: Sie dürfen den Leuten nicht das Gefühl geben, dass es speziell um sie als Individuum geht, sondern müssen ehrlich sagen, wieso Sie just sie angesprochen haben. „Sie wirken so durchschnittlich.“ Bringen Sie das? Vermutlich nicht. Und auch wenn: Werden Sie damit rasenden Erfolg haben? Eben.
Fragt man aber die Kollegen und Kolleginnen, die dafür sorgen, dass Karlich und Co die Anna Durchschnitts und Otto Normals nicht ausgehen, kommt „wir kennen halt viele Leute, die viele Leute kennen“.
Ja eh. Nur: zugeben geht halt wirklich nicht. Blöderweise passieren Praktikanten, die das „Menschenfischen“ betreiben, manchmal schöne Praktikantenfehler. Und so lud mich Sara S. unlängst via Facebook in die Barbara Karlich Show ein.
Ich war geschmeichelt:
Mein Foto sieht toll aus. Sowas hört man gern.
Und dass mein Profilfoto nicht nur mein Äußeres mehr als vorteilhaft zur Geltung bringt, sondern auch Intellekt, Eloquenz, Kompetenz und Leidenschaft ausdrückt, habe ich mir natürlich schon gedacht, als ich es zu meinem Profilbild machte. Schön, dass das auffällt. Noch dazu wem vom Fernsehen.
Und dann das Thema: Mitten aus dem Leben. Betrifft mich. Da hätte ich echt viel zu sagen. Und Powerfrau … Äh, Moment: Powerfrau? PowerFRAU? Ich stutzte. Und borgte mir das Fragezeichen aus, das meine neue Freundin Sara dem Satz „Mich interessiert deine Meinung dazu“ hintangestellt hatte.
Was würde wohl mein Arbeitgeber dazu sagen wenn ich beim Mitbewerber glänzen würde? Muss sich der ORF tatsächlich Powerfrauen von ServusTV ausborgen - weil es am Küniglberg keine gibt? Oder ist mein Ruf als Powerfrau so gigantisch, dass bei dem Thema kein Weg an mir vorbei führt? Fragen über Fragen.
Also schrieb ich Sara zurück.
Jetzt war ich gekränkt: Sara meinte ja gar nicht mich! Sondern irgendwen! Der Verheber war ihr nicht mal wirklich unangenehm: „Kann passieren“. Echt jetzt? Auch der Doppel-Lapsus? Also nicht nur die erste Zeile im Profil nicht zu lesen - sondern nicht einmal hinsehen, zu was für einem Namen/Bild man welche Anfrage in den Message-Body kopiert? „Kann passieren“ kann da nur eines heißen: „Wir schicken das so oft raus, dass es schlicht und einfach scheissegal ist, wer und was du bist.“ Hart - aber ehrlich. (Aber den Satz, dass die Wahrheit den Menschen zumutbar ist, kennen TV-Redakteure heute ebenso wenig wie Politiker. Und von wem er ist … Ach, lassen wir das.)
Ich stellte den Screenshot auf Facebook. Und bekam recht: „Das hab ich auch bekommen“ kam von 1001 Freundinnen. Ein paar, die intensiver vernetzten, erzählten von häufigen und praktisch gleich lautenden Anfragen und Einladungen zu etlichen anderen Everyday-People-TV-Shows. (Die Redaktion von „Messer, Gabel, Herz“ dürfte auf meine FB-Bekanntschaften abonniert sein - auch wenn keiner dieser Leute im Traum daran denken würde, sich zum Affen zu machen.)
Aber auch wenn wir dann begannen, uns ein bisserl zu matchen, wer am öftesten und für die banalsten Themen qua Foto als Eloquenzbündel „entdeckt“ worden worden war, habe ich doch ein Alleinstellungsmerkmal, das mich aus der trägen und beigen Masse meiner Mitdurchschnittsmenschen hebt: Ich bin der einzige glatzköpfig-bärtige Anzugträger, dem man je die Chance geben wollte, sich als AliceSchwarzer2.0 zu profilieren.
Vielleicht hätte ich ja doch zusagen sollen…