Der Mann sah uns entgeistert an: Was wir denn hier wollten? So, wie er das„hier“betonte, war klar, dass er sich wenigerüber unsere Frage, alsüber den Ort an dem wir sie stellten, wunderte. Und bevor wir Zeit hatten, die Stirnen in Falten zu legen, legte er die Erklärung nach:„Hier ist doch niemand. Und hier kommt auch keiner her. Wenn Sie mit Leuten reden wollen, dann müssen Sie woanders hin. Zum Bahnhof. Oder in die Shoppingcenter.“Dann schüttelte er noch einmal verwundert den Kopf–und ging weiter.
Wir, das waren mein Kamerateam und ich. Und „hier“, das war der Hohe Platz in Wolfsberg: Einer dieser netten, typischen alten Plätze, wie sie fast jede mittelkleine Stadt in Österreich hat: Die Straße öffnet sich zu einem länglichen Platz. In etwa in der Mitte eine Pestsäule oder eine Marienstatue. Die Häuser sind schmucker als in den Nebengassen – und Laden reiht sich an Laden reiht sich an Café reiht sich an Laden: Kleingewerbe. Zumeist Firmen mit langer, in der Regel familiärer Tradition. In manchen Städten sind diese Plätze zugeparkt – dort, wo man schlauer und nach vorne denkt, erkennt man Ansätze des Versuches, diese Zonen den Menschen zurück zu geben. So sie da sind.
Wir hatten in Wolfsberg Station gemacht, um – unter anderem – mit Menschen zu reden. Über Bücher: Das Verteilen von Büchern an Passantinnen und Passanten ist fixer Bestandteil der von mir seit sechs Jahren moderierten Sendung „LiteraTOUR“ auf ServusTV. Wolfsberg hatten wir ausgesucht, weil ich in einer meiner nächsten Sendungen (Sendetermin: 14. März, 17.55 Uhr) mit Fritz Orter über sein Buch „Ich weiß nicht, warum ich noch lebe“ (Ecowin) sprechen werde. Der Kriegsberichterstatter zieht darin seine ganz persönliche Bilanz über das Grauen, das er gesehen und erlebt hat.
Soviel zum Setting. Und zur Vorgeschichte, die uns hierher brachte. Weil: Mit meinem Job bei ServusTV hat das, was hier steht, genau gar nix zu tun. Das eine ist ServusTV - das andere mein Blog auf "Fisch & Fleisch".
Doch was auffiel: der Versuch, in Wolfsberg Passanten mit Büchern zu überraschen und mit ihnen kurz über das Lesen zu reden, entpuppte sich als Himmelfahrtskommando. Nicht, weil die Leute nicht mit uns reden wollten – sondern weil sie nicht da waren: So wenige Passanten wie in der doch 25.000 Einwohner zählenden Kärntner Bezirkshauptstadt hatte ich – bei gutem Wetter – selten gesehen. Respektive nicht gesehen. Dafür fuhren – so schien es und bestätigte man uns dann auch in Gasthäusern, Hotel und im Supermarkt – alle mit dem Auto. Auch für die kürzeste Strecke innerhalb der Stadt.
Wobei: Das stimmt so eigentlich nicht. Weil die Wolfsberger, erklärte man uns, nicht in, sondern aus der Stadt fahren. Zu den Shoppingcentern oder Parkplatz-Malls an den Ausfallstraßen unmittelbar am Stadtrand. Oder, wenn es ein bisserl urbaner sein soll, nach Klagenfurt. 30 Minuten. In der Stadt selbst? „Schauen Sie doch selbst: Diese Stadt stirbt. Es ist ein schleichender Tod – darum bemerken dass die meisten Leute hier gar nicht. Oder sie wollen es nicht bemerken: „Wer will das schon wahrhaben?“, sagte eine junge Frau, mit der wir dann doch ins Gespräch kamen: „Ich bin nur auf Besuch bei meinen Eltern hier. Einen Tag – dann bin ich wieder weg“. Zum Studieren war sie nach Wien gegangen. Heute lebt sie in Graz. „Was soll man denn hier schon tun? Wolfsberg ist zu groß, um charmant, lieblich, malerisch oder verträumt durchzugehen – aber zu klein, um als Stadt vernünftige Chancen und Perspektiven zu haben oder zu bieten: Wer kann, der geht. Was bleibt, das stirbt. Langsam – aber doch.“
Ich sah mich um. Und wunderte mich, dass es mir nicht gleich aufgefallen war: In etwa jedes dritte Ladenlokal war leer. Tot. Hatte vor Staub blinde Fenster. Versuchte, mit ein paar Alibi-Trümmern in der Auslage, das Offensichtliche zu kaschieren. Strahlte hilflose Hoffnungslosigkeit aus – und jene tödliche Energie, die in einmal befallenen Straßenzügen, dann oft zu metastasieren beginnt: Wer zwischen zwei toten Läden seinen Shop aufmacht, muss schon sehr gute Karten haben, um nicht der Nächste zu sein.
Es war schon dämmrig. Am nächsten Tag würden wir um sieben Uhr morgens aufbrechen – um anderswo zu drehen. Und während mein Kamerateam da in der Früh noch einmal die Equipmentliste und den Drehplan für den Tag durchging, zog ich einfach los: 10 Minuten, wusste ich, hätte ich nun. Zehn Minuten, in denen ich lediglich drei Straßen entlanglief. Keine Nebengassen – sondern mit Hohem Platz, am Weiher und Sporergasse drei recht zentrale, repräsentative Ecken in Downtown Wolfsberg.
Als wir losfuhren, hätte ich aus dem Autofenster noch plan- und wahllos weiterknipsen können. Aber wozu? Die Bilder wären gleich geblieben. und das Gefühl auch: Hier stirbt eine Stadt.
Aber: sehen Sie selbst.