In der Sportstadt Wien kann man entweder in einem Verein in aller Herrgottsfrüh seine Bahnen im Wasser ziehen – oder in den Schwimm-Krieg ziehen. Nur: Diesen Krieg hat man schon verloren, bevor man überhaupt begriffen hat, dass er ausgebrochen ist.
Der Mensch braucht Feinde. Sonst wäre das leben ja fad. Und bevor Sie mir mit Clausewitz, Macchiavelli oder dem „wehrhaften Christentum“ kommen: es geht auch eine Spur kleiner. Mein Feind etwa wohnt im Wasser. Er ist eine Frau, etwa 70 Jahre alt – und mir über.
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Die Sache ist die: Ich schwimme. Nicht gut, aber gern. In Lagen und Stilen. Bahnen und Längen. Regelmäßig. In Wien.
Sollten Sie auch schwimmen – also schwimmen-schwimmen – können Sie jetzt aufhören weiterzulesen: Sie wissen, was kommt. Und wissen auch, dass die Schwimmgeschichte eine Metapher ist. Ein Beweis. Dafür und darüber, wem die Stadt, die sich so gern „Sportstadt“ nennt, gehört. Und ein Erklärungsmodell. Dafür, wieso wir in so vielen Sportarten international stehen, wo wir stehen.
Doch bleiben wir konkret: Meine Feindin ist – erraten – Pensionistin. Das Erste mal traf ich sie im Sommer. Im Freibad. Von Ganzganzfrüh bis zum Aufsperren trainieren dort Vereine. Deren Ziel: Die Aufzucht von wettbewerbsfähigen Jungsportlern. Alte Säcke wie ich, Hobbysportler braucht da keiner: Wir sind zu langsam. Haben kein Potenzial. Nur: Schwimmen (also schwimmen-schwimmen) wollen wir trotzdem. Eventuell würden wir irgendwann auch unsere Kinder mitnehmen. Die könnten auch schwimmen-schwimmen lernen. Und wenn sie gut sind, in Vereinen gefördert und richtig Spitze werden.
Der gelebte Kompromiss ist einfach: Wenn die Bäder aufsperren lassen die Vereinstrainer ein paar Kordeln, die Bahnen für die „echten“ Sportler markieren ins Wasser: Zwei Drittel des Beckens werden „freigegeben“ – auf zwei Bahnen können Menschen wie ich eine Stunde trainieren.
Eine brauchbare Lösung. Die keinem wehtut. Wenn alle mitspielen. Wenn. Meine Feindin spielt nicht mit. Die steigt täglich pünktlich eine Minute nach dem Aufsperren ins Wasser. Und schwimmt.
Genauer: Sie treibt. In atemberaubendem Tempo, mit atemberaubender Technik: In diesem Stil und so langsam würde ich in der Sekunde absaufen. Sie bewegt sich kaum, liegt schräg am Bauch im Wasser – und hat nicht nur Hals und Kopf, sondern sogar die Schultern über dem Wasser. Meine Feindin aber kann das. Ganz ausgezeichnet.
Im Grunde könnte mir das wurscht sein. Soll jeder schwimmen wie er will. Blöderweise fehlt da das „wo“: Während die anderen 20 Früh-Schwimmer sich im kordellosen Bereich suhlen, belegt meine Feindin eine Bahn. Sie treibt mit der Geschwindigkeit der Plattentektonik – und plaudert mit ihrer Freundin. Die belegt Bahn zwei. Gleiche Technik, Gleiches Tempo. Am Beckenrand – oder im „freien“ Planschbereich verzweifeln 15 Hobbyschwimmer.
Es ist so: Menschen die (halbwegs) schwimmen können, teilen sich Bahnen. Man schwimmt Ringerl. Berührungsfrei. Zur Not mit Überholen – im Idealfall aber im gleichen Tempobereich. (Darum lassen die Vereine ja zwei Bahnen „markiert“.)
Menschen die schwimmen-schwimmen, kommen problemlos aneinander vorbei. Sogar dann, wenn sie Delfinschwimmen. Menschen, die dümpeln schaffen das nicht: Meine Feindin ist Einssechzig groß – aber beim Schwimmen zwei Meter breit. Sie weicht nicht aus. Sie macht nicht Platz. Sie ist auch nicht bereit, anderswo zu schwimmen. „Ich schwimme immer hier. Seit über 35 Jahren.“
Na dann ist man halt vor ihr im Wasser. First come – first swim. Oder? Nix da: Sechs Leute schwimmen im Konvoi im Kreis – und plötzlich ist Nummer sieben da: Breit, langsam, plaudernd. Und Köpflein in der Höh’. „Ich habe eine Saisonkarte. Das ist meine Bahn. Seit 35 Jahren. Und aus. Geht´s arbeiten!“
Meine Feindin weicht keinen Millimeter aus. Auch nicht, wenn man zu sechst – im Konvoi – an ihr vorbeischwimmt. Halb in, halb unter der Kordel. Da wird sie noch breiter. Tritt. Schubst: Nur weil sie den Kopf über Wasser hat, heißt das ja nicht, dass wir dort nicht sehen. Irgendwann erwischt sie irgendwen doch. An der Schulter, am Fuß – leicht, eh klar: So stark ist eine Pensionistin im Wasser nicht. Aber Zufall ist das keiner.
Normalerweise spritzt es beim Schwimmen nicht sehr. Aber manchmal rutscht dann halt die Hand aus – und man schlägt flach aufs Wasser. Und Beine sprudeln technisch unsauber – aber theatralisch. Wenn sechs Leute so vorbeischwimmen, kann man schon ein bisserl nass werden: Meine Feindin jedenfalls brüllte, als hätten wir ihr in der U-Bahn einen Kübel Eiswasser von hinten über den Kopf geleert.
Wir hätten ihre Frisur zerstört. Die Haare seien nass geworden. So etwas Unerhörtes sei ihr in 35 Jahren Stammgastsein nicht widerfahren. Einer meiner Buddies lachte: „Sie gehen seit 35 Jahren schwimmen – und hatten noch nie nasse Haare?“
Außer uns lachte niemand: Die Freundin auf der Nebenbahn brüllte mit. Behauptet, wir hätten beide Frauen attackiert. Untergetaucht. Zu ertränken versucht. Ihre Haare standen staubtrocken und zu einem massiven Turm festgesprayt in hellblau über ihrem vom Brüllen krebsroten Gesicht. Die Turmfrisur der Freundin wankte auch nicht – die paar Tropfen waren abgeperlt.
Egal: Andere Pensionisten mischten sich ein. Beklagten die Brutalität und die Respektlosigkeit der „Jugend“ in Alltag und öffentlichem Raum im Allgemeinen und im Schwimmbad im Besonderen: Wir hörten vom Alltagsterror gegen Senioren: Schikanen, Übergriffe und Attacken – ein Leben in steter Angst und Bedrohung.
Wir warteten auf die Instanz. Wozu gibt es Bademeister? Der würde die Groteske beenden. Meine Feindin gab Befehle: Der Mann in Weiß möge uns Badeverbot erteilen. Lebenslang. In allen Bädern der Stadt. Gehorche er nicht, sei das sein letzter Arbeitstag. Sie scheue nicht, „bis ganz nach oben“: Zum Bürgermeister. Und auch in „die Zeitung“.
Wir nahmen das nicht ernst. Noch immer nicht. Ich machte mich erbötig: Ob ich ihr ein paar Durchwahlen im Bürgermeisterbüro geben solle? Oder gleich für sie anrufen? Drei meiner Kumpane boten Kontakte zu ihren Redaktionen an: Einmal Fernsehen, zweimal Tageszeitung. Wir könnten aber auch die Rutsche zu „der Zeitung“ legen. Gerne: Mit „Pensionistin in Panik: Frisur von Schwimm-Rowdies benetzt“ käme sie ganz groß raus. Wir kuderten. Die Pensionistinnen wären fast explodiert – und tobten.
Wir hatten zu früh gelacht. Als die Damen ein Stück weiter weg waren, bat uns der Bademeister zu gehen: Nein, wir hätten nix falsch gemacht. Am liebsten hätte er neben der Dame selbst eine Arschbombe gemacht. Aber: „Ihr schwimmt eine Stunde – und seid weg. Ich hab die Irren den ganzen Tag da. Die rufen wegen spielender Kinder beim Bezirksvorsteher an – und kriegen Saisonkarte als Entschuldigung dafür geschenkt, dass Kinder im Sommer lachen, wenn sie auf der Wasserrutsche sind.“ Der Bademeister seufzte: „Wenn die Stadt nicht die Eier hat, Pensionisten zu sagen, dass die Stadt kein Pensionistenheim ist, werde ich nicht die Watschen abholen gehen.“
Den Rest des Sommers schwammen wir dann eben Indoor. (Obwohl das auch nicht immer einfach ist: Abgesperrt Bahnen „gehören“ nämlich oft Vereinen – auch wenn die grad nicht trainieren. Und Querschwimmen ist in Wien – scheint es – ein Menschenrecht. Aber das ist eine andere Geschichte.)
Wieso diese Geschichte jetzt kommt? Ich hatte sie schon vergessen. Bis ich vorige Woche im Bad zum Pool ging. Einer meiner Buddies stand am Beckenrand und zeigte fassungslos aufs Wasser. Dort – in den beiden Bahn, die mit Kordeln abgetrennt waren – trieben zwei Damen. Nebeneinander. Plaudernd. Bahnfüllend-breit. Langsam wie die Kontinentaldrift. Die Köpfe hoch erhoben – mit betonhartgesprayten Turmfrisuren.
„Bitte sag, dass das nicht wahr ist“ –„Doch. Und wir haben keine Chance: Ich bin vorhin nur ins Wasser gestiegen – und sie haben sofort zu brüllen begonnen.“ Bademeister? „Hat gesagt, ich soll keinen Aufstand machen: Die haben vorgestern mit Zeitung und Bürgermeister gedroht. Sie kommen damit durch: Mit Pensionisten legt sich keiner an. Nicht in Wien.“
Statt zu trainieren gingen wir Schnitzel essen. In ein paar Jahren sind wir selbst Pensionisten. Dann werden wir endlich schwimmen gehen. Köpfchen in der Höh’ – und er Sportstadt Wien.
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