Als der Kollege von „TVmedia“ aufgelegt hatte, sah mich U. mit diesem Grinsen an. „Du hast da was ausgelassen. Was Wichtiges“, sagte dieses Grinsen. Ich antwortete bevor die Anmerkung vom Grinsen zum Wort werden konnte: „Ja eh – aber der Kollege hat nicht nach den Demos sondern nach dem Ball gefragt. Recht hatte er: Franz-Josef Strauß war ein anderes Kaliber als Richard Lugner. Oder der Herr Glööckler: Wegen oder gegen diese Nasen friert sich doch keiner den Arsch ab. Geschweige denn, dass sich wer mit der Polizei matchen würde…“

U. lächelte weiter. Also redet ich weiter: „Ja eh: Natürlich bin auch ich älter. Und versteh heute den Satz von FSK: ‚Junge wer mit 20 kein Anarchist gewesen ist, aus dem wird nie ein guter Demokrat.‘ Außerdem: Ich hab die beste Ausrede. Immer. Bei den Opernballdemos genauso, wie bei meinen Opernbällen: ‚Ich bin beruflich hier.‘ Dass das einmal nicht funktioniert hat und ich von ein paar Polizisten verdroschen wurde: Berufsrisiko. Dafür kann sonst aber kaum wer sagen, dass er als Ballgastbegrüßer alle offiziellen Gäste des Balles besmalltalkt hat. Auf der Festtreppe. Ganz offiziell. Was für eine Karriere!“

U. verdrehte die Augen. Weil sie DIE Geschichte schon gehört hatte, als ich sie dem Kollegen von „TVmedia“ am Telefon erzählt hatte. Aber weil das Begrüßaugusten erst bei meinem zweiten Opernball stattfand, fange ich lieber von vorne an.

Mein erster Opernball war mein härtester. 2008. Nur hingehen und beschreiben, was eh alle anderen jedes Jahr beschreiben, klang wenig verlockend. Darum fragte ich im Ballbüro, ob ich mitarbeiten könnte. Als Kellner. Die Ballmacherinnen waren entzückt – und schlossen mich mit Bernd Schlacher kurz. Der caterte damals die beiden Raucherlounges – und sagte sofort zu.

Der Job war die Hölle. Erstens, weil ich seit Jahrzehnten nicht im Service gearbeitet hatte. Zweitens, weil der Opernball sowieso hart ist. Und drittens, weil Schlacher einen Fehler gemacht hatte: Bevor der Motto-Wirt die Raucherlounges – Garderoben irgendwo recht weit oben –übernommen hatte, waren das einfach schmucklose und öde Raucherkammerln mit Ausschank gewesen: Man kam, rauchte, trank – und ging wieder.

Schlacher aber machte, was ihm wesenseigen ist: Er schuf Wohlfühlzonen. Die Raucher kamen – und blieben. Und pofelten. Vollkommen zurecht: Dafür sind Raucherlounges ja da. Nur hatte halt keiner vorher bedacht, was passiert, wenn ein ohnehin kaum belüfteter Raum nicht nur kurz für eine Zigarette aufgesucht wird, sondern es sich Zigarrenraucher dauerhaft bequem machen: Wir erstickten. Eine Kollegin – mit jahrelanger Cateringpraxis – kollabierte. Allen anderen war danach tagelang schlecht.

Und vor Ort? Nun: Ich habe selten in so kurzer Zeit so viel über Menschen und ihr Arschlochpotenzial gelernt, wie an diesem Abend. Kurz gesagt: Daran, wie jemand Kellner in solchen Settings behandelt, erkennt man recht gut, ob der demonstrativ zur Schau getragene Wohlstand selbst erarbeitet, oder vom Papa und seinen Stiftungen finanziert wird. Und: Nein, da geht es weniger um Trinkgelder, als um Umgangsformen, Stil und Klasse.

Mein lustigster Moment: Als ein langgedienter namhafter Societyreporter mir gegenüberstand: „Rottenberg, du hast das falsche Mascherl an! Am Opernball tragen die Gäste weiße, die Kellner schwarze Mascherln.“ Ich antwortete. „Nö, nix falsch: Ich bin hier Kellner. Das ist meine Geschichte.“ Der Kollege: „Oh f.ck! Ich komme 20 Jahre – und weiß nimmer, was ich schreiben soll. Und du…“

Im Jahr darauf hatte ich noch mehr Glück: Eigentlich wollte ich die Ballmutter verfolgen. Wie sieht der Ballabend von Desi Treichl-Stürgkh aus? Drei Tage vor dem Ball rief sie mich an: „Nix da. Du dackelst nicht hinter mir her, sondern bist mein Walker: Mein Mann kommt, wenn überhaupt, erst spät. Da kannst gleich mein Begleiter sein.“

Also wandelte ich mit Frau Treichl-Stürgkh durch die Oper. „Du hast einen Auftrag: Wenn Du siehst, dass der Heinzl (Dominic; Anm.) auf uns zukommt, biegst Du mit mir ab. Und wenn wir am Herrenklo landen…“  Während ich nach dem – zumindest damals – von Frau Desi ungelittenen Kollegen spähte, zogen wir durchs Haus. Desi grüßte, plauderte, scherzte – und obwohl keiner ihrer Gesprächspartner die leiseste Ahnung hatte, wer ich war, wurde ich in den netten Smalltalk von allen selbstverständlich mit einbezogen.

Knapp vor Einlass war Fototermin. Mit Eva Dintsits, der Chefin des Opernballorganisationsteams, ging ich vor die Oper. Blitzlichgewitter. Großer Spaß. Doch dann wurde es noch lustiger: Frau Desi fand, dass sie als Gastgeberin die Gäste willkommen heißen müsse. Also platzierten wir uns auf der Festtreppe – und schüttelten Hände: Kanzler, Minister. Botschafter. Bundespräsident. Wirtschaftsbosse. UNO-Delegationsleiter. Opernsängerinnen. Dirigenten. Konzernchefs. Mit Begleitung, Entourage und Ehrengästen. Desi stand neben mir – und wir schüttelten Pfote um Pfote und tauchten Höflichkeiten und Galanterien aus. Und keiner ließ sich anmerken, dass er keinen blassen Schimmer hatte, wer ich war. Großes Kino.

Was noch lustiger war: Frau Desi nutzte die Zeit zwischen den Ehrengästen, um zu kommentieren. Kleider. Frisuren. Orden. Bierbäuche. Doppelkinne. Nie vulgär oder beleidigend – aber doch so, dass wir permanent in Gefahr waren, loszuprusten.

Wir waren dann – nach der Eröffnung und als Andreas Treichl zu uns gestoßen war – noch ein bisserl gemeinsam unterwegs. Unter anderem in der Loge vom Bundesheinzi. Auch nett: Zuhören, wie Bundespräsident und Bankchef um Mitternacht über die internationale Finanzpolitik –äh – fachsimpeln.

Im Jahr darauf hatte ich wieder einen netten Job: Bei der Eröffnung des Balles halten livrierte Lakaien die Tanzfläche frei. Als menschlicher Zaun sozusagen. Ich war Teil davon. Qualifikation: Pfosten. Das Problem: Man muss die Linie halten – und zwar um jeden Preis. Wenn man sich von den von hinten an einen anbrandenden Ballbesuchern nur 10 Zentimeter in Richtung Saalmitte verschieben lässt, knallen die Debutanten (oder ihre Tanzarme) in die Lakaien. Im besten Fall fängt man eine Watsche aus der vollen Drehung. Im schlimmsten Fall prackt es die Debütanten auf. Der Haken an der Sache: Lakaien tragen Lakaienschuhe. Quasi Ballerinas. Mit Ledersohlen. Also rutschig: Versuchen Sie mal, mit solchen Schuhen auf poliertem Parkettboden die Stellung zu halten – während von hinten ein paar hundert per Anwesenheit doch als wichtig zertifizierte Pinguine gegen Ihren Rücken drücken.

Am Tag danach beschwerte sich eine Kollegin in der „Standard“-Redaktion darüber, dass nur Männer als Spalier antreten dürfen. Das sei sexistisch und frauenfeindlich. Ich zeigte ihr einen fetten blauen Fleck an der Rückseite meines Oberarmes – und erzählte ihr, wo und wie oft ich da getreten, geknufft, gezwickt, gekitzelt und gerempelt worden sei. Wie es sich anfühlt, wenn man beide Hände an einer Samtkordel lassen muss – und man von schräg hinten mit wirklich üblem Mundgeruch traktiert wird. Oder eine (?) fremde Hand einem ständig am Hintern herumfummelt. Die Kollegin war einsichtig – und zog den Sexismusvorwurf zurück.

Im Jahr darauf war ich dann noch einmal am Opernball. Und begleitete die Eltern eines aus Deutschland eigens angereisten Debutanten. Eh nett. Aber nix Besonderes. Ich spürte: Den Opernball kann ich abhaken. Der ist durch.

Nur eine Geschichte würde mich dort noch reizen: Ich würde den Ball gerne eröffnen. In einem weißen Kleid – und mit Krönchen. Aber das könnte schwierig werden…

4
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Claudia Braunstein

Claudia Braunstein bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:00

Jürgen Heimlich

Jürgen Heimlich bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:00

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:00

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:00

3 Kommentare

Mehr von Thomas Rottenberg