Die Geschichte mit Gerlinde Kaltenbrunner ist zwar schon ein paar Wochen her - aber trotzdem immer noch schön. Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass man mit einer der erfolgreichsten Alpinistinnen der Welt eine Erstbesteigung machen kann.
Noch seltener ist es (vermutlich), wenn man selbst gar nicht mehr sagen kann, wie oft man schon hier oben war - während die Hochleistungsbergsteigerin mit staunenden Augen und offenem Mund dann knapp unter dem Gipfel in die Landschaft schaut und eingesteht, dass sie „ehrlich überrascht“ sei, das Panorama & Weg & Drumherum „so viel können“.
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Außerdem - und der kleine Triumph sei mir gegönnt - ist es auch ein bisserl befriedigend, zu hören, dass die Frau, die schon sämtliche 8000er ohne Zuhilfenahme von Flaschensauerstoff bezwungen hat, beim Anstieg neben einem selbst zwar natürlich nicht aus der Puste kommt, aber eben doch intensiver atmet. und sich ein kleiner Schweißfilm auf ihrer Stirn bildet. (Ja eh: Ich habe gedampft wie ein Ross…)
Und das, obwohl wir doch nur auf den Kahlenberg hinaufmarschiert sind: Der Wiener Hausberg ragt lediglich 484 Meter über das Meer. Aber weil das so weit weg ist, wird in der Regel ein anderer Punkt als Referenzwert heran gezogen: Der Stephansplatz. Dieses „Wiener Null“ liegt 171,28 Meter über dem Meer- macht den Kahlenberg also noch eine Spur niedriger.
Nur: Das macht so eine Erklimmung um nix weniger schön. Sage nicht ich - sagt die Bergsteigerin. Und zwar unabhängig davon, dass wir - eine kleiner Trupp wagemutiger Journalisten (kein Witz: es gab da KollegInnen, die nicht mitgegangen waren, weil sie sich „vor Frau Kaltenbrunner nicht blamieren“ wollten - und erst zum Mittagessen zu uns stießen), der von Kaltenbrunners Gewandausstatter „Schöffel“, besser gesagt von dessen Österreich/Italien Geschäftsführer Jürgen Nairz (am Bild unten) zum „Wandertag“ eingeladen worden war - uns über die „Direktroute“ auf den Weg machten - also über den tatsächlich steilen Nasenweg, vom Kahlenbergerdorf aus. Und - andersrum - ebenso unabhängig davon, dass man auf den Kahlenberg bequem mit den Bussen der Wiener Linien kommt.
Kaltenbrunner strahlt. und freute sich glaubwürdig: „Das ist doch super hier. Ich hätte nicht geglaubt, dass der Blick so toll ist - und dass man in einer Stadt wie Wien wirklich wandern kann.“ Ironie, Sarkasmus oder hinter einem Witz versteckte Geringschätzung konnte weder ich noch sonst einer der Mitspazierer da ausmachen. Obwohl wir es alle eigentlich erwartet hätten: Wer schon ganz oben war, darf sich doch über das erheben, was unsereiner tut. Oder?
Oder. Und Gerlinde Kaltenbrunner spielt da gut im Konzert (fast) all jener mit, die mit sportlichen oder sonstigen Spitzenleistungen berühmt wurden, vor denen Normalos wie ich dann ehrfürchtig erblassen: Das Heruntermachen von dem, wozu Durchschnittsmenschen fähig sind, was sie sich selbst als Abenteuer, Aufgabe, Herausforderung oder wasauchimmer sonst noch vornehmen, habe ich noch von keinem Spitzensportler gehört.
Egal in welcher Disziplin. Ganz im Gegenteil: Michael von Grünigen, einer der besten Riesentorlauf und Super-G-Fahrer seiner Zeit, klopfte mir, der ich damals gut 15 Jahre nicht Ski gefahren war, einmal bei einem Journalisten-Materialtest auf die Schulter und lachte „für einen Wiener fahrst nicht schlecht“. Lemawork Ketema, zweifacher Sieger des Wings-for-Life-Worldruns und demnächst vermutlich eine der ganz großen Marathon- und Langstreckenhoffnungen der österreichischen Leichtathletikszene, ruft mir (und anderen) auf der Hauptallee fröhlich „schaut gut aus“ zu, wenn er an uns vorbeizischt. Und statt mich bei meinem ersten Kampfsport-Versuch in der ersten Sekunde umzunieten, hat mir Fadi Merza auch schon mal anerkennend auf die Schulter geklopft - und das, was ich ansatzweise richtig machte, gelobt.
Auf den Punkt brachte es aber einmal Reinhold Messner. Der stellte, als wir bei einem Interview darauf zu sprechen kamen, dass das, was für ihn am Berg nicht einmal Aufwärmtraining ist, für mich schon unerreichbar scheint, trocken fest, dass „Extremsport immer das ist, wo du einen Schritt weiter gehst, als du es dir selbst gestern noch zugetraut hättest. Das gilt für jeden.“ Ein Messner sagt so etwas nicht aus Höflichkeit.
Vielleicht liegt das daran, dass die, die oben sind, es nicht nötig haben, ihre Leistungen durch Arroganz noch weiter zu erhöhen - und Normalos zu erniedrigen. Vermutlich auch daran, dass gerade Extremsportler und Sieger wissen, wieviel Mühe, Ehrgeiz und Schweiß es braucht, um Ziele, die nicht selbstverständlich sind, zu erreichen. und sie deshalb Respekt vor dem haben, was man sich vornimmt. Nicht das absolute Ziel, sondern die relative Aufgabe zählt.
Daran dachte ich, als ich mit Gerlinde Kaltenbrunner am Kahlenberg stand und die Frau, die doch wahrlich beeindruckendere Panoramen als den Wienerwald und die Stadt Wien im Dunst gesehen hat, sich hinstellte - und freudestrahlend ein paar Selfies machte.
Ich hatte schon bisher den allergrößten Respekt vor ihr - aber jetzt ist sie ein Vorbild: Fähigkeit, Kleinigkeiten auch dann noch zu schätzen und sich über sie zu freuen, obwohl doch schon ganz Anderes gesehen und erlebt hat, ist etwas ganz ganz Zentrales. Nicht nur, weil es ein gutes Antidot gegen Arroganz und Überheblichkeit ist - sondern auch, weil die Welt und das Leben sonst irgendwann langweilig werden.