Nein, ich war nicht dort. Und trotzdem dabei: Als Montagabend in Wien Neonazis gemeinsam mit dem ehemaligen dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf und zumindest dem Wohlwollen der restlichen FPÖ auf die Straße gingen und der Hitlergruß ungeahndet in Spuckweite von Polizisten gezeigt werden durfte, saß ich mit einem Freund im Zug vom Arlberg nach Wien. Und während im Railjet noch der Schnee von unseren Skiern tropfte, lasen wir „live“ auf Twitter unter #nopegida und ähnlichen Hashtags mit.
Gelinde gesagt waren wir fassungslos.
Weniger darüber, was für Figuren sich da als „Hüter des Abendlandes“ zu gerieren versuchten: Dass es einen dumpfen braunen Bodensatz gibt und der überall dort, wo man ihn lässt, an die Oberfläche zu kriechen versucht, wissen wir. Unappetitlich. Eklig. Ein Gestank sondergleichen. Aber damit wird eine erwachsene Demokratie und ein selbstbewusster Rechtsstaat fertig.
Wenn er es will. Und wenn seine Exekutive jene Eier hat, die sie beim Gruppen-Beamtshandeln einer einzelnen Radfahrerin, die eine Sekunde vor Grünwerden über die Kreuzung (wortwörtlich - aber natürlich eine andere Geschichte) fährt oder 1.000 anderen Kleinigkeiten gerne demonstriert, auch dort zeigt, wo dies nicht bloß gefragt, sondern zwingend notwendig wäre.
Stattdessen kam über Twitter ein lahmes Statement der Exekutive: Alle Einsatzkräfte der Polizei seien angewiesen, sämtliche Verstöße gegen das Verbotsgesetz strikt zu ahnden. Nachsatz: „Falls das möglich ist“.
Wie lahm ist das denn? „Falls das möglich ist“? Hallo? Wie das (nicht) geht, zeigt jenes Bild, das eine von recht vielen dort gesehenen „zufälligen“ Handbewegungen, die man nur mit großer Mühe NICHT als Hitler- oder Kühnengruß erkennen kann, belegt: Die Exekutive schaut konzentriert weg.
Und ist taub: Dass so viele Gegendemonstranten „Heil Hitler“ und Rufe wie „Wer nicht hüpft, der ist ein Jude“ hörten, aber kein einziger (zwischen den Gruppen stehender) Polizist, ist schon ein bisserl auffällig.
Keine Frage: Ich beneide keinen Polizisten und keine Polizistin um den Job, da zwischen den Fronten zu stehen. Und mit einer Horde von Wahnsinnigen (ja, die gibt es auf beiden Seiten - aber auch das ist hier gerade nicht Thema) auf Tuchfühlung zu gehen.
Nur ist halt genau das der Job, den zu erfüllen sie gelernt und gelobt haben.
Weil die Alternative das ist, was ein paar aufrechte Pegida-Hooligans im Kundgebungsbeisein eines (ehemaligen) Dritten Nationalratspräsidenten Montagabend ohnehin der Polizei vorschlugen (und angeblich auch an einigen Orten nach der Kundgebung versuchten): „Lasst uns durch - wir regeln das selbst.“
Fotocredit: https://twitter.com/JChristandl/status/562313428082364417/photo/1
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