Survival of the Fettest: Übergewicht - Metapher des Unterganges

Ich möge aufhören zu jammern, meint B. Und mich stattdessen freuen. Schließlich sei dort, wo der Einäugige König der Blinden ist, der Korpulente die Bohnenstange unter Bladen. Ergo, so mein Best-Buddy, solle ich aufhören darüber zu lamentieren, wie dick, ausgefressen und überzuckert die Menschen rings um mich sind - und mich freuen: Ich sei nämlich eh Body-Weltmeister. Im Vergleich halt. Nur sähe ich in die falsche Richtung. Hätte die falsche Benchmark. Die Latte, sagt B., läge nämlich nicht im Elitefeld der Starter eines Ironman-Bewerbes: Sie sitzt in der U-Bahn. Oder beim Wirten. Sie ist nicht nur blad, sondern wird immer blader.

Und halte sich die Augen zu: Statt über eigene Ernährungsgewohnheiten, Bewegungsarmut und die Resultate der Kombination dieser Faktoren nachzudenken, prügle man lieber auf die ein, die das Thema ansprechen. "Dickenfeindlichkeit" oder "Feschismus" seien nur zwei der Ablenkungsvokabel mit denen eine grunsätzliche Gesundheits- sehr rasch zur geschmäcklierischen Ästhetikdebatte umfunktioniert werden kann. Und wenn das Wegschauen nimmer hilft, hebt man halt die Grenzwerte an und zieht die Warnlinien neu. Schwuppdiwupp: SChon ist dei WElt wieder in Ordnung.

Das Übergewicht der Industrienationen, sagt B., tauge aber auch als Metapher. Und zwar der des Unterganges einer Gesellschaft: Unserer.

Vom Retter zum Zyniker

B. war früher kein Zyniker. Ganz im Gegenteil: Er wollte die Welt retten. Von den Walen über den Urwald Amazoniens bis hin zum Ozonloch. Nein, umgekehrt: Zur Ozonschicht. B. war angetreten, den Menschen zu erklären, was gut und richtig ist. Für den Planeten im Allgemeinen - und für sie persönlich: Er kämpfte. Für das Gute.

Nur: Irgendwann hat B. aufgegeben. Resigniert: Gegen Vieles könne man anrennen, sagt er. Aber die Kombination aus Selbstgerechtigkeit und Dummheit sei unbesiegbar: Wenn jemand Leute sehenden Auges mit Vollgas auf eine Betonmauer zurase, könne man „HALT!“ rufen - aber sich zwischen Fahrzeug und Wand werfen, sei sinnlos. Also gab B. auf - und wurde zum Zyniker - und zeigt auf die Bladen rund um uns: Wer bis jetzt nicht kapiert habe, was falsches Futter und Bewegungsmangel bewirken, der lerne es nicht mehr. Der wolle es so. Werde untergehen. Nicht umsonst gehe es bei Darwin & Co um „Survival of the Fittest“.

Leid, sagt er, täten ihm nur die Kinder. Und -kurzfristig - sein Geldbörsel. Schließlich verursachen die Bladen Kosten, die nicht von schlechten Eltern sind - „und das wird mehr.“

Echt Fett

Die Fakten? Österreich verfettet. Rapide: 15,6 Prozent der Männer und 13,2 Prozent der Frauen sind hierzulande adipös. Haben also einen Body-Mass-Index (BMI) von 30 oder darüber. „Normal“ sind Werte zwischen 18 und 25. Die gesundheitlichen Folgen: Das Bluthochdrucksrisiko ist rund fünfeinhalb Mal so hoch wie bei Normalgewichtigen. Zuckerkrankheit tritt drei- bis viermal so häufig auf. Und dann könnte man hier noch eine ziemlich lange Liste anhängen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebsrisiko, Nierenleiden, Gelenksprobleme …

1991 waren noch „nur“ 8,3 Prozent der Männer und neun Prozent der Frauen in Österreich jenseits des 30er-BMI zu finden. Übergewicht ist aber mehr als die Frage von Ästhetik auf die es gerne reduziert wird. Also zitierte die APA rund um den Jahreswechsel aus einem Artikel der „Wiener Medizinischen Wochenschrift“ des Sozialmediziners Thomas Dorner von der MedUni Wien: "Ein extrem adipöser junger Mensch (20 bis 30 Jahre), BMI größer 45 verliert etwa 13 (Mann) bzw. acht (Frau) Lebensjahre als Folge der Adipositas. Übergewichtige 40-Jährige verlieren drei Lebensjahre, adipöse Gleichaltrige sechs bis sieben Jahre."

Dorner hat die Verfettung Österreichs in den vergangenen 25 Jahren erhoben. 1991 lag die Adipositas Rate bei Männern bei etwa acht Prozent. Bei Frauen bei neun. Im Klartext: der Anteil der massiv übergewichtigen Männer hat sich also beinahe verdoppelt. Der der Frauen ist um 50 Prozent gestiegen. Geil!

Blader Osten

Nebenbei stützen Dorners Zahlen auch meine Privatempirie, wonach die Leute in Innsbruck weniger blad sind als in Wien oder dem Burgenland. Wissenschaftlich spricht Dorner von einer „etwa um 50 Prozent … höheren Wahrscheinlichkeit für Adipositas als in Westösterreich.“

Österreich liegt da voll im Trend (der Industrieländer): Laut WHO steigt das Durchschnittsgewicht seit 1975 alle zehn Jahre um eineinhalb Kilo. 2,3 Prozent der Männer und fünf Prozent der Frauen sind stark fettleibig. Weltweit - und im Schnitt: Rund zehn Prozent der Weltbevölkerung sind untergewichtig. Wenig überraschend vor allem in Zentral- und Ostafrika, sowie in Indien oder Bangladesh.

Dass seit 2011 erstmals mehr Menschen über als untergewichtig sind, sagt kaum etwas über Erfolge im Bekämpfen von Hunger und Armut aus - aber umso mehr über Überfluss und Völlerei der Reichen: Die Bewohner der Komfortzonen der ersten Welt verfetten. Zunehmend.

Setzt sich der Trend fort, werden 2025 18 Prozent der Männer und 21 Prozent der Frauen in der wohlhabenden „westlichen Welt“ nicht bloß übergewichtig sondern adipös sein: Das WHO-Ziel bis dahin wieder auf die Werte von 2010 zu kommen ist so illusorisch, dass es nicht einmal Optimisten mehr erwähnen.

Apologet der Apokalypse

Mein Freund B. ist kein Optimist - und geht einen Schritt weiter: „Eine Zivilisation, die so fett und übersättigt ist, wie unsere, ist dazu verurteilt, unterzugehen: Die Gier, mit der wir wider besseres Wissen und wider jede Vernunft immer noch mehr in uns hineinstopfen, beschränkt sich ja nicht auf das, was und wieviel wir Essen.“

Ich nenne B „Apologeten und Prediger der Apokalypse“. Er meint, er sei bloß nur Realist. Ich würde ihm gerne widersprechen. Aber langsam gehen mir die Argumente aus: „Übergewicht ist nur die Metapher. Mach die Augen auf. Rundherum stehen die, die nichts haben. Außer einem: Nichts zu verlieren.“ B. hat resigniert. Früher wollte er die Welt retten. Jetzt besingt er ihren Untergang: „Die einzige Frage lautet, ob wir an uns selbst ersticken - oder ob andere dafür sorgen. Verübeln kann man es ihnen nicht - und es ist auch nicht das erste Mal: Alle großen Reiche, alle Hochkulturen gingen unter, als die, die sie geschaffen hatten, eines wurden: Fett.“

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