Selbstverständlich kann man auch in Österreich Ski fahren. Ganz hervorragend - wenn Schnee liegt. Und selbstverständlich kann man auch in Österreich Freeriden. Ebenso Hervorragend. Und: Wenn man sich im weiteren Umfeld eines Skigebietes herumtreibt: Lift. Ski kurz auf den Rucksack - und ab ins Gelände. Super fein. Aber „limited“, weil an Lift-Umfeder gebunden. Außer man geht „echte“ Skitouren: Wunderwunderschön - aber etwas Anderes, als rein abfahrtsorientiertes Powder-Glück.
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Plan C gibt es aber auch: Heliskiing. Nur eben nicht in Österreich. De facto. Denn das, was in Österreich „Heiskiing“ heißt, ist „eine Liftfahrt mit dem Hubinger“. Sagte jener Bergführer, den ich einmal zum „Austro-Heliski“ begleitete: Beim „Flexenhäusl, wo die Galerie alle ausspuckt, die von St Christoph nach Lech am Arlberg wollen, geht es los. Vier Minuten Flug. Dann ist man am „Schneethäli“ oder am „Mehlsack“. Feine Gipfel, die aber einen Nachteil haben: Sie sind die einzigen, auf die man in Österreich Ski-Fliegen darf. Oft sieht es da oben mehr nach Buckelpiste nach Tiefschneeparadies aus. Und nach dem einen Flug geht man mit dem (Pflicht-)Bergführer so Freeriden, wie das in Österreich üblich ist. Eh super. Speziell am Arlberg.
Nur: „Heliskiing“ ist was Anderes. In jeder Hinsicht. Das weiß ich jetzt. Auch, weil ich letzte Woche Heli und Hänge mit Benni Raich teilte.
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Den hatten meine Powder-Gastgeber, das Vorarlberger Helikopter-Flugunternehmen „Wucher“, auch eingeladen. Als Promi- und VIP-Begleiter der zahlenden Gäste. Und da setzt dem ohnehin elitären Spaß von „Gudauri Heliskiing“ schon noch eins drauf setzte: Auf den Hängen unter dem und rund um den je nach Quelle 5033 bis 5047 Meter hohen „Kasbek“ und seinen Geschwisterbergen in der Region von Gudauri in Georgien mit dem Doppelolympiasieger und Tripel-Weltmeister powdern. Man kann es wirklich schlechter erwischen …
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Aber so beeindruckend die Erfolge des 37-jährigen Ex-Skirennläufers sind und so ohne Allüren oder Zicken Raich im persönlichen Umgang auch ist: Hier geht es nicht um ihn. Sondern um eine grandiose Form des Skifahrens. Die - zugegeben - Haken hat. Erstens: Die Kosten. 7000 € für eine Woche sind kein Lercherlschaß. Zweitens: Unumstritten ist der Spaß nicht. Schon am Heimflug nach Österreich bekam ich - als ich im Flugzeug mein Youtube-Video nachschnitt, Öko- und PC-Watschen. Von Leuten, die grad in Ägypten tauchen waren, in einem Monat auf Kreuzfahrt gehen und stolz auf ihren SUV sind. Obwohl sie in einem inneren Wiener Bezirk wohnen. Aber ihr Öko-Fußabdruck ist trotzdem „besser“ als meiner …
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Nur: Das ist egal. Und zwar ab dem Augenblick, in dem man das erste Mal aus dem Hubschrauber hüpft. Sich im „Heli Huddle“ mit der Gruppe vor der Windwatsche des Choppers wegduckt. Und während der Hubinger in Richtung verschwindet, um die nächste Gruppe (vier Gäste und ein Bergführer pro Flug) herauf zu fliegen, die superfetten Tiefschneelatten anlegt.
Ein Blick in die Runde: Strahlende Gesichter. Ein Blick aufs Panorama: Bin ich wirklich hier? Sagt mir bitte sofort, dass ich das nicht nur träume!
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Dann eine letzte Kontrolle: Airbag? Scharf. Alle Riemen und Gurte sitzen. Zips & Taschen: Zu. Passt alles.
Los jetzt! Raus in den Hang! Nicht zögern! Nicht zurückschauen! Das Weiß ist meins! Schließlich gilt: „No friends on powderdays!“ Deshalb: Rein in den Tiefschnee! Und nie vergessen: „Es gibt nur ein Gas: Vollgas!“ POW! POW! POW!
STOPP! Genau so geht Heliskiing (aber auch jede andere Form des Fahrens im Gelände) eben nicht: Vor dem Kick kommt der Kopf. Ohne Ausnahme. Es geht immer zuerst um Sicherheit. Und dann lange um nix: Ist der Hang „safe“? Nicht gestern oder letzte Woche - sondern heute und jetzt? Wo ist, wo endet, was begrenzt den sicher befahrbaren Korridor? Gibt es gefährliche Stellen und Fluchtrouten, falls doch was passiert? Wo ist der - sichere - Sammelpunkt? Welche Sicherheistabstände sind einzuhalten… Und so weiter. Klar haben wir Bergführer mit. Nur: Das Mitdenken nehmen die einem nicht ab. Am Berg ist jeder nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Kameraden mitverantwortlich. Immer.
Safety First
Tiefschneefahren, Freeriden, Skitourengehen - egal wie man es nennt und egal ob man zu Fuß, mit dem Lift, dem Hubschrauber oder auf einer Kanonenkugel zum Startpunkt kommt - hat eigene Gesetze. Sie gelten ohne Wenn & Aber und genau ab dem Pistenrand - dort, wo die Freiheit beginnt. Schnee ist auf und abseits der Pisten gleich weiß. Trotzdem: Das ist eine andere Welt. Was man hier tut, das gilt. Am Berg gibt es keinen „Reset“-Knopf. Keinen, auf den man sich danach ausreden kann: Gerade das macht ja einen Teil des Reizes jeder Form der Bewegung im - nota bene - „freien“ Gelände aus.
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Denn auch bei der besten, professionellsten und defensivsten Herangehensweise bleibt immer ein Restrisiko. Und egal ob dieses Restrisiko, ein eigener Fehler oder der eines Anderen: „Alpine Gefahren“ sind keine Floskel, sondern lebensgefährlich: Die Lawine fragt nicht, ob man Laie oder Experte ist. Ob man im Kaukasus „elitär“ mit dem Hubinger aufsteigt - oder "proletarisch" in den Tiroler Alpen mit Fellen oder Lift. Ihr ist vollkommen wurscht, ob man gerade eine Traumabfahrt bei Traumwetter mit Traumblick und Traumschnee an einem Traumtag macht - oder nur einen kleinen, kurzen, banalen Hang quert: Wenn du da bist, bist du weg. Und aus.
Das klingt bei den Sicherheits-Checks durch (Heliski-)Bergführer flappsig dahin gesagt. Aber sie meinen das ernst. Todernst. Und es kann sehr schnell von der Theorie ein Stück gelebter Praxis werden: Am vierten Tag querte - ausgerechnet - Benni Raich als zweiter oder dritter nach dem Bergführer einen Hang, den wir alle (Bergführer, Profi-Skifahrer und einige zahlende Gäste, die selbst staatlich geprüfte Skilehrer sind oder - so wie ich - alle wahrlich nicht zum ersten Mal im Gelände unterwegs sind) davor unisono als absolut harmlos eingestuften hatten. Irrtum. Es machte „Wumm“: Knapp hinter dem Skistar riss ein gut zwei Tennisplätze großes Stück Schnee ab. Wie mit dem Keksstecher aus dem Hang gehackt. Bis zum Boden. Und ging ab: „Lawine! F_ck! Seht ihr den Benni?“
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Zum Glück rutschte dieser Schnee in den ersten drei Sekunden quasi in Zeitlupe: Benni Raich war längst im „safen“ Bereich, als der Hang abriss und die Lawine Fahrt aufnahm. Alle anderen Fahrer der Gruppe sowie jener Heli-Gruppe (pro Flug passen vier Gäste und ein Guide in den Hubschrauber), die vor uns losgefahren war, standen im „Leo“: Lehrbuchmäßig. Auf Kuppen oberhalb und unterhalb der kritischen Stelle: Alles gut. Nix passiert. Ein bisserl blass waren wir trotzdem. Alle.
Nachher ist man natürlich immer klüger ist. Wir suchten den Fehler. Aber: Da war keiner. Keiner, den wir vorher erkennen hätten können: Es gibt immer ein Restrisiko. Am Berg. Im Straßenverkehr. Überall.
Das darf und soll aber nix Schönreden. Doch in der Analyse stellten wir noch etwas fest: Die Guides - geprüfte Schweizer und österreichische Bergführer - hatten vorab alles richtig gemacht. Das Risiko so weit minimiert, wie es eben menschenmöglich ist: Wir waren einzeln gefahren. Von einem sicheren Punkt zum nächsten. Der Fahrende war nie „unsichtbar“. Andere wären vielleicht ohne Bedenken im Rudel hier reingefahren: Ist ja nur diese kleine Querung …
Zu hören und zu sehen, wie sich eine Lawine in Bewegung setzt, ist lehrreich. Macht demütig: Was man immer wieder an Such- und Bergetechnik übt, bevor man ins Gelände geht, ist plötzlich keine fade, Zeit raubende lästige Pflichtübung mehr. Und: Zu beobachten, wie aus ein paar Quadratmetern Schnee binnen Sekunden auf einer kurzen, nicht einmal richtig steilen Strecke, Tonnen unerbittlicher Naturgewalt werden, relativiert das Sich-Verlassen auf Airbag & Schnickschnack.
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Das ist gut und richtig. Gerade WEIL so viele Leute lieber über Ausrüstung als über Ausbildung reden: Klar sind Notfallausrüstung und Damitumgehenkönnen unerlässlich und unverzichtbar. Aber es geht zu allererst einmal darum, alles zu tun, sie nie einsetzen zu müssen.
Für Aussenstehende mag dieser Exkurs klingen, als sollte man es lieber lassen. Nicht nur das Heliskiing - alles Backcountry-Ski- und Touren-Zeugs. Als wären da nur Irre unterwegs. Hasardeure. Vollidioten. Lebensmüde. Das Gegenteil ist der Fall: Wir lieben das Leben. Und wollen es genießen. In vollen Zügen. Eigenverantwortlich, nicht fremdbestimmt und überreguliert. So lange und so oft wie möglich - und immer wieder. Auch morgen.
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Es geht um Momente in denen Berge, Landschaft und Himmel die Seele berühren. Um Augenblicke und Empfindungen, die einzigartig und unbeschreiblich sind. Um das Spüren dessen, was man kann - und das Ahnen dessen, was man gerne noch tun würde.
Um das Gefühl, zu schweben, zu fliegen und im und mit dem Pulverschnee zu tanzen, wenn man im unverspurten Terrain oder - in der Gruppe kann nicht jeder der erste sein - neben den Spuren der Anderen unterwegs ist. Um das Teilen von Schönem - weil es dadurch mehr wird.
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Um das Lachen in Augen und Herzen, wenn man atemlos, mit wild pochendem Puls und vom Schnee verklebter Nase nach einem „Run“ stehen bleibt - und zurück schaut. Oder im Heli beim Flug zum nächsten „Drop“, zum nächsten Hang, zum nächsten Berg, noch einmal auf frische Spur schaut.
Um Freiheit. Und um etwas Gültiges - auch wenn Wind und Schnee diese Signaturen rasch wieder verschwinden lassen werden. Kurz: Es geht um das, was „Leben“ und „Existieren“ unterscheidet. Um Leidenschaft. Um das, wofür es sich lohnt, sich in Büro, Geschäft, Werkstätte, Schule & Co abzurackern und durch zu beissen.
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Nicht, dass das bei jedem Skifahren sein muss. Gott bewahre! Der, den Briefmarkensammeln glücklich macht, möge es tun. Wer Gummitwist liebt: Go for it! Mit Inbrunst, Herzblut und Leidenschaft. Und ohne sich von Anderen und verunsichern oder gar abbringen zu lassen.
Liebe und Leidenschaft, das habe ich in Gudauri im Helikopter und im Schnee wieder einmal gelernt, sind das, was zählt. Ohne sie sind wir nichts.
Aber es gibt etwas, was noch wichtiger ist: Demut. Der Mut, manchmal den Schritt zurück zu machen. Zu verzichten. Weil das, was glücklich macht, nur dann Wert und Sinn hat, wenn man eines tut: Wieder gesund nach Hause kommen.
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Und noch drei Anmerkungen:
- Falls Ihnen hier jetzt der kritische Aspekt fehlt: In meinem privaten Blog finden Sie dazu ein paar Gedanken - und ein paar Bilder mehr.
- Alle Bilder ©Tom Rottenberg. Jegliche Online-, Print- oder sonstige Verwendung - abgesehen vom Teilen des gesamten Fisch&Fleisch-Artikels - ausschließlich nach schriftlicher Anfrage & Zustimmung durch mich.
- Der Aufenthalt in Gudauri erfolgte auf Einladung des Veranstalters „Gudauri Heliskiing“.