6000 Euro. In einer Woche. Und alles, was F. dafür tun muss, ist seine Mutter zu besuchen. Das, sagt F., sei leicht verdientes Geld. Oder nicht?
6000 Euro in einer Woche verdient F. seit ein paar Jahren jedes Jahr. Und er könnte, glaubt er, sogar mehr verdienen. Aber das wäre keck. Und F. will nicht unbescheiden sein: Auch bei viel Geld für keine Arbeit dürfe man nicht unverschämt werden. Obwohl andere … Aber F. will nichts Böses über seine Nachbarn sagen. Die machen nämlich das Gleiche wie er: Sie verlassen Davos. Für eine Woche.
Diese Woche findet im Schweizer Luftkurort nämlich das Weltwirtschaftsforum statt. Und F. hat dadurch sehr rasch sehr viel über die Weltwirtschaft gelernt: Angebot und Nachfrage. Gier und Unverschämtheit. Das Nutzen von Chancen. F.s Chance: Seine Wohnung. In Davos. Zwei Zimmer. Nix Außergewöhnliches - normaler Standard. Aber wenn die Weltwirtschaft in Davos absteigt, vermietet F. - und zieht für eine Woche in die Pension Mama nahe Zürich.
Ich habe F. vergangene Woche kennen gelernt. In Davos. Ich war dort, weil ein paar Ski- und Outdoor-Equipmentehersteller Neuigkeiten für die kommende Saison vorstellten. Also für Winter 2015/16: Lawinenrucksäcke, Tourenski, Helme, Brillen, Bekleidung. Und so weiter. Um das zu „testen“ waren wir da - und fuhren Ski: Ja, ich habe einen schrecklichen Beruf. Aber darum geht es heute nicht.
Die Schweiz im Allgemeinen und Davos im Besonderen ist kein billiges Pflaster. Schon normalerweise nicht: Die Pizza am Abend kostete 28 Euro. Diese Woche - zum Weltwirtschaftsforum - wird sie ein bisserl teurer werden, sagt F. Es war eine Pizza Margerita.
Mit dem Forums-Zuschlag, sagt F., holen sich die Wirte jenes Geld wieder, das sie diese Woche verlieren. Oder das zu verlieren sie behaupten: Die 70-jährige Dame mit dem fetten Pelz, die mit ihrem ebenfalls dick bepelzten Mann indigniert im Foyer des Hotel Seeberg steht, wird nämlich diese eine Woche im Winter auch nicht hier sein: Während es Forums ist ihr hier zu viel los. Trubel. Hektik. Durch die falschen Leute. So sagt das die Dame im Pelz, während sie aus dem Fenster zeigt: Dort, draußen, stehen Monteure. Und Sicherheitsleute.
Indigniert sind die Bepelzten, weil die Sonnenterrasse des Hotels gesperrt ist. Jetzt schon. Also vor dem Forum. Bevor die Wichtigen und Mächtigen eintreffen. Aus Sicherheitsgründen: Davos verwandelt sich gerade in eine Festung. Vergangene Woche konnte ich live zusehen. Während der vier Tage verwandelte sich das Straßenbild drastisch. Merklich - und diskret.
Auffällig waren die Zäune. Die wuchsen plötzlich aus dem Boden. Überall. Auf Gehsteigen. Vor Schaufenstern. Vor Hotels in Parks. Quer üebr Seitenstraßen. Mannshohe Drahtelemente, wie man sie auch bei uns kennt. Von Baustellen. Von Events. In Davos haben Zäune Volumen. Sind Waben: Sie werden in Doppelreihen aufgestellt - und zwar, im Optimalfall, in Zaun-Element-Abstand. Die Abstände werden durch Zaunelemente, die im rechten Winkel dazu aufgestellt sind, definiert: Schweizer Präzision - oft aber von deutschen Monteuren installiert. Die sind, sagt F., billiger als Schweizer.
Die Zäune sind blickdicht. Weiß. Weil weiß schön ist. Winterlich. Aber trotzdem blickdicht: Die Zäune sind auf der Außenseite mit weißer Folie bespannt. Und oben drauf kommt dann, um ein Aneignen durch die, gegen die mich die Zäune baut, zu erschweren, leicht nach innen gesetzt Rolle um Rolle NATO-Draht.
Die weiße Folie soll den Blick erschweren. Für die Einen. Für die Anderen wird der Blick ungetrübt sein: Kameras und Scheinwerfer decken jeden Meter öffentlichen Raumes ab. Manchmal versteckt - meist aber ganz offen. Obwohl: Vermutlich habe ich nicht einmal jede Vierte gesehen: Irgendwann war ich es leid, die langsamen, aber stetigen Veränderungen an Giebeln, Dächern, Verkehrszeichen oder in Bäumen überhaupt noch wahr zu nehmen.
Davosern wie F. ist das - ebenso wie der Aufmarsch an Grenzwacht, Polizei und privatem Sicherheitspersonal im öffentlichen Raum und an den - noch unbesetzten - Checkpoints egal. Auch der martialisch anmutende „Heliport“, an dem die Gäste eingeflogen werden sollen, wenn das Tal dann dicht gemacht wird, kratzt sie nicht: Sie sind ja ohnehin nicht da - und verdienen daran.
Euro oder Franken, meint F., spielen bei dieser Summe für so wenig Arbeit keine Rolle. Aber so wirklich wohl war den Schweizern beim Umrechnen zwischen den Währungen letzte Woche nicht: Onlineshopping (fast jeder Schweizer hat eine steuer- und zollschonende „Abwurfadresse“ dafür in Deutschland) wurde durch die Frankenaufwertung schlagartig massiv billiger. Einkaufsfahrten nach „Drüben“ sowieso. Ebenso wie der Skiurlaub in Österreich.
Umgekehrt haben aber sogar die sonst so selbstbewussten und gar nicht preissensiblen Davoser Touristiker grad Muffensausen: Die Angst vor einer Stornowelle, weil der Skiurlaub in der Schweiz seit einer Woche ein Fünftel mehr als geplant kostet, hat viele Hoteliers veranlasst, Gästen für bereits gebuchte Urlaube den alten 1,20er-Kurs für den Euro zu garantieren. Schriftlich, individuell und per Quasi-Massenmail, aber natürlich nicht offiziell kommuniziert. Und dass der Preis für den „Super Pass“ - einen Skigebietsverbund-Pass mit dem man u.a. in Davos, Klosters und Ischgl skifahren kann - für die kommende Saison vorletzte Woche in Euro, aber noch nicht in Schweizer Franken festgelegt (und verkündet) wurde, beruhigt die Davoser Bergbahnbetreiber einigermaßen: Wäre der Franken-Preis nach dem alten Umrechnungskurs gleich mit definiert worden, wäre - seufzte ein Bergbahnoffizieller inoffiziell - „ja jeder Eidgenosse ein Fall für die Psychiatrie, wenn er den Pass im Inland kaufen würde.“
F. zuckt dazu mit den Schultern: Die Abläufe der Geld- und Wirtschaftspolitik zu durchschauen zu versuchen hat er aufgegeben. Ausklinken geht auch nicht. Schon lange nicht mehr. „Alles was Du tun kannst, ist zu versuchen, für Dich das Beste draus zu machen - ohne komplett zum Arschloch zu werden.“ 6000 Euro, meint F., seien da ein guter und fairer Preis. Für eine Woche. Und 45 Quadratmeter. Ach ja: Heizung, Garagenplatz und WiFi kosten extra.
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