1973, das fordistische Zeitalter liegt in den letzten Zügen. Die miesen Jobs in der BRD werden von Arbeitsmigrant*innen erledigt, die in Lohngruppen arbeiten müssen, die das Niveau derjenigen nicht erreichen, in welche Einheimische eingeordnet sind. Dazu kommen beschämend dürftige Unterkünfte und das alljährliche Problem, aus dem Urlaub rechtzeitig zurückkehren zu müssen, denn die Reisen – zum Beispiel in die Türkei – sind langwierig und kompliziert. Als im August 1973 einige türkische Arbeiter der kölner Ford-Werke zu spät aus dem Sommerurlaub zurückkehren, werden 300 von ihnen fristlos entlassen. Spontan organisieren die migrantischen Arbeitskräfte einen „wilden“ Streik und fordern einen verlängerten Urlaub und Lohnerhöhungen. Anfangs solidarisieren sich die einheimischen Arbeiter mit ihnen, doch unter dem Eindruck einer reißerischen Berichterstattung in den Boulevardmedien („Türken-Terror bei Ford“ ) kippt die Stimmung, bei einer „Gegendemonstration“, welche die Geschäftsleitung initiiert hat, dringen Polizisten und Streikbrecher auf das Werksgelände ein, der Streik wird beendet und es kommt zu weiteren Entlassungen.
Das ist jetzt 50 Jahre her, zeigt aber, dass, bevor es eine angeblich die Interessen der (weißen) Arbeiter ignorierende Identitätspolitik gab, die Abgrenzung von der anderen Seite ausging: Statt sich mit ihren migrantischen Kolleg*innen langfristig zu solidarisieren, schlugen sich bedeutende Teile der Arbeiterschaft auf die Seite der Bosse und zogen den Beweis ihrer Identität als fleißige Sollerfüller der Chance vor, für bessere Löhne und einen verlängerten Urlaub zu kämpfen. Wer heute beklagt, eine „woke“ oder linke Identitätspolitik ignoriere die Interessen der Arbeiter zugunsten der marginalen Befindlichkeiten von Randgruppen, der halte sich den Verrat von Köln 1973 vor Augen: In „Identitäten“ wird man nicht geboren, man wird in sie gedrängt, nicht zuletzt von denjenigen, die auf die Uneinigkeit der Unterdrückten bauen.
https://transversal.at/transversal/1017/karakayal/de, https://taz.de/Koelns-DGB-Chef-zum-Ford-Streik-1973/!5956100&s=k%C3%B6ln/, https://www.jungewelt.de/artikel/457587.wilde-streiks-recht-und-w%C3%BCrde.html