Am 23. April befasste sich der Redenschreiber von Alexander Gauland, der ehemalige Focus-Redakteur Michael Klonovsky, in seinem Blog „Acta diurna“ mit dem x-ten Bauernfängerversuch (...), Antisemitismus und "Islamophobie" in einen gedanklichen Rahmen zu quetschen, diesmal von einem österreichischen Politologen – man erwarte nicht, dass ich hier "Wissenschaftler" schreibe – muslimischer Provenienz. Interessant ist Klonovkys Begründung, warum sich ein solcher Vergleich verbiete: Juden im Reich 1933: etwa 500 000. Muslime in Deutschland heute: mindestens sechs Millionen. Jetzt bitte vergleichen: Wieviele Nobelpreisträger, Erfinder, Professoren, Ärzte, Komponisten, Autoren, Künstler etc. pp. gab es unter deutschen Juden und gibt es heute unter deutschen Muslimen bzw. Muslimen in Deutschland? Umgekehrt: Wie viele Sozialhilfeempfänger, Terroristen, Gefährder, Messerstecher, Vergewaltiger etc.pp. gab es damals und gibt es heute unter den deutschen Juden, und wieviele gibt es unter deutschen Muslimen bzw. Muslimen in Deutschland? In Deutschland leben zwar deutlich weniger Muslime, als von Klonovsky halluziniert – das BAMF geht von 4,7 Millionen aus, und man will eigentlich gar nicht so genau wissen, welche Assoziation zu der Zahl 6 Millionen führte, aber doch, man weiß es – bemerkenswert ist aber, mit welcher Begründung Klonovsky den mörderischen deutschen Antisemitismus ablehnt und zu der Erkenntnis gelangt, die Nazis seien verachtenswerte Banditen:
Da sind als erstes die völlig willkürlichen Vergleichskategorien zu erwähnen, die Klonovsky heranzieht: Ein Nobelpreisträger kann ein Vergewaltiger sein, ein Arzt ein Gefährder und ein Autor selbstverständlich auch ein Sozialhilfeempfänger. Klonovsky vergleicht Berufe mit sozialen und kriminalistischen Kategorien, in denen, so suggeriert er, Muslime besonders häufig vertreten seien. Ebenso suggeriert er, dass es keine muslimischen Autoren, Künstler oder Professoren gebe und dies in einem Text, der die Thesen eines Professors muslimischer Provenienz kritisiert. Nachdenken scheint nicht zu den Stärken Klonovskys zu gehören.
Da ist zum zweiten der gleichsam exkludierende Blick, den Klonovsky auf Juden und Muslime wirft: Warum müssen sie überhaupt ihren Wert für die Gesellschaft, in der sie leben, unter Beweis stellen? Eine große Mehrzahl der Juden, die 1933 in Deutschland lebten, waren deutsche Staatsbürger, bis ihnen dieses Recht durch die Nürnberger Gesetze aberkannt wurde, und auch nicht wenige der heute in Deutschland lebenden Muslime sind deutsche Staatsbürger und damit Teile eines Gemeinwesens, das ihnen die gleichen Rechte wie allen anderen zugesteht und ihnen die gleichen Pflichten auferlegt. Diese Rechte und Pflichte sind voraussetzungslos, man erwirbt sie mit der Staatsangehörigkeit und nicht durch besondere Verdienste. Abgesehen davon erweist sich Klonovsky, wenn er diese einfordert, nicht unbedingt einen Gefallen: Der Beitrag, den deutsche Muslime zum Gemeinwesen leisten, muss sich vor seinen Leistungen kaum verstecken.
Da ist zum dritten die – vorsichtig formuliert – abstruse Sichtweise auf die deutschen Verbrechen, die sich in Klonovkys Text findet: Es sei ein Fehler, lernen wir, Menschen zu ermorden, aber nicht, weil es einen Verstoß gegen alle das Gemeinwesen regelnden Normen darstellt, sondern weil es ganz offensichtlich die falschen getroffen habe. Damit zeigt aber Klonovsky nur, dass er vom Antisemitismus keine Ahnung hat: Für einen Antisemiten ist ein hervorragender jüdischer Arzt kein hervorragender Arzt, sondern ein jüdischer Arzt, und ein Nobelpreis für einen jüdischen Wissenschaftler wird diesem nicht für seine Verdienste verliehen, sondern weil seine „jüdische“ Wissenschaft gefördert werden soll, mutmaßlich durch irgendwelche dubiosen, wahrscheinlich „jüdischen“ Kreise. Und würde, so muss gefragt werden, es irgendetwas am deutschen Menschheitsverbrechen ändern, wenn nur Handwerker, Arbeiter und Bauern ermordet worden wären?
Als letztes möchte ich noch auf Adornos Satz, dass der Antisemitismus „das Gerücht über die Juden“ sei, hinweisen. Indem Klonovsky vor allem Gerüchte und Diffamierungen über Muslime vorbringt, bestärkt er ungewollt die von ihm verworfene Gleichsetzung von Antisemitismus und Islamophobie. Nachdenken, s. oben, scheint nicht zu den Stärken des AfD-Vordenkers zu gehören.
Um mich noch einmal (s. hier: https://www.fischundfleisch.com/thomas-schweighaeuser-ex-gotha/die-afd-und-der-antisemitismus-ein-update-62387 ) zu wiederholen: Wer bei der Bekämpfung des wachsenden Antisemitismus auf die AfD setzt, sollte sich auf Enttäuschungen gefasst machen.